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■ Der frühere Bundespräsident mag die CDU nicht mehrWeizsäckers Kontrastprogramm

Richard von Weizsäcker wird seine Mitgliedschaft in der CDU nicht wieder aufleben lassen. Eine erfreuliche Nachricht, wenngleich eigenartig begründet. Der Ex-Präsident erklärte der Woche gegenüber, er wolle das Zutrauen in seine Unabhängigkeit, das er sich im Amt erworben habe, „über das Amt hinaus bewahren“.

Als ob dieses Zutrauen von der Parteizugehörigkeit abhinge. In Wirklichkeit hat Weizsäcker nichts mehr im Sinn mit den Christdemokraten. Helmut Kohl hat das intuitiv erfaßt. Vor seiner Partei wütete er, Weizsäcker beiße die Hand, die ihn einst gefüttert habe. Wem verdanke der eigentlich seine Ämter, wenn nicht der CDU, genauer gesagt IHM?

Bedurfte es noch eines Beweises für die Richtigkeit der Angriffe Weizsäckers gegen das Parteien-Klientelsystem, so hat ihn der Bundeskanzler mit seinem Ausfall geliefert. Dieser undankbare Greis hat es tatsächlich gewagt, sich nicht mit allgemeinen Redensarten gegen „Verkrustung“ und „Immobilismus“ zu begnügen. Weizsäcker meinte die gegenwärtige Regierung, als er den Journalisten des Spiegel anvertraute: „Die Konzentration der Kräfte zur Machterhaltung übersteigt bei weitem die offene konzeptionelle Pionierarbeit, von geistiger Führung zu schweigen.“ Schon während seiner zweiten Amtsperiode hatte Weizsäcker die ruinösen Folgen absoluter Parteienherrschaft fürs demokratische System beklagt. Er war dabei in die Nähe von Ideen gerückt, die von der „Bürgergesellschaft“ rettende Initiativen gegenüber den Anmaßungen der „politischen Klasse“ erwarteten. Allerdings ging er nie so weit, in solchen Initiativen mehr zu sehen als eine die Parteienpolitik inspirierende, korrigierende, sie begleitende Kraft. Er hielt und hält Distanz zu Auffassungen, die gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse ins Zentrum der Erneuerung rücken. Deshalb hatte seine an sich richtige Forderung, die Macht der Parteien auch verfassungsmäßig zurückzuschneiden, keinen Adressaten. Sein nationalpädagogischer Gestus „von oben nach unten“ blieb ungebrochen.

Aber gerade jetzt, wo ein Ruck der Aktivität durch Deutschland gehen soll, beharrt er darauf, daß wir kein Verwirklichungs-, sondern ein Erkenntnisproblem haben. Er fordert zum Nachdenken auf angesichts ungelöster Fragen, und alle wichtigen Fragen sind ungelöst. Ein Kontrastprogramm, ein Gesprächsangebot. Christian Semler

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