Deutsch-österreichische Grenze: Kontrollen waren illegal
Ein österreichischer Dozent wehrte sich gegen eine Kontrolle kurz hinter Passau. Der Münchener Verwaltungsgerichtshof gab ihm nun recht.
Kläger war der österreichische Jurist Stefan Salomon, der an der Uni Amsterdam lehrt und deshalb immer wieder quer durch Deutschland reisen muss. Am 11. Juni 2022 saß er im ICE und wurde kurz hinter Passau wie alle Mitreisenden von der deutschen Bundespolizei kontrolliert. Salomon zeigte seinen Ausweis, klagte aber gegen die Kontrollen, die er nach sieben Jahren längst für illegal hielt.
Vor dem Verwaltungsgericht München hatte er im Januar 2024 noch keinen Erfolg. Das Gericht deutete zwar an, dass die Grenzkontrollen rechtswidrig seien, es lehnte aber Salomons Klage als unzulässig ab, weil keine Wiederholungsgefahr drohe. Dies sah der VGH München nun anders.
Da Salomon immer wieder kontrolliert wurde und ein Ende der Grenzkontrollen nicht abzusehen sei, bestehe durchaus eine Wiederholungsgefahr; die Klage sei also zulässig gewesen. Und auch in der Sache hatte Salomons Klage Erfolg. Die Anordnung von Grenzkontrollen durch die deutsche Bundesregierung sei jedenfalls vom 12. Mai bis zum 11. November 2022 nicht vom Schengener Grenzkodex gedeckt und damit rechtswidrig gewesen.
Keine neuen Gründe
Wie der VGH München nun feststellte, hat die Bundesregierung im Frühjahr 2022 die gleichen Gründe für die Grenzkontrollen vorgebracht wie ein halbes Jahr zuvor: Es kämen nach wie vor viele Migrant:innen an den südlichen und südwestlichen Außengrenzen Europas an. Damit habe die Bundesregierung keine „neue ernsthafte Bedrohung“ als Begründung für die Grenzkontrollen genannt. Es gebe auch keinen Grund, das EU-Recht einfach zu ignorieren, so das Münchener Gericht.
Der Wegfall der Kontrollen an den EU-Binnengrenzen gilt als eine große Errungenschaft der Europäischen Union. Nur ausnahmsweise und nur für begrenzte Zeit sind sie zulässig. Diese Ausnahmen sind im Schengener Grenzkodex, einer direkt geltenden EU-Verordnung, geregelt. Im Jahr 2022 galt für Grenzkontrollen, die mit einer Gefahr für die innere Sicherheit begründet werden, eine Höchstdauer von sechs Monaten. Die Halbjahresfrist durfte nach Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nur überschritten werden, wenn es neue Gefahren für die innere Sicherheit und damit eine neue Begründung für die Grenzkontrollen gab.
Die Münchener Richter:innen ließen keine Revision zu, weil der Fall keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dies liegt wohl daran, dass die Entscheidung nur Kontrollen an den Grenzen zu Österreich im Zeitraum von Mai bis November 2022 betrifft. Unter dem Eindruck eines damals neuen EuGH-Urteils (das ebenfalls Stefan Salomon erstritten hatte) begründete die Bundesregierung schon die Grenzkontrollen ab November 2022 anders und wies auf die laxe Visavergabe durch Serbien als „neue Bedrohung“ hin. Die Kontrollen der Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz wurden ohnehin erst im Herbst 2023 eingeführt, die Kontrollen an den übrigen deutschen Grenzen, etwa zu Frankreich und Dänemark, sogar erst ein Jahr später im Herbst 2024.
Außerdem erlaubt der Grenzkodex seit einer Novelle im Sommer 2024 auch Verlängerungen der Grenzkontrollen auf bis zu insgesamt zweieinhalb Jahre. Es ist im Moment also völlig unklar, welche Kontrollen an den deutschen Grenzen noch legal oder schon illegal sind. Erforderlich wäre eine Vielzahl weiterer Klagen und Gerichtsurteile.
Doch außer dem umtriebigen Stefan Salomon scheint die Rechtmäßigkeit der Grenzkontrollen kaum jemand zu interessieren, vermutlich weil die Grenzkontrollen ohnehin eher Symbolpolitik sind. In der Regel kontrolliert die Bundespolizei nämlich nur stichprobenartig, um den Verkehr und den Warenzufluss nicht allzu sehr aufzuhalten.
(Az.: 10 BV 24.700)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Moskau fordert für Frieden vollständigen Gebietsabtritt
Sozialwissenschaftlerin zur Spargelernte
„Er sagte: ‚Nirgendwo war es so schlimm wie in Deutschland‘“
„Friedensplan“ der US-Regierung
Putin wird belohnt, die Ukraine aufgegeben
Mindestlohn
Die SPD eiert herum
Kontroverse um Gedenkveranstaltungen
Ein Kranz von Kretschmer, einer von Putin
Tödlicher Polizeieinsatz in Oldenburg
Drei Schüsse von hinten