Deutsch-italienische Geschichte: NS-Verbrechen in Italien
Massaker von Wehrmacht und SS in Italien, Schicksal der Zwangsarbeiter: Eine Forschergruppe soll die Vergangenheit aufarbeiten. Die deutsche Regierung steht unter Druck.
ROM taz Mit einer Konferenz im Kulturzentrum Villa Vigoni am Comer See hat am Samstag die neue deutsch-italienische Historikerkommission zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Italien ihre Arbeit aufgenommen. Je fünf Historiker beider Länder sollen nicht nur die Massaker von Wehrmacht und SS, sondern auch das Schicksal der etwa 600.000 zwischen 1943 und 1945 zur Zwangsarbeit deportierten Soldaten beleuchten; die Kommission soll in drei Jahren einen Bericht vorlegen.
Den Anstoß zur Gründung der Kommission hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem deutsch-italienischen Regierungsgipfel im November in Triest gegeben. Aus freien Stücken erfolgte die Initiative nicht: Deutschland steht in Italien juristisch unter Druck. Gleich auf drei Feldern bekamen Kläger in den letzten fünf Jahren Recht vor dem höchsten Gerichtshof des Landes, dem Kassationsgericht in Rom. Es sprach nicht nur den Angehörigen der Opfer von NS-Massakern wie im toskanischen Dorf Sant'Anna di Stazzema das Recht zu, Deutschland in Italien auf Schadensersatz zu verklagen. Auch die überlebenden Militärdeportierten und ihre Nachfahren dürfen solche Ansprüche stellen. Sie waren vom deutschen Staat nach der Einrichtung des Zwangsarbeiterfonds abgeschmettert worden. Die Begründung lautete, dass sie recht besehen gar keine Zwangsarbeiter gewesen seien, da Hitler ihnen den Status der Kriegsgefangenen nicht habe aberkennen dürfen. Die dritte Klägergruppe stammt aus Griechenland: Nachfahren der Opfer des Massakers von Distomo hatten einen Pfändungsbeschluss - ausgerechnet gegen die Deutschland gehörende Villa Vigoni, in der nun die Historikerkommission tagte - erwirkt, um ihre Entschädigungen einzutreiben.
Der deutsche Staat zog und zieht sich gegenüber den Klagen juristisch auf die Position zurück, dank der im Völkerrecht verankerten "Staatenimmunität" seien die Klagen von Privatleuten nicht zulässig. Italiens Kassationsgericht dagegen befand, bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit greife die Staatenimmunität nicht. Gegen diese Rechtsposition ist seit Dezember vergangenen Jahres eine Klage der Bundesrepublik Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anhängig.
Zugleich aber wollte die Berliner Regierung deutlich machen, dass Deutschland sich seiner Schuld stellen will. Diesem Zweck dient die nun eingerichtete Historikerkommission. Sie soll nun ein umfassendes Bild der bisher nur lückenhaft aufgearbeiteten deutschen Terrorherrschaft im besetzten Italien erstellen; zugleich hat sie das Mandat, auch Vorschläge für weitere Initiativen zu erarbeiten, um die Erinnerung an diese Phase der deutsch-italienischen Geschichte wachzuhalten.
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