Deutsch-griechische Beziehungen: „Unauslöschliche Schuld“
Bundespräsident Steinmeier thematisiert bei seinem Staatsbesuch deutsche Kriegsverbrechen, lehnt aber griechische Forderungen nach Reparationen ab.
Für Irritationen sorgen zwar die jüngsten deutschen Grenzkontrollmaßnahmen. Ängste versuchte Steinmeier aber schon vorab zu zerstreuen: „Ich setze große Hoffnung in das gemeinsame europäische Asylsystem. Es wird keine Alleingänge geben, sondern ein mit unseren EU-Partnern eng abgestimmtes Vorgehen“, sagte er der Athener Zeitung Ta Nea.
Ferner will Steinmeier das Goethe-Institut in Thessaloniki, das Deutsche Archäologische Institut in Athen, ein Tourismusprojekt sowie einen deutschen Industriebetrieb besuchen – für deutsche Offizielle ein übliches Routineprogramm.
Steinmeier scheut auch nicht das hierzulande dunkelste deutsche Kapitel: die Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland. Seine erste Station ist am Dienstag das im Bau befindliche Holocaust-Museum in Thessaloniki, von Berlin mit zehn Millionen Euro teilfinanziert.
Besuch im von der Wehrmacht zerstörten Kandanos
In Thessaloniki, bis Anfang des 20. Jahrhunderts das „Jerusalem des Balkans“, stellten die sephardischen (aus Spanien stammenden) Juden vom 15. Jahrhundert an das Gros der Bewohner. 1943 wurden 56.000 Juden nach Auschwitz und Bergen-Belsen transportiert, 49.000 wurden ermordet.
Griechenland litt ab dem 6. April 1941 stark unter der deutschen Besatzung: Die Bevölkerung schrumpfte um 1,1 Millionen oder 13,5 Prozent – so viel wie sonst nirgends in Europa. 400.000 Häuser wurden zerstört oder beschädigt.
Doch die Griechen, allen voran Linke, leisteten erbitterten Widerstand. Als die deutschen Besatzer am 12. Oktober 1944 abzogen, hinterließen sie mehr als 100 aus Vergeltung zerstörte Dörfer.
Das am 3. Juni 1941 zerstörte Kandanos auf Kreta besucht Steinmeier am Donnerstag. Proteste sind schon angekündigt. Dort sind die NS-Kriegsverbrechen unvergessen. Auf einer Tafel im Ort erklärten die Nazis: „Zur Vergeltung der bestialischen Ermordung eines Fallschirmjägerzuges und eines Pionierhalbzuges durch bewaffnete Männer und Frauen aus dem Hinterhalt wurde Kandanos zerstört.“
Aristomenis Syngelakis vom Nationalrat für die Entschädigungen und Reparationen (ESDOGE) sagte der taz: „Der Besuch in Kandanos könnte sich als historisch bedeutsam erweisen, falls der deutsche Staatspräsident die Chance ergreift, sich ohne Umschweife für die abscheulichen Naziverbrechen in Griechenland zu entschuldigen und die deutsche Regierung aufzufordern, endlich die Verantwortung für das Leid, die Trauer, Plünderung und Zerstörung unserer Heimat durch das Dritte Reich zu übernehmen.“
Premier Misotakis will Verhältnis zu Berlin nicht „vergiften“
Reue werde nur durch „die Rückzahlung der unverjährten und dokumentierten deutschen Verbindlichkeiten an Griechenland erfolgen“, so Syngelakis. Er verlor damals fünf nahe Angehörige. „Das bedeutet die Zahlung von Reparationen an die Familien der Opfer der Nazi-Gräueltaten, Reparationen an den Staat, die Rückzahlung der Zwangsanleihe und die Rückführung archäologischer und anderer geraubter Kulturschätze.“
Premier Kyriakos Mitsotakis
Unter dem linken Premier Alexis Tsipras beschloss das Parlament im April 2019, dass die Frage von Entschädigungen und Reparationen „offen und aktiv“ bleibe. Es handele sich um eine „unauslöschliche Schuld“. Der griechische Staat habe „nie und in keiner Weise auf seine Forderungen verzichtet“, „eine Frage der Verjährung der Forderungen stellt sich nicht.“ Athen beziffert die deutsche Schuld samt Zinsen auf über 400 Milliarden Euro.
Premier Kyriakos Mitsotakis empfängt Steinmeier am Mittwoch in Athen. Seine konservative Nea Dimokratia hatte einst auch für die Reparationsforderungen gestimmt. Seit Juli 2019 im Amt, tut der Premier aber in der Sache nichts. Das Verhältnis zu Berlin solle nicht „vergiftet“ werden.
Steinmeier stellte vor der Ankunft klar: „Die Frage der Reparationen ist für unser Land völkerrechtlich abgeschlossen, die Frage unserer Geschichte dagegen wird es nie sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich