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Der sonntaz-StreitSind Juden hier noch sicher?

Kommentar von Elisabeth Bauer

Seit Wochen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen auf propalästinensischen Demonstrationen. Einige Juden überlegen, Deutschland sofort zu verlassen.

Am Rande der Meinungsfreiheit: propalästinensische Demonstration in Berlin. Bild: dpa

W as sich in den vergangenen Wochen auf den Demonstrationen gegen den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen abspielte, erinnerte manchmal an eine vergangen geglaubte Zeit: judenfeindliche Parolen wurden gerufen und Hetzplakate mit antisemitischen Slogans in die Luft gehalten.

Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, reagierte verständnislos auf die fehlende Unterstützung in der Zivilgesellschaft: „Warum gibt es keine Welle der Solidarität mit uns Juden angesichts der Welle von Antisemitismus?“, sagte er gegenüber der Rheinischen Post.

Nicht nur in Berlin spürte man die antisemitische Stimmung. In Frankreich gab es 18 Festnahmen in zwei Pariser Vororten: Synagogen waren attackiert und Autos angezündet worden. In Wuppertal wurde eine Synagoge angegriffen – mit mehreren Molotow-Cocktails.

Auch wenn die Polizei bestimmte judenfeindliche Parolen, die mehrfach auf Kundgebungen gerufen worden waren, verboten hat – die Stimmung bleibt angespannt. Jüdische Verbände fürchten um die Sicherheit ihrer Gemeindemitglieder im postmodernen Deutschland. Besorgte Anrufer erkundigen sich beim Zentralrat der Juden, ob es besser sei, sofort das Land zu verlassen. Leben Juden in Deutschland noch sicher?

Oder übertreiben die Stimmen, die von einer neuen Welle des Judenhasses sprechen? Beim diesjährigen Al-Quds-Tag in Berlin, der größten alljährlichen Kundgebung gegen Israel in Deutschland, kam es „nur“ zu drei Festnahmen - unter anderem aufgrund eines Plakats mit judenfeindlichen Parolen darauf. Gegen den Hetzredner Bilal Ismail, der in der Al-Nur-Moschee in Berlin Anhänger des Judentums beschimpft und bedroht hatte, wurden mittlerweile 15 Strafanzeigen eingereicht.

Während die Sorge vor einem neuen „islamischen Antisemitismus“ wächst, weist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman A. Mazyek, die Vorwürfe zurück. Der überwiegende Teil der Menschen habe von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und das seit Wochen andauernde israelische Bombardement verurteilt, sagte Mazyek in einem Interview. Es hätten sich „Radikale unter die Demonstranten gemischt“. Mazyek ist überzeugt: „Antisemitische Parolen und Judenhass haben in unseren Reihen nichts verloren.“

Was denken Sie? Sind Juden in Deutschland noch sicher? Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der taz.am wochenende vom 09./10. August 2014. Ihr Statement sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns eine Mail an: streit@taz.de.

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6 Kommentare

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  • 900 Zeichen sind für solch ein Thema viel zu wenig. Die, die am Sonntag dann auch zu Wort gekommen sind, haben, mit zwei Ausnahme, nichts kluges dazu beigetragen. Aber die Gelegenheit dazu genutzt Isreal die Schuld an der Situation der Juden zu geben. Einen guten Beitrag zu dem Thema findet ihr auf diesem Blog: http://phbruckmann.wordpress.com/2014/08/09/taz-sind-juden-hier-noch-sicher/

    • @Lilundu:

      ,

      .... der Apologet, auf den Sie verlinken, hat mit seinen 7295 Zeichen (leider) auch nichts "Kluges dazu beigetragen", außer einen ausufernden, selbsgerecht-tendenziösen Salm, wie er aus bekannten Kreisen längst notorisch ist.

  • Allmählich wird ’s fad’, bei jeder Gelegenheit (Beschneidungsdebatte) "sofort" konzertiert das Land verlassen zu wollen, resp.: damit indirekt zu drohen, wie vorgeblich auch aktuell wieder:

    "Besorgte Anrufer erkundigen sich beim Zentralrat der Juden, ob es besser sei, sofort das Land zu verlassen."

    Wieso sollte man sich durch bekunden einer eingeforderten(!) "Solidarität", 'besser': Akzeptanz des Judentums (einer Religion von vielen) dem 'Verdacht' aussetzen, damit nicht nur das Phänomen: Religion, sondern implizit auch das Vorgehen des israelischen Staates gutzuheißen, zumal sehr vermutlich auch die Mehrheit der in D lebenden Juden selbst jegliche Trennschärfe zwischen Judentum und dem Vorgehen des israelischen Staates vermissen lassen? Warum erwarten (deutsche) Juden (Religionsanhänger), dass primär andere für Ihre Anliegen auf die Strassen gehen? Hat es in der jüngeren Geschichte der BRD auch nur jemals eine einzige relevante Demo von Juden gegeben, oder ist jenen derlei nicht zuzumuten? Sich, wie Herr Graumann in der Rheinischen Post zu Protokoll gibt, auf die "sich klar und vorbildlich positioniert[-en]" "politischen Eliten" stützen zu wollen, dürfte nicht ausreichen und zeugt von einem zweifelhaften Selbstverständniss.

    Nein, ein exzeptionelles Sicherheitsdefizit für Juden in D sehe ich nicht – insbesondere im Vergleich zu einem Leben in Israel oder Gaza.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Sind wir hier und überall auf Erden noch sicher, bzw. bilden wir uns das in gewohnt ignoranter Arroganz immernoch ein???

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      Ist die stumpf-, blöd- und wahnsinnig-kreislaufende Hierarchie von und zu materialistischer "Absicherung" in Gefahr???

  • „Warum gibt es keine Welle der Solidarität mit uns Juden angesichts der Welle von Antisemitismus?“,

     

    Ganz einfach: diese würde sich gegen Menschen und Einstellungen richten, die es so in Deutschland ja angeblich gar nicht gibt. Und versuchen Sie einmal, 1.000 Menschen mit Steuerzahlerhintergrund für irgendein Thema (außer Fussball) auf die Strasse zu bekommen. Das wird aber schwierig, im allgemeinen Mutti-Wohlfühlklima. Und schauen Sie sich die Demonstranten an. 60 Jahre gebücktes Gehen haben ihre Wirkung hinterlassen. Niemand, der etwas zu verlieren hat, traut sich mehr, Zivilcourage für andere zu zeigen und seine Gesundheit zu riskieren, um für die Juden in Deutschland Flagge zu zeigen.