Deutsch-amerikanische Freundschaft: Der große Etikettenschwindel
Das Abhören von Merkels Mobiltelefonen weckt alte Ressentiments gegenüber den Amis: Die machen eh, was sie wollen. Und wir müssen lieb sein.
Einen Stich der Kränkung hat man schon verspürt, als der Republikaner Peter King, Vorsitzender des Geheimdienst-Unterausschusses im US-Repräsentantenhaus, im Sender NBC ein bisschen von oben herab sagte, die USA machten ihre Abhöraktionen doch „nicht zum Spaß. Es geht um die Gewinnung wichtiger Erkenntnisse, die nicht nur uns, sondern auch den Europäern helfen.“
Schließlich, so King, habe die NSA Tausende Leben gerettet, auch in Frankreich und Deutschland. Der Tenor war klar: Was habt ihr denn, ihr Deutschen, was soll die Aufregung um das Abhören der Telefone der Kanzlerin durch den amerikanischen Geheimdienst? Was soll das Gerede über „Vertrauensbruch“ oder gar die deutsch-amerikanische „Freundschaft“, die jetzt schwer angeschlagen sei? Hey, hier geht es um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, nicht um irgendeine Moral, ein „Vertrauen“ oder gar eine „Intimsphäre“ unter Freunden.
King und andere US-Politiker demonstrierten schon durch den Sound, um was es außerdem ging: um Überlegenheit. Und das ist der Punkt. Der Streit über die Abhöraffäre ist bestens geeignet, alte Ressentiments zwischen Deutschen und Amerikanern wiederaufzuwecken. Es sind die Ressentiments zwischen zwei ungleichen Partnern, von denen auch der Schwächere die Unterlegenheit gerne maskierte mit dem Verweis auf die unverbrüchliche „deutsch-amerikanische“ Freundschaft, die der Stärkere dem Abhängigen gerne in paternalistischer Geste zugestand.
Keine Freundschaft, ein Zweckbündnis
Angela Merkel hatte erklärt: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Stimmt. Aber das deutsch-amerikanische Verhältnis ist und war nun mal keine Freundschaft, sondern ein Zweckbündnis. Es begann bekanntlich im Kalten Krieg, in dem der eine Partner Besatzer und Aufbauhelfer war und der andere schuldiger Kriegsverlierer. Auch wenn die Amerikaner Bonbons verteilten: Weniger Freundschaft kann eigentlich nicht sein, aber politisch sinnvoll war es schon, auf eine so ambivalente Beziehung nach außen die Kategorie „Freundschaft“ draufzupappen.
Dieses „Branding“ der deutsch-amerikanischen Beziehungen als Freundschaft ist in eine ernste Krise geraten. Die Bilder der Kanzlerin mit Barack Obama, auf denen sich beide tief in die Augen blicken, funktionieren einfach nicht mehr, wenn man weiß, dass einer der Partner hintenrum seine Horchposten in Stellung gebracht hat.
Da hilft auch nicht ein bisschen Moralgetue, damit die Bundesregierung ihr Gesicht waren kann. Die moralische Debatte, die nun entbrannt ist, kennt man aus Ehen, in denen ein Machtungleichgewicht auftritt. Der oder die Stärkere nimmt sich Freiheiten heraus, die so nicht verabredet waren. Dem Schwächeren bleibt nur das Pochen auf irgendeine Ehemoral, die verletzt wurde. Den Stärkeren moralisch bloßzustellen ist eine letzte Form der Rache. Meist klappt das nicht.
Dabei vermerkt schon Aristoteles in der „Nikomachischen Ethik“, dass eine Freundschaft unter Ungleichen eine äußerst heikle Sache ist: „Man sieht das deutlich, wenn unter verschiedenen Personen ein großer Abstand bezüglich […] des Wohlstandes oder sonst einer Sache herrscht: da ist man nicht mehr Freund und beansprucht es auch nicht […]. Eine genaue Bestimmung, wie weit der Unterschied gehen darf, um noch für eine Freundschaft Raum zu lassen, ist freilich nicht möglich.“
Stimmt. Allerdings hat das Ganze auch eine satirische Seite. Horchposten in der US-amerikanischen Botschaft in Berlin, das millionenfache Sammeln von Telefondaten in Spanien durch die NSA, in Rom durchforsten die Polizisten die Gullys und Kanalschächte rund um die US-Botschaft. Die Aufregung ist groß.
Abhörwahn und Bruderkuss
All das erinnert auch an den Abhörwahnsinn der Stasi. Und an die Zustände im Ostblock, wo sich die Regierungen mit Abhörtechnologie und Spionage kontrollierten, während sich die Staatschefs dort mit Bruderkuss begrüßten. Igitt.
Das Kontrollieren und Spionieren durch die Geheimdienste und die Lügen darüber, was man nun genau kontrolliert und ausspioniert, das gehört zusammen. Egal wie das Verhältnis aber nun gestrickt ist. Für die USA wird nicht einfach zu erklären sein, was der Kampf gegen die internationale Terrorgefahr nun genau mit dem Abhören von Merkels Handy zu tun hat.
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