■ Der neonazistische Attentäter Kai Diesner ist ein Beispiel für die Gefährlichkeit von Männern auf Katastrophenkurs: Ultimativer Männlichkeitsbeweis
„Woher kommt diese Gewaltbereitschaft?“ – Nachdem Kai Diesner, Mitglied diverser neonazistischer Organisationen, die Attentate auf zwei Polizisten und den Buchhändler Klaus Baltruschat gestanden hat, werden wieder die altbekannten, schlichten Erklärungen ventiliert. Nichts ist dabei nutz- und hilfloser, als die Wurzeln vergleichbarer Gewalttaten in der Pathologie des Individuums, in der „Individualisierung“ oder im allgemeinen Faschismus (siehe Georg Seeßlen in der taz vom 1.3.) zu suchen. Vielmehr geht es um den Verlust von Männlichkeit in der Moderne.
Kai Diesner ist auch kein „Krieger“. Allenfalls ist er ein „Kämpfer“ und Rambo, der sich im Kriegszustand mit dem Staat, der Polizei und mit den verhaßten „Feinden Deutschlands“ wähnt. Ein Kämpfer, der zum Zeitpunkt der Attentate aus seinem „Kämpfer-Verbund“ herausgelöst war. Und dies hat vermutlich seine Selbststilisierung als „Ein brauner Mann sieht rot“ bestärkt.
Männer wie Diesner sind bisher beunruhigend häufig bei Amokläufen in Erscheinung getreten. Zum Beispiel im August 1987 in Melbourne, Australien: Der unehrenhaft aus der Army entlassene Möchtegernkrieger und Waffennarr Julian Knight wird an einem Samstag nachmittag von seiner Freundin verlassen, und sein Auto springt nicht an. Tragende Säulen seines wackligen Männlichkeitsgerüsts (Ehre, Frau, Fahrzeug) sind dahin. Was bleibt, ist die Rolle des einsamen männlichen Helden. Er packt seine Pump-Guns und fängt den Krieg gegen die Bevölkerung an. Er schießt aus der Deckung auf fahrende Autos, auf Menschen, die den Verwundeten und Verunglückten helfen wollen. Julian Knight und Kai Diesner gehören zu einem Männertypus, der äußerst gefährlich wird, wenn er sich auf persönlichem Katastrophenkurs befindet.
Diesner und seine Kumpane bemühen dabei das Bild des Kriegers, weil sie richtige Männer und Kämpfer sein wollen. Allerdings ist das Kriegertum dieser „rechten“ Helden nicht erlernt und verinnerlicht. Sie sind Wochenendkrieger, die weder Tugend noch Haltung, sondern nur eine Phantasie vom hohen männlichen Stellenwert als eigener Grandiosität repräsentieren. Krieger im kulturanthropologischen Sinn dagegen üben ein unattraktives Geschäft aus. Sie müssen diszipliniert sein, die Gemeinschaft, Dorf oder Stamm beschützen, immer mit den anderen zusammen, ohne wegzulaufen oder aufzugeben.
Männer wie Diesner oder die zur Demonstration gegen die Wehrmacht-Ausstellung nach München angereisten Skins und Jungnazis wollen überlegene Kämpfer sein. Allerdings ohne Mühen und Entbehrungen. Man will Nervenkitzel und Zoff mit dem Gegner oder mit der Polizei. Bei diesen Kämpfen bestätigt sich der Zusammenhalt, die oft bemühte „Kameradschaft“. Die dehumanisierenden Konzepte vom Feind, von den verachtens- und bekämpfenswerten „anderen“ (Menschen anderer Hautfarbe, Schwule, Behinderte, „Zecken“), und die Bewaffnung unterscheidet die Szene, aus der Diesner kommt, von der gemeinen Randaleszene.
Eine differenzierte Analyse der „rechten“ und „nicht rechten“ Gewaltphänomene nach 1989 zeigt, daß mit Gewaltausübung und -legitimation verknüpfte Männlichkeitsideale ein enormes Beharrungsvermögen haben. Je mehr die ehemals als „selbstverständlich“ männlich erachteten Funktionen (Familienversorger/Beschützer) im sozialen Nahraum und in der Gesamtökonomie einer Gesellschaft an Bedeutung verlieren, um so deutlicher orientieren sich marginalisierte Bevölkerungsgruppen an „überkommenen“ Leitbildern von „richtiger“ Männlichkeit.
Während in industriellen Dienstleistungsgesellschaften physische Männerarbeit – z.B. im Bergbau, in der Industrie, im Straßenbau und auf dem Feld – zunehmend überflüssig wird, beschwören Subkulturen von marginalisierten Jungmännern wie den Skinheads in ihrem Stil (Kleidung, Betonung von Körperlichkeit) die Arbeiterkultur des letzten Jahrhunderts. Auch Habitus und der skill des Landsers als Prototyp des deutschen Beschützers von Vaterland, Rasse und der deutschen Frau sind Leitbilder. Je überflüssiger der Landser in Zeiten von High-Tech-Kriegen, die von Frauen wie Männern gleichermaßen geführt werden können, ist, desto wichtiger wird er bei der subkulturellen Inszenierung von Männlichkeit.
Sowohl kulturell als auch materiell verkörpert eine wachsende Schar ostdeutscher junger Männer mit dem Deindustrialisierungsprozeß nach 1989 „untergeordnete“ Männlichkeit. Das von ihnen begehrte Gefühl von Hegemonie und Dominanz können sie nur noch in wenigen Situationen „genießen“. Häufig wird von ihnen die heterosexuelle Potenz als Grundlage der Nachwuchserzeugung betont. Gleichzeitig wird eine risikoorientierte und von aggressiv-wachsamer Dauerbereitschaft gekennzeichnete Lebensweise zum „Beweis“ der Fähigkeit zum Kämpfen und Beschützen gepflegt. Die Hauptkultur nimmt diese Jungmänner als gemeinschaftsschädliche und entbehrliche Männlichkeiten war. Sie stehen im Gegensatz zur unverzichtbaren und somit integrierten Männlichkeit des Nachwuchserzeugers (Vater, Geliebter), Beschützers (Polizist, Soldat) und Familienernährers.
Je knapper die ökonomischen und sozialen Ressourcen werden, um so mehr werden die Möglichkeiten der Teilhabe an hegemonialer Männlichkeit in diesem Milieu auf Abgrenzung, Konfrontation und Überlegenheitsbeweise, auf eine permanente Schau von Risiko- und Kampfbereitschaft eingegrenzt. Beim Raub und bei Auseinandersetzungen um Territorium, Frauen, Autos sowie dem Anspruch auf „Respekt“ geht es um die momentane Unterordnung von „Feinden“, deren Mitglieder ähnlich marginalisiert sind.
Dieser Kontext ist für die Erklärung des Werdegangs von Gestalten wie Diesner wichtig, auch im Hinblick auf die Prävention von Gewalt. Gewalttaten von jungen Männern, die damit Ehrkränkungen beantworten und Bewerkstelligungen von Männlichkeit versinnbildlichen wollen, also eigentlich „etwas Gutes“ wollen, kommt man mit den Kassandrarufen der Berufsbeunruhigten und Moralunternehmer nicht weit. Ein genauerer Blick würde sich lohnen, denn wir haben im Unterschied zu anderen Industrieländern, speziell im Vergleich zu den Männlichkeitsleitbildern der USA und Australiens, eine (hoffentlich) noch einigermaßen überschaubare Gefahr durch „tickende Zeitbomben“. Joachim Kersten
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