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Designerin über Selbständigkeit„Etwas Naivität hilft“

Um freier arbeiten zu können, hat Produktdesignerin Regina Winther in 2020 ihr eigenes Unternehmen gegründet. Und dann legte Corona die Welt lahm.

Hat vermeintliche Sicherheit gegen kreative Freiheit getauscht: Designerin Regina Winther in ihrem Atelier in Hamburg Foto: Paula Markert
Interview von Katrin Ullmann

wochentaz: Frau Winther, tragen Sie im Alltag eigentlich vor allem Ihre selbst designten Rucksäcke und Taschen?

Regina Winther: Nein. Aber ich muss sagen, ich habe wirklich sehr, sehr viele Taschen, weil ich natürlich an diesem Thema interessiert bin

wochentaz: Und was genau interessiert Sie daran?

Winther: Taschen sind schön, aber auch funktional. Sie sind eben nicht reine Dekoration.

Im Interview: Regina Winther

Regina Winther wurde 1977 in Neustadt am Rübenberge in Niedersachsen geboren. Um an der Hochschule Hannover Industrial Design zu studieren, nahm sie bei einer Nonne Zeichenunterricht. 2003 schloss sie ihr Studium ab und arbeitet seither in Hamburg als Produktdesignerin. Sie spezialisierte sich auf Taschen, arbeitete mehrere Jahre fest angestellt, mehrere Jahre als Freelancer. 2020 gründete sie, gemeinsam mit Carolin van Eupen, mit kaala ihre eigene Marke.

wochentaz: Könnten Sie ohne Taschen nicht leben?

Winther: Ohne Taschen leben kann, glaube ich, niemand. Aber es können sehr viele Leute – gerade im Vergleich zu mir –mit nur sehr wenigen Taschen leben.

wochentaz: Was hat Sie eigentlich ursprünglich zum Design gebracht?

Winther: Ich wollte kreativ arbeiten, aber auch etwas Praktisches machen und mit meinen Händen arbeiten.

wochentaz: Und nach dem Abitur haben Sie sich mit einer Mappe an einer Designhochschule beworben?

Winther: Ich bin auf einem Dorf in Niedersachsen groß geworden, da gab es keine Mappenvorbereitungskurse. Aber in einem Nachbardorf gab es in einem Kloster eine Nonne, die Zeichenunterricht gab. Das hatte sich rumgesprochen. Da dachte ich, das wäre gut für eine Mappenvorbereitung. Mehrere Wochen bin regelmäßig zu ihr geradelt. Um sechs Uhr morgens musste ich da sein. Wir haben einen Tee getrunken und besprochen, was und woran ich arbeite. Dann ist sie bis mittags verschwunden. Und als sie wiederkam, hat sie meine Arbeiten kommentiert. Das war schon kurios.

wochentaz: Eine Nonne in Ordenstracht, die Zeichenunterricht gibt?

Winther: Ja, das gab dem Ganzen so eine Entschlossenheit und eine Ernsthaftigkeit. Mit der Mappe wurde ich dann an der Hochschule in Hannover angenommen und haben Produktdesign studiert.

wochentaz: Hat Ihre protestantische Zeichenlehrerin das mitbekommen?

Winther: Für sie war das alles Teil einer Routine. Ich habe ihr irgendwann mal eine Karte geschrieben, aber dann bin ich weggezogen. Das Leben ging weiter.

wochentaz: Und wie kamen Sie ausgerechnet auf Produktdesign?

Winther: Von Produktdesign hatte ich noch keine so genaue Vorstellung, aber für mich klang es gut und am vielseitigsten. Im Studium habe ich schnell festgestellt, dass klassisches Industriedesign recht nüchtern und nicht ganz mein Ding ist. Durch ein paar Zufälle bin ich dann bei den Taschen gelandet. Textile Produkte sind für mich ein spannendes Thema, weil man rasch etwas ausprobieren kann. Man kann sich mit einfachen Papiermodellen an die Form herantasten und schnell einen Prototyp nähen.

wochentaz: Vor ein paar Jahren haben Sie beschlossen, mit kaala Ihre eigene Marke für Yogataschen zu gründen.

Winther: Ja, 2019 war die Vorbereitungszeit, also die Entwicklungsarbeit. Das heißt, da habe ich das Konzept entwickelt, verschiedene Entwürfe ausprobiert, einen Produzenten gesucht und einen Prototyp erstellt. 2020 kam der offizielle Start der Marke mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne.

wochentaz: Da waren Sie Anfang 40.

Winther: Ja.

wochentaz: Fühlt man sich da in der Start-up-Szene nicht schon ganz schön alt?

Winther: Bei den klassischen Start-up-Veranstaltungen schon. Aber ich hatte vorher zum Gründen schlicht keine Zeit. Ich habe studiert, angestellt und freiberuflich gearbeitet und zwei Kinder bekommen. Natürlich hat es auch Vorteile für eine eigene Markengründung, wenn man so ein bisschen Berufserfahrung gesammelt hat.

wochentaz: Welche zum Beispiel?

Winther: Ich habe viel über Produktionsprozesse gelernt, bin selbst zu Produktionsstätten in Fernost und Portugal gereist und habe wertvolle Kontakte zu Produzenten geknüpft. Auch die Zusammenarbeit mit Start-ups als Designerin war eine gute Vorbereitung für das eigene Vorhaben, weil ich so Ein­blicke bekommen habe, was alles dazugehört eine Marke aufzubauen.

wochentaz: Was war denn Ihre Motivation, eine eigene Marke zu gründen?

Winther: Nachdem ich mehrere Jahre angestellt gearbeitet hatte, habe ich mich als Freelancer selbstständig gemacht. Ich hatte davor die Vorstellung, selbstbestimmter zu arbeiten, fand aber die ganze Situation nicht zu 100 Prozent zufriedenstellend. In meinen kreativen Arbeiten war ich doch nicht so eigenständig, wie ich gedacht hatte. Daher kam mein Impuls, etwas Eigenes zu gründen.

wochentaz: Das ist ein ganz schön mutiger Schritt.

Winther: Etwas Naivität hilft auch, den ersten Schritt zu wagen. Wenn ich zu lange darüber nachgedacht hätte, was alles schiefgehen könnte, hätte ich es vielleicht gar nicht gemacht.

wochentaz: Hatten Sie denn dabei schon konkret an ein Taschenlabel gedacht? Oder hätten Sie auch ein Café eröffnet?

Winther: Ich wollte in erster Linie etwas Eigenes machen. Und habe über sehr viele verschiedene Richtungen der Gründung nachgedacht. Ich war ein, zwei Jahre in der Findungsphase. In der Zeit habe ich viele Workshops besucht und lange überlegt. Aber mich dann dafür entschieden, etwas zu machen, womit ich mich auskenne. Und so habe ich dann die Taschenmarke gegründet.

wochentaz: Ist es nicht super teuer, zu gründen?

Winther: Während der Workshops habe ich viele unterschiedlichen Leute kennengelernt, die mir Mut gemacht haben und die mich auch auf die Idee des Crowdfundings gebracht haben. Für die Crowdfunding-Kampagne ist dann meine Gründungspartnerin Carolin van Eupen mit eingestiegen. Das war 2020.

wochentaz: Und in diesem Jahr kam Corona … Yoga-Kurse wurden abgesagt oder fanden nur online statt. Wie haben Sie diese Krise erlebt und bewältigt, die Sie ja so gar nicht steuern konnten?

Winther: Rückblickend würde ich sagen, es ist besser, man durchlebt so eine Krise gleich zu Beginn einer Gründung. Uns hat sie auf eine Art auch positiv ausgebremst: Wir haben immer nur die kleinsten möglichen Schritte gemacht und die Kosten gering gehalten. Unser Produktionspartner, der uns sehr entgegengekommen ist, hat für uns Mini­mengen produziert. Und da wir auf keine Messe gehen konnten, hatten wir erst mal nur ein paar Läden in Hamburg, wo unsere Rucksäcke vertreten waren. Und wir haben unterschiedliche Onlinekanäle genutzt. Außerdem hatten wir in der Aufbauphase noch keine Angestellten und damit auch keine Personalverantwortung.

wochentaz: Welche Erfahrungen haben Sie aus der Krise mitgenommen?

Winther: Sie hat uns selbstbewusster gemacht, weil es trotzdem immer weiter ging, obwohl die Bedingungen so extrem schwierig waren.

wochentaz: Haben Sie während der Coronakrise den Schritt mit der Gründung bereut?

Winther: Nö. Man denkt ja oft, ein angestellter Job bedeutet Sicherheit und ein eigenes Unternehmen bedeutet vor allem Risiko, aber gerade während der Pandemie hat man ja erlebt, dass das Angestelltsein gar nicht so sicher ist. Viele Menschen mussten in Kurzarbeit gehen oder haben sogar ihre Jobs verloren. Mit einem eigenen Unternehmen ist man in einer aktiveren Rolle und weniger abhängig. Man kann selbst mehr Einfluss nehmen.

wo­chen­taz: Was war oder ist für Sie als Gründerin dabei die größte Herausforderung?

Winther: Wenn man ein eigenes Label gründet, dann deckt man als Produktdesigner nur ein kleines Spektrum ab. Die Anfangsphase, also die Entwicklungsarbeit, war vertrautes Terrain, aber danach kommt erst der riesige Aufgabenbereich rund um Vertrieb, Marketing und Finanzpläne. Ich habe es dann einfach andersherum gedacht: Jemand, der BWL studiert hat und für den das selbstverständlicher ist, was Eigenes zu gründen, holt sich ja auch die fehlenden Kompetenzen dazu. Und wenn das so rum funktioniert, muss es auch umgekehrt funktionieren. Die größte Herausforderung dabei war, dass man sich erst mal in alles selbst einarbeiten muss. Ich konnte ja nicht gleich Leute einstellen.

wochentaz: Und was war für Sie die größte Überraschung oder auch die größte Erkenntnis, jetzt, vier Jahre später?

Winther: Als Designerin dachte ich immer, wir und die Produzenten machen doch eigentlich den größten Teil der Arbeit. Dieser ganze Apparat, der in den Unternehmen drinsteckt, also der ganze Vertriebs- und Marketingapparat, den braucht es nicht wirklich, damit dieses Produkt entsteht. Und jetzt weiß ich, dass es genau andersherum ist. Das hätte ich allerdings nicht gerne vorher gewusst. Es hätte mich sicherlich abgeschreckt.

wochentaz: Und wie sieht Ihr Leben als Gründerin inzwischen aus? Ist es so selbstbestimmt, wie Sie sich das vorstellt haben?

Winther: Ja, mir gibt es schon ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, ein eigenes Label in die Welt gesetzt zu haben. Inzwischen habe ich mit Carolin van Eupen eine Unternehmenspartnerin und wir sind in Läden in ganz Deutschland zu finden. Wir haben sogar einen Distributor in Japan. Wenn ich unseren Namen google, dann taucht die Marke in ganz vielen anderen Online-Shops auf. Wenn wir auf Messen sind, kommen oft auch mal Kunden direkt zu uns und geben uns Feedback. Etwas, das 2019 nur eine vage Idee war, hat nun langsam Gestalt angenommen. Das ist ein gutes, ein sehr gutes Gefühl.

wochentaz: Sie reisen zu Sport- und Yoga-Messen, um dort Ihre Produkte zu präsentieren. Das ist vermutlich auch eine ganz neue Erfahrung.

Winther: Wenn wir persönlich auf einer Messe stehen, können wir tatsächlich am besten potenzielle Käufer überzeugen. Sie sehen, dass da zwei Personen sind, die diese Marke allein aufgebaut haben und die Idee und die Produkte gut erklären können.

wochentaz: Und wie sieht Ihr Messestand aus?

Winther: Vor unserem ersten Messeauftritt haben wir bei Etsy ein Standsystem gekapert, das wir, wenn wir zusammen unterwegs sind, in fünf Taschen verpacken können. Die kriegen wir sogar in einen ICE oder einen VW Bus, den wir bis unters Dach voll packen. Wir haben beide schon ein Auge dafür, wie wir einen Messestand auch mit wenigen finanziellen Mitteln zu einem ganz attraktiven Stand machen. Egal, wo und auf welcher Messe wir sind, wir haben natürlich den kleinstmöglichen Stand – meistens sind das so vier Quadratmeter.

wochentaz: Taschen sind ja erst mal etwas völlig Leeres, das seinen Sinn erst suchen muss – und Taschen sind trotzdem als rein äußerliches Accessoire modisch aufgeladen. Daher sind Taschen auch immer ein Zeichen ihrer Zeit. In den 90er Jahren war die Kurier- und Umhängetasche ein Muss, dann kam die Bauchtasche, dann der eher kleine Rucksack. Gerade sieht man im Alltag sehr viele Alles-Könner-Fahrradtaschen.

Winther: Taschen drücken immer auch etwas über die Persönlichkeit desjenigen aus, der sie trägt. Ob jemand mit einer robusten Fahrradtasche unterwegs ist, der dann bestimmt auch eine gute Regenhose besitzt, oder mit einer teuren Clutch – für jedes Outfit eine andere – oder mit einem Stoffbeutel, der ja eigentlich eine Nicht-Tasche ist, aber schon lange ein klares Fashion-Statement. Taschen sind immer auch Codes, um sich einer bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen. Im Augenblick geht es aber auch sehr um die Multifunktionalität einer Tasche. Und Fahrradtaschen sind ein großes Thema – Mobilität in der Stadt generell. Auch jede technische Entwicklung hat Auswirkungen auf das Taschendesign. Taschen werden immer so konstruiert, dass die neu entwickelten Geräte gut transportiert werden können – mit Fächern für Tablets, Handys, Laptops …

wochentaz: Taschen halten einerseits sehr lang, sind aber andererseits den wechselnden Trends unterworfen. Oder aber die Technik, die wir mit uns herumtragen, passt nicht mehr in sie rein. Wie schaffen Sie mit ihren Produkten diesen Spagat?

Winther: Unsere Idee war, etwas Bewährtes zu machen und gleichzeitig eine Nische zu finden. Yoga ist mittlerweile ein Volkssport geworden und man sieht immer wieder Leute mit Taschen und einer separaten Matte, die sie sich umgehängt haben, und die das Ganze dann umständlich auf dem Fahrrad jonglieren. Das zu optimieren war unser Ansatzpunkt. Es sollten aber auch keine Taschen sein, die man jetzt nur für diese eine Gelegenheit, den Weg zur Yogaklasse, nutzen kann. Deswegen das Laptopfach, damit man die Tasche auch mit zur Arbeit nehmen kann.

wochentaz: Haben Sie an eine bestimmte Zielgruppe gedacht?

Winther: Wir haben uns den Markt und die wichtigsten Lifestyle-Trends angeschaut und so unsere Zielgruppe analysiert. Aber aus eigener Beobachtung würde ich sagen, es sind Menschen, die in der Stadt leben und etwas Schlichtes und Alltagstaugliches brauchen. Also etwas ohne Batikmuster oder Mandalas.

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