Der schwerste Athlet von Olympia: Der Koloss aus Mikronesien
Er habe keine Diätgeheimnisse, sagt Ricardo Blas Jr. aus Guam. Satte 218 Kilo bringt der Judoka auf die Waage. So viel wie noch niemand vor ihm.
„Nein“, versichert Ricardo Blas Jr., „ich habe keine Diätgeheimnisse.“ Er esse einfach alles gern, berichtet der Judoka aus Guam. Reichlich Protein, eine Menge Rind, und auch sehr, sehr viel Huhn. Und übrigens: „Ich liebe Barbecues am Strand, so wie alle meine Landsleute.“ Mit diesen Vorlieben hat es der 25-Jährige, der am Freitag in der Klasse über 100 Kilogramm antritt, zu Berühmtheit gebracht in London.
Er ist der schwerste Athlet in der 116-jährigen Geschichte der Olympischen Spiele. Über 20 Kilogramm schwerer noch als der legendäre Ringer Chris Taylor (USA), den Wilfried Dietrich 1972 in München mit einem spektakulären Überwurf bezwang und sich so den Namen „Der Kran von Schifferstadt“ erwarb. Satte 218 Kilogramm bringt Blas Jr., der Koloss aus dem westlichen Pazifik, auf die Waage. Sein Spitzname: „Little Mountain.“
Mit seiner Physis ist Mr. Blas Jr. ein radikaler Gegenentwurf in dieser Messe der perfekt proportionierten Körper, die das größte Sportfest der Welt auch immer darstellt. Bizeps und Trizeps werden verglichen, präsentiert wird viel nackte Haut, gern auch verziert mit Tätowierungen aller Art.
In dieser Welt ist Fastfood verpönt, eine Sünde. Und man kann sich lebhaft vorstellen, wie entsetzt diese Armee der Asketen auf jemanden wie Mr. Blas Jr. reagiert, wenn dieser durch ein Schnellrestaurant marschiert und sagt: „15 Cheeseburger, bitte“. Der kleine Berg ist ein Außerirdischer in dieser Welt der perfekten Körper.
Mit den Pfunden steigen die Ambitionen
Der Freund des Barbecues ist nicht das erste Mal bei Olympia. Schon 2008 in Peking hat er viel Aufmerksamkeit erregt. Damals verlor er seine beiden Kämpfe, jeweils durch Passivität. Auch in London dürfte er nicht tänzeln, wie einst Muhammad Ali. Denn er hat seither noch einmal ein paar Kilo draufgelegt. Mit den zusätzlichen Pfunden sind auch die sportlichen Ambitionen gestiegen. Vor Peking hatte er sich zum Ziel gesetzt, einen Kampf zu gewinnen. Nun sagt er: „Mein größtes Ziel ist es, eine olympische Medaille zu gewinnen.“
Blas Jr. kommt aus einer sportlichen Familie. Sein Vater und zwei Cousins gehörten 1988 zu den ersten Olympiateilnehmern des mikronesischen Eilands, sie alle waren Judoka. Damals war der Junior keine zwei Jahre alt. Als er fünf war, trieb ihn sein Vater auf die Matte. „Zu Beginn wurde ich zum Judo gedrängt. Ich habe es gehasst“, erzählt er. Er habe lieber, wie alle Kinder, einfach nur spielen wollen. Aber alle Ausreden halfen nichts. „Da gab es keine Entschuldigungen und keine Pausen.“
Und so steht er nun wieder hier, bei den Olympischen Spielen, im gleißenden Scheinwerferlicht. Blas Jr. hat sogar die Fahne vor den sieben weiteren Teilnehmern Guams getragen. Entschieden hat das sein Vater. Der Senior ist inzwischen Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. „Mein Vater ist eine sportliche Legende in Guam“, darauf hat Blas Jr. schon vor vier Jahren hingewiesen.
Eine sportliche Legende kann auch der Junior werden, wenn er den Wettkampf in London erfolgreich bestreitet. Sein Gegner in der ersten Runde heißt Facinet Keita, ein Mann aus Guinea, 83 Kilogramm leichter. Das Ganze wird aussehen, als lägen zehn Gewichtsklassen zwischen den Kämpfern. Aber wenn der massige Mann aus Mikronesien tatsächlich eine Medaille mitnimmt, dann dürfen sich die Leute auf seiner Insel auf eine spektakuläre Strandparty freuen. Mit Barbecue, selbstverständlich.
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