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taz FUTURZWEI

Der taz FUTURZWEI-Kommentar Geistig hohle Partei

Friedrich Merz glaubt offenbar, er könnte eine Zusammenarbeit mit der AfD in seinem Sinne steuern. Das ist der Anfang vom Ende – der CDU/CSU.

Der einsame Abschied von der demokratischen Mitte: Friedrich Merz, Kanzlerkandidat Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

taz FUTURZWEI | „Zustrombegrenzungsgesetz“, die am vergangenen Freitag gescheiterte Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist schwarze Poesie. Der Begriff soll beinhalten: Die Flut des Fremden aus der ganzen Welt überschwemmt unser Leben. Mit hohen Dämmen und hochgezogenen Grenzen muss unser Land gegen alles Fremde befestigt werden.

Die 6.000 syrischen Ärzte, die in unseren Krankenhäusern arbeiten, all die anderen, die an vielen Stellen wohl integriert arbeiten, sollen verschwinden, obwohl bekannt ist, dass sie in Syrien in einem islamistischen Regime leben müssten. Die vielen tausend Pflegekräfte aus der ganzen Welt, die sich um unsere Alten kümmern, sollen ausreisen, obwohl es niemanden gibt, der sie ersetzen könnte.

Ich habe gerade mal einen Test gemacht: In den etwa 20 Restaurants in der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg gibt es keinen einzigen deutschen Koch. Es gibt auch keine Deutschen, die sie ersetzen könnten. Tausende Arbeiter auf den Baustellen sollen ausreisen, obwohl ein Neubau in der Republik ohne sie gar nicht mehr möglich ist.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine sollen in den täglichen Bombenhagel der Russen zurückkehren. Diese Aufzählung ließe sich beliebig verlängern.

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Ohne „Zustrom“ ist es mit dem Wohlstand vorbei

Der Punkt ist: Ohne „Zustrom“, also geregelte Zuwanderung, viel Aufwand fürs Integrieren und Toleranz gegenüber allem Fremden wäre es mit unserem Wohlleben und unserer sozialen Sicherheit vorbei. Richtig Angst vor der Zukunft muss man nur haben, wenn die Zuwanderung aufhörte. Dann hat die Republik keine Zukunft.

Zwar wurde das „Zustrombegrenzungsgesetz“ von der Mehrheit des Bundestages knapp abgelehnt, aber das populistische Drohen vorm „Zustrom“ geht weiter. Politische Aufgabe für alle liberaldemokratischen Parteien bleibt es aber, Zuwanderung positiv zu besetzen, und rechtsfest zu organisieren.

Die Bundesrepublik und ganz Europa sind, wie die USA und Kanada, eine attraktive Einwanderungsregion. Das biologische Volksmodell hat lange ausgedient. Die Staatsnation der Zukunft ist verfassungsrechtlich begründet. Zuwanderer in diese Regionen müssen die Verfassungsgebote der Zuwanderungsregion leben. Dieser Anspruch muss auch mit Nachdruck durchgesetzt werden.

Warum setzen nun Friedrich Merz und die CDU/CSU mit schwarzer Poesie auf Fremdenangst, warum schüren sie Fremdenhass? Warum nehmen sie sogar die Zusammenarbeit mit der AfD in Kauf, einer offen rechtsradikalen Partei?

Und das auch noch am Tag der Gedenkstunde an die Befreiung des Nazi-Konzentrationslagers Auschwitz, in der das Lernen aus den deutschen Verbrechen wieder wortreich beschworen worden ist. Es verwundert nicht, dass einige Auschwitz-Überlebende wegen dieser Vorgänge im Bundestag ihre Staatsehrungen im Briefkasten des Bundespräsidenten entsorgen wollen.

Die Union als Totalausfall

Meine Antwort lautet: Weil die CDU/CSU eben keine klassische, politisch konservative Partei mehr ist, in der Erfolg und Anstand, Macht und Verantwortung das Bewährte und ein politisches Zukunftsprogramm verbunden wären. Der aktuelle Kanzlerkandidat Merz verkörpert nur noch einen lauten, aber geistig hohlen Machtanspruch.

CDU/CSU fallen für die Bewältigung der großen Zukunftsprobleme aus. Weder Klimakrise, Systemkrise oder die Globalisierung als Weg zu einer demokratischen Weltgesellschaft sind für sie politikfähige Herausforderungen. Zwischen der AfD und der CDU gibt es vor diesem Hintergrund keine programmatische Differenz mehr, die über die krakeelende, verbale Abgrenzung hinausreichte.

Beide setzen auf die autoritäre Karte des Gestern für immer. Sie ignorieren die unvermeidbaren Zwänge und Folgen eines ernsthaften Ringens um Zukunft. Sie instrumentalisieren die Ängste, die auf diesem Weg entstehen, durch autoritäre Ansagen und das Versprechen von Härte und Ordnung.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Kein Unfall und Erpressung

Das gemeinsame Abstimmen von CDU/CSU und AfD in der Migrationspolitik ist kein Unfall. Es ist der Beginn einer organisierten Zusammenarbeit von politisch Gleichgesinnten, die das nur noch mit gegenseitigem Beschimpfen vor den Wählern zu verbergen suchen.

Taktisch gesehen kann man sagen, dass Merz schon Wochen vor wahrscheinlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD und den Grünen die AfD-Karte ins Spiel gebracht hat. Wenn SPD und/oder Grüne nach der Bundestagswahl nicht bedingungslos den Vorgaben von Merz und der CDU/CSU folgen, dann sollen sie schon jetzt dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Union dann Staatsräson halt in Gottes Namen eine Regierung mit der AfD bilden muss.

Merz glaubt offenbar, er könnte eine mögliche Kooperation (oder muss man sagen: Kollaboration?) mit der AfD in seinem Sinne steuern. Er und seine Leute übersehen dabei aber die Folgen ähnlicher Versuche in den anderen europäischen Ländern.

In Österreich, Italien, in Frankreich, in Holland und Belgien, gibt es keine allein mehrheitsfähigen, konservativen Parteien mehr. Ihnen ist in der Kooperation mit den Populisten selten mehr eingefallen, als deren Parolen moderat zu modulieren. Das hat sie um ihre eigene Mehrheitsfähigkeit gebracht, zum Verschwinden regierungsfähiger konservativer Parteien geführt und das politische Feld für die Populisten noch weiter geöffnet.

Wenn die CDU/CSU das und ihren eigenen Abgang in die Bedeutungslosigkeit noch aufhalten will, dann müsste sie mit den Grünen und der SPD einen Zukunftspakt auflegen, der auf alle populistischen Anbiedereien verzichtet. Merz und die CDU/CSU sind dazu weder bereit noch in der Lage.

Grüne und SPD allein können eine CDU/CSU/AfD-Regierung in den nächsten vier Jahren nicht mehr verhindern. Das ist indes kein Grund, jetzt in die moralisierende Rhetorik vom neuen '33 in Deutschland zu verfallen, so eklig, so dumm, dieses zu erwartende Bündnis auch sein mag. Die Grüne und vielleicht auch noch die SPD haben die Aufgabe, den demokratischen und antipopulistischen Gegenpol zu besetzen und zu stärken.

Das ist der Auftrag für beide Parteien, ihre Vorstellung von einer glückenden Zukunft Europas so mehrheitsfähig zu machen, dass AfD und die Merz-Union schon bald wieder aus ihren Ämtern abgewählt werden.

Zeitgleich mit Trumps Abtritt könnte dann 2029 auch bei uns wieder ein Wende zum Zukunftsfähigen möglich werden. Die CDU/CSU wird es dann als konservative Werte-Partei mit Führungsanspruch definitiv nicht mehr geben.

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