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■ Der geheime Sinn des Berliner Holocaust-Mahnmals ist es, die Deutschen mit den Juden auszusöhnen. Ein verlogenes UnterfangenNeues vom Reichsopferfeld

In der Sache des Holocaust- Mahnmals scheint alles bis zum Überdruß bereits tausendmal gesagt zu sein. Viele große Geister des Landes haben längst dagegen gesprochen, selbst der Regierende Bürgermeister Diepgen setzt sich nun für ein Moratorium ein. Ist es nicht bezeichnend für die Erstarrung dieses Landes, daß nichts die Auslober auch nur zu Korrekturen anregt? Weder der Einwand der Monumentalität, der absurden Beschränkung auf die Juden als einzige Opfer und schon gar nicht, daß dieser künstliche Gedächtnisort ausgerechnet in Berlin liegen soll?

Diese Absurdität bemerken selbst manche Kommissionsmitglieder. Ignatz Bubis, der das Mahnmal will, sagt, er selbst würde „dort nicht hingehen“, regt gleichzeitig ein „ebenso großes, ebenso würdiges“ Mahnmal für die Zigeuner an, das er lieber besuchen würde. Wenn schon ein Denkmal gleicher Größe für die Zigeuner, dann auch, folgerichtig, ein gleich großes für die kommunistischen Opfer – Gregor Gysi hat das Vergessen dieser Opfergruppe schon moniert. Die Euthanasieopfer und die Homosexuellen sind dann nicht mehr fern – und Berlins Mitte wird mit würdig-abstrakten Mammutmahnmalen zugepflastert.

Mittlerweile meint Klaus Hartung ästhetisierend in der Zeit, der Kunst gehöre das letzte Wort, ob sie nun „versöhnt“, „bloßstellt“ oder etwas vom „Unfaßbaren faßt“. All dies wird mit großem Aufwand debattiert in einer Zeit, in der die konkreten Orte der Verbrechen, gleich hier in Brandenburg, mangels Finanzierung zugrunde gehen und sich wenig gegen neonazistische Gewaltverbrechen rührt.

Die Absurdität dieses Mahnmals wird noch deutlicher, wenn wir uns umsehen, wie anderswo weniger elitär-intellektuell mit dieser Geschichte umgegangen wird. Beispielsweise das Holocaust Museum in Washington, das den Nachgeborenen die Verbrechen nicht als abstraktes Steinemeer vor Augen führt, keine Verfolgtengruppe ausschließt und eben aus diesen Gründen einen großen, weitgehend nichtjüdischen Besucherstrom anzieht.

Oder das Holocaust-Mahnmal in Boston, das gerade als eine jüdische Initiative betont universalistisch an alle Opfergruppen erinnert – wenn auch die jüdischen Opfer selbstverständlich auch hier der historisch zentrale Gegenstand der nazistischen Verbrechen sind. Das Bostoner Mahnmal, im historischen Kern der Stadt angesiedelt, ist nach allen Seiten hin offen, lädt ein, die in den Stein gemeißelte Geschichte der Shoah nachzulesen. Bonhoeffers Wort wird dort zitiert, daß wir nicht eingriffen, weil das Verbrechen ja stets eine andere Opfergruppe traf, der wir nicht angehörten. In Deutschland scheint derlei common sense nicht möglich zu sein.

Es gibt einen Grund, warum die derzeitigen Debatten so absurd anmuten. Man will sich in Deutschland nicht eingestehen, was hier gebaut werden soll. Das Mahnmal soll nichts weniger als eine nationale Kultstätte werden. Hier soll die geteilte deutsche Erinnerung auf dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost und West zwangsvereinigt werden; Schuld wird ausradiert durch die Ausradierung des Ortes, der Ort ausradiert durch seine Sakralisierung. Deshalb liegt Walter Jens mit dem Begriff des Reichsopferfeldes, György Konrád mit dem seiner Kritik an der Unerbittlichkeit des Vorhabens schon richtig.

Nun haben heilige Stätten Typisches gemeinsam. Sie werden oft auf den Orten der unterworfenen Gottheit errichtet und schirmen diese Orte vor dem Unheil ab. Sie sind von der profanen Welt abgesondert, sie sind ausschließlich einem Gott, einem Martyrium geweiht. Sie sind der Ort für rituelle Handlungen; und sie sind oftmals von unbefleckter, besonders geweihter Hand gebaut.

Wer sich das Gros der Projekte der beiden Wettbewerbe für das Berliner Mahnmal ansieht, wird diese Sakralisierungsversuche unschwer erkennen. Auch alle vier jetzt zur Auswahl stehenden Projekte sondern das Terrain von der Außenwelt ab; man betritt einen heiligen (neugermanischen?) Hain oder eine heilige Stätte: In dem Entwurf von Jochen Gerz sollen Stimmen von Masten erklingen, in anderen Entwürfen sind verborgene Symbole, ein Davidstern etwa, zu dechiffrieren. Alle Gedanken sind ausschließlich auf die ermordeten Juden gerichtet. Hier wird Homogenität verlangt, deshalb mußte aus dem ursprünglichen Eisenmann-Serra-Entwurf auch eine weiße Stelle zur Erinnerung an die nichtjüdischen Opfer getilgt werden.

Das Mahnmal, nun auch noch Goebbels' Bunker zudeckend, schützt den Reichstag vor den bösen Winden, die von Hitlers Reichskanzlei her wehen. Die testamentarischen Verwünschungen aus seinem Bunker mit einzubeziehen, stößt da bezeichnenderweise auf taube Ohren. Von den vier anstehenden Entwürfen wurden zudem zwei von Juden, also von „unbefleckter Hand“ gebaut, in einem dritten Entwurf reinigt den Deutschen die jüdische Ehefrau, im vierten der befreundete Rabbiner. Daneben, und die Diskussionen haben dies gezeigt, wird das Mahnmal als ein Ort gesehen, wo Deutsche sich edelmütig mit Juden „versöhnen“, vor der „Kraft der Mauer“ und in einem „Raum, in dem die Seele angeregt wird“ (so Gesine Weinmiller). Jochen Gerz spricht zudem vom „Glauben an etwas“, davon, daß „wir uns den Opfern in eigenartiger Weise angleichen“ oder gar mystisch mit Juden vereinen, weil „wir uns ja selber umgebracht“ haben. Von stillen Gebeten war in den Diskussionen die Rede, eine Frau wollte ihre tote jüdische Freundin dorthin führen. So wird heute Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Mahnmal, eine dezidiert persönlich-politische Geste, post factum sakral uminterpretiert, ihr aufklärerisches Moment zugunsten der zu erwartenden Staatsrituale verdrängt.

In den 50er Jahren stellten die Stadtväter Findlinge auf, die „den Opfern 1933 bis 1945“ gewidmet waren. Eine pauschalisierende Verharmlosung der Verbrechen, die heute nicht mehr akzeptabel wäre. Doch heute tritt an diese Stelle die Reduzierung der Verbrechen auf die ermordeten Juden alleine, ihre Verharmlosung durch Abstraktion und sakralisierende Entfremdung. Die Sängerin Jalda Rebling schlug vor, auf dem Gelände einen Stein mit der Inschrift aufzustellen: „Hier sollte das Mahnmal für die Ermordeten errichtet werden. Die Versuche, diese Verbrechen darzustellen, sind bisher gescheitert.“ Ein Moratorium anstelle eines schlecht überlegten Projekts wäre das Schlechteste nicht. Michal Bodemann

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