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Der verhexte Bahnübergang

Lindau (taz) – Nirgendwo sonst in Deutschland hat es bislang so was gegeben wie im Lindauer Stadtteil Oberreitnau. Mindestens zwölfmal in den vergangenen zwei Jahren blieb dort am Bahnübergang der Hauptstrecke Zürich – Lindau – München die Schranke geöffnet, obwohl ein Zug kam. Und das nicht etwa immer nur nachts und auch nicht immer beim selben Schrankenwärter. Mal passierte es frühmorgens, mal am Mittag oder auch am Abend.

„Meines Erachtens ist dieser Bahnübergang verhext“, meint der Land- und Gastwirt Anton Strodel, der am diesem Morgen mit seinem Schlepper am Übergang stand, als wieder einmal der Zug durchrauschte. Und kaum hat er diesen Satz ausgesprochen, nicken alle, die um ihn herumstehen. Jeder von ihnen, der sich, kurz nach dem neuerlichen Zwischenfall, an der Bahnschranke eingefunden hat, hat es schon erlebt. „Ich hab' noch gehört, wie er ein paar Klingelzeichen gegeben hat, aber das war auch schon alles“, berichtet Hans Wirth. „Der Zug raste trotzdem bei offener Schranke durch, bremste noch und kam erst ein paar hundert Meter weiter, vorne am Bahnhof, zum Stehen.“ Es geht aber auch genau andersherum. Eine junge Mutter, die gerade mit ihren beiden Kindern vorbeikommt, berichtet, wie es ihr ergangen ist. „Ich bin mit dem Fahrrad drüber. Plötzlich ging die Schranke zu, und ich stand drin. Der Zug brauste an mir vorbei, aber ich kam mit dem Schrecken davon.“

Peinlich genau haben die Bürger von Oberreitnau die offenen Schranken aufgelistet. Ein Wunder sei es, daß es nur einmal, im März diesen Jahres, zu einem schweren Unfall gekommen ist. Aber als ein Dorfbewohner zig Meter mit seinem Jeep vom Zug mitgeschleift wurde, weil wieder mal die Schranken offen waren, als er und seine Frau verletzt geborgen wurden, da platzte ihnen der Kragen. Zumal einen Monat später wieder die Schranken offen waren – diesmal angeblich wegen eines „Ermüdungsbruchs“ am Zugseil. Es folgte eine Mahnwache, danach eine Unterschriftensammlung, Druck auf die Bahn.

Am 2. Mai, so der Lindauer Oberbürgermeister Jürgen Müller, habe ihm die Bahn AG mitgeteilt, daß Ende 1996, spätestens aber im Frühjahr 1997 eine automatische Schranke installiert sei. Doch so klar, wie es schien, ist das längst nicht. „Erst dieser Tage haben wir erfahren, daß die Finanzierung nicht gesichert sei“, ärgert sich der Lindauer Bauamtschef Bernd Mildner. Die Bahn möchte, daß sich die Stadt Lindau an den Umbaukosten beteiligt. Doch die protestiert. Schließlich sei die Bahn alleine für die Sicherheitsmängel und deren Behebung verantwortlich, und zudem würde sie ja auch Personal sparen, wenn endlich die automatischen Schranken kämen.

Die Anwohner kochen vor Wut wegen dieser Verzögerung. Sie finden es auch gar nicht lustig, daß, was immer wieder mal vorkommt, ein Zug anhält, ein Zugbegleiter aussteigt, den Bahnübergang sichert, die Lok einen schrillen Pfiff losläßt und dann weiterfährt. So mehrfach beobachtet, wenn wieder einmal der Schrankenwärter nicht reagierte. Es müsse Schluß sein mit den offenen Schranken an diesem verhexten Übergang. Einige marschieren vor zum Bahnhof, stellen den noch immer blassen Schrankenwärter zur Rede. Doch der darf offiziell überhaupt nichts sagen. Der Bahnsprecher in München verweist auf das langwierige Genehmigungsverfahren, das nicht zuletzt die Anlieger und die Stadt verzögert hätten, und er erinnert an die langen Lieferzeiten für automatische Schranken. Ende 1997 glaubt er, könnte der Umbau aber abgeschlossen sein. Klaus Wittmann

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