Der lange Weg der Altglas-Verwertung: Ton, Steine, Scherben
Glas gilt als gut, es ist komplett recycelbar. Aber wie läuft das? Unsere Autorin begleitet ihren Müll – vom Container bis zur neuen Flasche.
Die einzige Art aufzuräumen, die mir als Kind Spaß machte, war: Altglas wegbringen. Mit Schwung warf ich die Flaschen und Gläser hinein. Weiß zu Weiß, Grün zu Grün, Braun zu Braun. Ich mochte das Geräusch, wenn sie zerschellten. Zweifelsfrei war das Glas ein gutes Material, denn aus Glas wurde wieder Glas. Anders als das sündige Plastik, das damals noch im Restmüll landete, verbrannt wurde und die Luft verpestete.
Meine Altglaslogik: Alles, was nicht eindeutig grün oder weiß ist, werfe ich zu Braun, weil im Tuschkasten auch immer Braun herauskommt, wenn man die Farben mischt. Ich spüle Flaschen nicht aus. Deckel und Korken drehe ich ab. Ratlos machen mich aber Drahtringe, die bei Flaschen mit Schraubverschluss dranbleiben. Ich habe keine Ahnung, was eigentlich mit dem Altglas passiert. Zumindest bis jetzt. Deshalb begleite ich mein Glas.
Es beginnt mit Enzo Priore im Frankfurter Bahnhofsviertel. Er trägt Troyer-Pulli und orangefarbene Latzhose. 59 Jahre ist er alt, die ersten 19 Jahre hat er in Italien verbracht, die letzten 40 in Deutschland. In Frankfurt leert er Altglascontainer für den Entsorgungskonzern Remondis. Altglas, das sei ein wertvoller Rohstoff, sagt er. Weil es ohne Qualitätsverlust wiederverwertet werden kann – unendlich oft. Nicht wie Plastik, das nach einem ersten Leben als PET-Flasche etwa ein Polyester-Pullover wird und als Parkbank oder Mülleimer endet.
Damit Altglas aber seine Qualität behält, muss es richtig getrennt werden. „Manche Leute denken, es kommt eh alles zusammen, aber das stimmt nicht“, sagt Priore. In seinem Lastwagen gibt es für jede Sorte eine Kammer. Weißglas und Braunglas sind die „Primaklasse“, sagt Priore mit rollendem „r“. Weiß ist am wertvollsten und am schwierigsten farbrein zu halten. Braunglas schützt am besten vor UV-Licht. Weil Grünglas am farbunempfindlichsten ist, gehören blaues und rotes Glas dort hinein.
60 Container, 19 Tonnen Altglas am Tag
Priore parkt den Lastwagen neben Containern im Bahnhofsviertel. Dann lässt er drei Greifhaken herab, mit denen er die Metallösen am Sammelbehälter zu fassen kriegen muss. Es ist ein bisschen wie das Kinderspiel „Entenangeln“. Er leert rund 60 Glascontainer, am Tag. Ein vorbeispazierender Tourist aus dem Iran nimmt die Aktion mit seiner Kamera auf. „Bei uns gibt es so etwas nicht“, sagt er. Dabei kann ein Fünftel bis ein Viertel der Schmelzenergie eingespart werden, wenn Glas recycelt wird. Im Schnitt besteht das in Deutschland hergestellte Glas zu rund 60 Prozent aus Altscherben. Der Iraner ist nicht der Erste, der Priore bei seiner Arbeit fotografiert.
Wenn die Massen auf die Straße gehen, können Regime fallen. Neue Hoffnung wächst. Und dann? Wir fragen Menschen aus der ehemaligen DDR, der Ukraine und Tunesien, was von ihrer Revolution geblieben ist. Die Titelgeschichte „Was bleibt von einer Revolution“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 7./8. November. Außerdem: Wer über Müll spricht, muss auch über Design reden. Eine Sachkunde der guten Verpackung. Und: Die schaffen das! Unsere KorrespondentInnen haben FlüchtlingshelferInnen besucht. Das und mehr gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Alle anderthalb Tage bringt er seine Ladung zum Umschlagplatz in den Osthafen. Rückwärts fährt er den 16 Meter langen Lastwagen vor die Braunglaskammer. Anschließend kommt die grüne, dann die weiße Kammer dran. 19 Tonnen Altglas lädt er heute ab. Firmen werden wie beim Grünen Punkt dafür bezahlt, das Glas nach Gebrauch zu sammeln und aufbereiten zu lassen.
Am nächsten Morgen lenkt Markus Nickol – 47 Jahre, Oberfranke – seinen Lastwagen auf den Umschlagplatz. Er soll für seine Firma 24 Tonnen Grünglas abholen. Die Schaufel des Radladers ist so groß, dass sie auch ein Auto wegräumen könnte. „Ich bin der Markus.“ Wir fahren los.
Nach ein paar Kilometern Autobahn biegen wir auf die Landstraße ab. Es dauert zwar länger, aber so sieht er mehr vom Land. Außerdem spart es dem Chef Mautgebühren.
Den Lkw-Führerschein hat ihm das Arbeitsamt bezahlt. Stellen gab es genug. „Die Alten hören auf, die Jungen wollen es nicht mehr machen.“ Ein Foto seiner Lebensgefährtin Erika hängt über der Beifahrertür. Erst hatte er es aufs Armaturenbrett gestellt, doch da ist es immer wieder umgefallen.
Nach 263 Kilometern und gut vier Stunden Fahrt kommen wir in Steinbach am Wald in Oberfranken an. Die Fabrik liegt direkt an den Bahngleisen. Flaschen ins Ausland und nach Übersee werden über die Schiene transportiert. Hinter den Hallen, in denen Scherben gereinigt, sortiert und eingeschmolzen werden, lagern Berge von Altglas. Nickol fährt rückwärts in die überdachte Bucht mit Grünglas. Doch seine Fracht besteht keineswegs nur aus grünen Scherben: Auch Plastiktüten, Hausmüll, kaputte Regenschirme und eine Krücke rutschen herunter, als er die Ladefläche kippt. Manchmal findet Nickol auch Geldbörsen, Autokennzeichen, Waffen und Munition. Die bringt er zur Polizei.
Im hinteren Teil der Kammer für Grünglas verschwinden die Scherben beinahe unmerklich im Untergrund. Auf Förderbändern werden sie in die Aufbereitungshallen gebracht, wo Mitarbeiter den gröbsten Unrat aussortieren. Gut 10 Prozent der angekauften Altscherben sind Müll. In der Aufbereitungshalle gibt es sieben Ebenen, die mit steilen Treppen verbunden sind. Meist fahren die Scherben in verzweigten Tunnelsystemen durch die Anlage. Wo sie zu Tage treten, hängt der Geruch von abgestandenem Rotwein in der Luft. Manchmal begegnet einem aber auch Eukalyptus oder süßliches Parfüm .
Die Vergleichbarkeit: Unterschiedliche Transportstrecken, Rezyklateinsätze, Füllmengen und Anzahl der Wiederbefüllung machen eine Verallgemeinerung von Ökobilanzen fast unmöglich.
Nachteile von PET: Polyethylenterephthalat wird aus Erdöl hergestellt, das importiert werden muss. Im Gegensatz zum vollständig recycelbaren Glas kann PET nur downgecycelt werden. Außerdem können höchstens 40 Prozent der Rezeptur aus recyceltem PET bestehen. Wegen dieser Faktoren weist eine regional befüllte Mehrweg-Glasflasche oft eine bessere Ökobilanz auf als ihr Pendant aus PET.
Vorteile von PET: Auf langen Transportwegen schneiden Polyethylenterephthalat-Flaschen wegen des geringen Gewichts besser ab als Glasflaschen. Auch wird bei der Herstellung deutlich weniger Energie benötigt.
Das Fazit: In der Tendenz lässt sich sagen, dass die beste ökologische Wahl PET-Mehrwegflaschen sind. Die zweitbeste Glas-Mehrwegflaschen, danach kommen Getränkekartons, an vierter Stelle PET-Einwegflaschen und zuletzt Getränkedosen und Glas-Einwegflaschen. Je kleiner die Flasche, desto schlechter die Ökobilanz.
Bernhard Prechtl, Abteilungsleiter der Altglasaufbereitung, erklärt, was man nicht sehen kann. Er ist 35 Jahre alt und spricht „t“ wie „d“ und „k“ wie „g“. Noch nie hat er woanders gelebt als in Oberfranken. Im Frankenwald hat er eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht und in Bayreuth ein Diplom in Maschinenbau draufgesetzt.
Zuerst werden die Scherben getrocknet, sagt er. Dadurch lösen sich die Etiketten ab, die durch Regen, Getränkereste und scharfkantiges Glas angegriffen sind. Unterschiedlich feine Gitter sortieren das Material nach Größe. Flache Scherben fallen durch, große Scherben werden zerkleinert, dabei brechen auch die Flaschenmündungen aus den Metallverschlüssen. Auf dem Förderband fahren sie dann unter einer starken Magnetrolle hindurch.
Störende Keramik
„Metalldeckel stören uns überhaupt nicht“, widerlegt Prechtl meine Altglaslogik. Kleine Metallteile können leicht vom Glas getrennt werden, und Altmetall ist wertvoller als Altscherben. Ärger machen vor allem Plastiktüten, die sich um das Förderband wickeln. Die größten Feinde des Glases aber sind Keramik, Steine und Porzellan, kurz: KSP. Die schmelzen erst bei höheren Temperaturen und dehnen sich bei Temperaturschwankungen unterschiedlich stark aus.
Schon kleine Einschlüsse im Glas können die Spannung erhöhen und die Flasche zum Platzen bringen. Damit so wenig KSP wie möglich in die Schmelzwannen gerät, werden die Altscherben vorher optisch von Maschinen sortiert. Dabei rutschen die Scherben am Licht vorbei. Lässt eine Scherbe kein Licht durch, weil sie aus Keramik oder Porzellan ist, schießt Pressluft aus einem Ventil und schleudert sie aus dem Fluss der Glasscherben.
Die aufbereiteten Scherben werden mit Quarzsand, Kalk, Soda und Dolomit vermengt. Rezepturen für Weißglas sehen rund 70 Prozent Altscherben vor, Rezepturen für Grünglas mehr als 90 Prozent. Eine Schaufel schiebt sie in die Schmelzwanne aus feuerfestem Stein und taucht sie in das geschmolzene Glas, das rund 1.350 Grad heiß ist und aussieht wie Lava. 15 Lkw-Ladungen werden täglich in der größten Wanne geschmolzen. Von dort werden einzelne Tropfen orange glühendes Glas in die Formen gegossen. Nach wenigen Sekunden werden sie grün, nur der dickere Boden glüht noch einen Moment nach.
An den Maschinen ist es zwischen 80 und 100 Grad heiß. Trotzdem arbeiten hier Menschen rund um die Uhr. Drei Tage Frühschicht, ein Tag frei, drei Tage Nachtschicht, ein Tag frei. Einer von ihnen ist Maschinenführer André Christmann, 37 Jahre alt, ein kräftiger Kerl mit Vollbart und einem Adler-Tattoo am Hals. Alle paar Sekunden greift er mit einer langen Zange eine Flasche heraus, schaut sich Boden und Mündung an, sucht sie nach Luftbläschen und Einschlüssen ab. Wenn das passiert, müsste man die Maschinen nachjustieren.
Das Glas ist noch so weich, dass sich die Stichprobe in der Zange verformt. Später wird es wieder eingeschmolzen. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Christmann für Wiegand-Glas. Die Schichtarbeit mache ihm nix. Nur die Wärme. Im Sommer trinkt er 7 Liter pro Schicht.
Vom sogenannten heißen Ende, der Produktion und Abkühlung, fahren die Flaschen zum kalten Ende, der Qualitätssicherung und Verpackung. Mehrere Prüfmaschinen durchleuchten jede Flasche auf Risse, ungleichmäßig geformte Böden und Mündungen. Menschen am Fließband kontrollieren nach. Dann werden die Flaschen maschinell auf Paletten verpackt, fahrerlose Wagen bringen sie ins Lager. Es ist die größte Glashütte für Behälterglas in Deutschland.
Wirklich gut ist nur Mehrweg
Prechtl stellt sich einem in den Weg. Der Wagen, der rund 8.000 Flaschen transportiert, kommt anderthalb Meter vor ihm zum Stehen. Ein Laser hat ihn als Hindernis erkannt. Während aus Altscherben neue Behälter entstehen, reinigt Markus Nickol die Ladefläche seines Lastwagens und duscht sich dann den Glasstaub vom Körper. Dann lädt er 36.000 Bordeaux-Flaschen ein, die ein Abfüller aus Bingen am Rhein geordert hat. Die ausgetrunkenen Flaschen werden irgendwann ihren Weg in die Glashütte dann über einen der 300.000 Altglascontainer finden. Jedenfalls ist das bei rund 87 Prozent der Glasverpackungen so. Und dann geht alles wieder von vorne los.
Eigentlich blöd, denke ich am Ende meiner Reise. Um ein nur einmal benutztes Glas zu schmelzen, braucht es schließlich ganz schön viel Energie. Erst bei Mehrweg überwiegen die Vorteile des Materials. Glasflaschen werden bis zu 52-mal wiederbefüllt. Für Apfelmus, saure Gurken, Sekt und viele andere Lebensmittel sucht man Mehrwegkonserven aber vergebens, selbst in Bioläden. Weil Dosen aus Weißblech oder Aluminium ähnlich schlechte Ökobilanzen haben, bleibe ich jedoch beim Einwegglas. Glas sondert keine ungesunden Stoffe ab, außerdem kommen Quarzsand, Kalk, Soda und Dolomit aus Deutschland.
Trotzdem: Glas ist nur dann wirklich gut, wenn es Mehrweg ist. Neben Getränkeproduzenten zeigen auch einige Imker und Joghurthersteller, dass Mehrweg funktioniert. Schade nur, dass das Geräusch von zerschellendem Einwegglas sich nun nicht mehr so schön anhört.
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