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Der reale Arm einer virtuellen Bewegung

■ Vor 80 Jahren wurde in Bremen die Räterepublik niedergeschlagen / Auf dem Waller Friedhof erinnerten RednerInnen an aufrechte KämpferInnen und hoffnungslose RomantikerInnen und vergaßen dabei die Rolle der SPD

Seit Jahren sind es nur wenig mehr als 100 Menschlein, die sich am ersten Sonntag nach dem 4. Februar an der Skulptur des Bremer Bildhauers Georg Arfmann auf dem Waller Friedhof versammeln, um mit roten Fahnen in den Händen und Versen von Brecht auf den Lippen derer zu gedenken, die bei der Verteidigung der Räteherrschaft anno 1919 in Bremen fielen.

Seit zehn Jahren, mit Ausnahme des Jahres 1990, feiern die beteiligten Gruppen gemeinsam, nachdem es nach der Einweihung des Denkmals 1972 getrennte Feiern gegeben hatte: eine vom VVN-Bund der Antifaschisten unter Beteiligung der SPD, eine andere unter Ägide der DKP.

Daß seither gemeinsam gefeiert wird, geht zum großen Teil auf Willy Hundertmark zurück, einer der Initiatoren der Denkmalaufstellung und wackerer Kämpfer für die Einheit der Arbeiterbewe-gung. Doch vor allem die Redebeiträge zum 80sten Jahrestag des Ereignisses zeigten am Sonntag, wie wenig geeint der reale Arm der heute virtuellen Arbeiter-bewegung ist, der jedes Jahr auf dem Waller Friedhof gedenkt.

So hob Horst Isola (SPD) hervor, die Räteregierung habe keinen Rückhalt in der Bevölkerung gehabt. Damit war wohl für ihn das Scheitern der Revolution, an dem die SPD ihren unfeinen Anteil hatte, moralisch gerechtfertigt. Schon immer duckte die SPD vor Volkes Meinung, egal wie asylanten-, schwulen-, ausländerfeindlich sie ist. Das werden wohl demnächst auch die Reaktionen auf die desaströse Hessenwahl beweisen. Aber Moment mal: Vor der Niederschlagung der Räte gab's doch weder Volksentscheid noch Unterschriftenaktion. Was es schon viel eher gab, waren wirtschaftliche Interessen. Weder Isola noch die anderen Redner stellten sich der Frage, warum die Revolution wirklich scheiterte. Wie es zum Beispiel sein konnte, daß ausgerechnet ausgewachsene Revolutionäre bei den Banken um Kredite anklopfen und dann mit großen Kinderaugen staunen, wenn diese Kredite storniert werden, anstatt zu versuchen, sich selbst die Macht über das Finanzwesen anzueignen.

Auch die Debatte über die Zer-splitterung der Linken wurde nicht sehr gründlich geführt. Zwar wurde sie treuherzig beklagt. Doch daß die SPD just jener Splitter war, der die Räterepublik niedermeuchelte, hielt man wohl für nicht so erwähnens-wert. Horst Isolas Vorstellungen von der „Einigkeit“ der Arbeiterbewegung gehen aber eher in die Richtung „einig und ruhig gestellt“. So meinte er, die Spaltung einer Bevölkerung könne nie dem Frieden dienen; und das klingt ganz nach dem Boot, in dem das Volk – in „Ruhe und Ordnung“, wie es sein Parteifreund Friedrich Ebert formuliert hätte – sitzen soll. Für die SPD-Führung um Reichskanzler Ebert waren die Räterepubliken in Bremen und München eine konkrete Bedrohung. Der Versuch, ihr Bestehen und ihr Ende als tragische Geschichte eines notwendigen Scheiterns zu deuten, denunziert die Revolutionäre als Menschen, die sich „für den Traum einer Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung“ einsetzten, wie es in einer Stellungnahme von Henning Scherf heißt. Will sagen: Sie wären dann bloß gutherzige Träumer, die vor dem Hintergrund der Not des Krieges einen chancenlosen Kampf aufnahmen.

In anderen Reden wurde der Heldenmut derer gerühmt, die im Februar 1919 militärisch die politisch bereits gescheiterte Republik verteidigten. Hermann Gauthier (DKP) leitete aus dieser Niederlage gar eine revolutionäre Verpflichtung ab und schloß mit einem gewagten Ausspruch von Karl Lieb-knecht, der ganz deterministisch behauptet, die Geschlagenen von heute seien die Sieger von morgen, weil sie aus der Niederlage lernten.

Der Tenor in den Beiträgen der anderen Redner wie DASA-Betriebsrat Uwe Neuhaus (der Visionen von einer gerechten Gesellschaft vermißte und einforderte) oder des Bündnisgrünen Klaus Möhle (der forderte, mit Toleranz und Energie die Aufgaben der Zukunft anzugehen), schuf auch nicht mehr Einigkeit als der, gemeinsam der Gefallenen zu gedenken. Die Arbeiterbewegung ist sich losgelöst von ehemals vorhandenen Inhalten bloß einig darin, sich daran zu erinnern, daß es sie einst gegeben hat.

Der Buchtstraßen-Chor durfte die Veranstaltung beschließen, wie er sie eingeleitet hatte: Mit einem Lied von Bertolt Brecht, der, gedenkgeprüft wie kaum ein zweiter, auch die sporadischen Textunsicherheiten locker weggesteckt hätte. In der Moldau liegen drei Könige, auf dem Waller Friedhof knappe dreißig Arbeiter, und die Wintersonne schien mild auf die herab, die sich dies Mahnung und Verpflichtung sein lassen wollten, auch künftig einig wider das Vergessen zu stehen. Andreas Schnell

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