: Der frühe Vogel fängt den Wurm
Auf ihrer Klausurtagung machte sich die Bundestagsfraktion der Grünen auf die schwierige Suche nach dem eigenen Profil innerhalb der Regierungskoalition ■ Von Dieter Rulff
Wörlitz (taz) – Gleich zu Beginn der Wochenendtagung stimmte die Vorsitzende Kerstin Müller ihre grünen Fraktionskollegen auf die neue Lage ein: „Es werden euch Leute vom LKA begegnen, mit Hunden, das ist nun mal so.“ Auf früheren Sitzungen der Bündnisgrünen mußte niemand mit Hunden rechnen. Doch jetzt sind sie regierende Partei. Und nicht jeder findet sich so ohne weiteres mit dieser neuen Rolle zurecht. So raunte eine Mitarbeiterin auf dem Flur sorgenvoll, ob denn die Hunde nur Sprengstoff suchen oder auch Haschisch erschnüffeln könnten. Sie können nicht. Nun ist der Konsum noch die geringste Gewohnheit, welche die Grünen ihrer neuen Situation anpassen müssen.
Drei Monate nach dem Regierungswechsel in Bonn ist für viele Grüne noch vieles neu, und nicht alles Neue willkommen. Der Wechsel sei spürbar, befindet Christian Sterzing, die Leute müßten sich nun in der neuen Rolle zurechtfinden. Das gelang in den letzten Wochen nicht allen zu aller Gefallen. Drei Monate nach dem Regierungswechsel ist die Grünen-Fraktion zwar guter Dinge, aber nicht klar in ihrer künftigen Richtung. Sie ist zufrieden mit dem bislang Erreichten.
Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wurde verkündet, der Ausstieg aus der Atomenergie ist auf den Weg gebracht – beides Punkte der Koalitionsvereinbarung die eine originär grüne Handschrift tragen. Vergessen ist die Hektik der Anfangstage, in der ein Gesetzentwurf den nächsten jagte und sich die Koalitonäre via Presse eines Besseren belehrten. Die Einführung des 620-Mark-Gesetzes ist mittlerweile als Schröders Eskapade abgehakt. Doch die Zusammenarbeit funktioniert auch jetzt nicht überall und nicht reibungslos.
Ins Kanzleramt, klagt Sterzing, gebe es keinen Draht. Das Auswärtige Amt hingegen, obgleich jahrzehntelang unter FDP-Regie, zeige sich ausgesprochen kooperationsbereit. Daß dies nicht unbedingt eine Frage der Spitze des Hauses ist, kann man am Umweltministerium studieren, das zwar grün administriert wird, aber schwarz durchsetzt ist. Darauf wird zurückgeführt, daß die eine oder andere Vorlage aus dem Hause Trittin vorfristig an die Presse gelangte. Während der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion Oswald Metzger die Koordinierung mit dem Bundesfinanzministerium lobt – wöchentlich trifft man sich mit der Leitungsebene zu Absprachen –, während Arbeitsminister Walter Riester wegen seiner Offenheit gegenüber dem Koalitionspartner Wertschätzung genießt, gibt man sich im Hause Schily zugeknöpft. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsbürgerschaftsrecht wurde vom Bundesinnenministerium unter Ausschluß der Grünen formuliert, eine erste Fassung gelangte an die Presse, bevor die Fraktion informiert wurde. Auch Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin unterbreitet der Öffentlichkeit ihre Strafrechtsreformvorschläge, ohne sich vorher mit den Fraktionen abzusprechen. Da ihre Alleingänge allerdings auch die SPD-Fraktion überraschen, kann der Berliner Bundestagsabgeordnete Ströbele darin „keinen Affront gegen die Grünen“ entdecken.
Für Ströbele ist auch künftig klar, daß die Grünen „klar die eigene Position beziehen müssen“. Man könne nicht mit Kompromissen in die Debatte gehen. Für Ströbele ist das „eine Grundsatzfrage“, die bis zum Abstimmungsverhalten gehe. Auch dort gebe es Grenzen, wo er Dinge nicht mehr mittragen würde. Noch ist die Frage eines divergierenden Abstimmungsverhaltens eher spekulativ zu beantworten. Kaum ein Thema wurde in Wörlitz so kontrovers zur SPD diskutiert. Vereinzelt wurden Vorschläge gemacht, die eigene Position in Abweichung von der SPD zu profilieren, etwa als Staat als größter Arbeitgeber bei den laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst für Lohnmäßigung zugunsten von Arbeitsplätzen zu werben. Doch entschied man sich, das Feld auch weiterhin dem Bundesinnenminister zu überlassen. Ähnliche Zurückhaltung legte man sich bei den möglichen eigenen Akzenten in den Gesprächen des Bündnisses für Arbeit auf.
Das Gespräch mit dem Bundeskanzler, der eigens am Samstag nach Wörlitz gereist war, um den Grünen seine Aufwartung zu machen, verlief denn auch in beabsichtigter Harmonie. Hernach betonte die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller gleich mehrfach, man ziehe an einem Strang. Ob sich die Grünen nur mit oder auch gegen die Koalitionspartner politisch profilieren können und sollen, war eine der strategischen Fragen, die eher am Rande der Klausur eine Rolle spielten. Sie war nicht zu trennen von der Frage nach der künftigen inhaltlichen Positionierung.
Der junge Matthias Berninger warf von seiner Partei vor, auch in der Regierungsverantwortung noch das grundsätzlich Oppositionelle zu kultivieren und dabei in der SPD den Adressaten zu sehen. Damit könne man nicht gewinnen. Mit einer links-sozialdemokratischen Herangehensweise würden die Grünen jedoch allenfalls „das linke Beiboot“ beziehen. Die Realpolitiker um Berninger und Metzger halten eine andere Vorgehensweise für erfolgsträchtiger. Sie wollen künftig das Generationenthema in den Vordergrund schieben, sowohl in der Renten- als auch in der Haushaltspolitik. Die Netto-Neuverschuldung soll zum Thema der Nachhaltigkeit werden, dann könne man, findet Berninger, „der FDP unheimlich gut eine reinsemmeln“. Um deren Neoliberalismus zu begegnen, komme es darauf an, die Konsolidierungspolitik links zu begründen.
Nach der Klausur nannte der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch den „Einstieg in die Konsolidierungsphase“ eines der vorrangigen Ziele der Fraktion in den kommenden Monaten. „Nachhaltige Fiskalpolitik“, „intergenerative Lastenverteilung“ sind für Metzger die Stichworte, mit denen auch die grüne Seele erreicht werden kann. Die politischen Gegenpole umreißt er mit den Begriffen „Etatismus“, „Strukturkonservativismus“, „Vulgärkeysianismus“, nennt sie auch sozialdemokratisch oder schlicht „Dreßler“ und mit einen gewissen Fragezeichen „Lafontaine“. Gegen diese „traditionelle Sozialdemokratie“ will Metzger, der sich einen Ordoliberalen nennt, die modernen Grünen positionieren. Bei den Realos beobachtet man mit Genugtuung, daß Schröder eine gewisse Offenheit für solche Positionen des Koalitionspartners zeigt. Solcher Art grüner Modernität kann Ströbele, können auch andere in der Fraktion wenig abgewinnen. Ströbele will die staatlichen Aufgaben erhalten wissen, denn sie seien Errungenschaften, für die das Geld herbeigeschafft werden müsse. Deshalb könne er in dieser Frage auch „sehr gut mit Lafontaine leben“. Der Parteilinke erkennt in dieser Auseinandersetzung „eine großes innergrünes Problem“.
Für seine Lösung des Problems sieht Berninger gute Chancen. Die Realpolitiker arbeiteten strukturierter und hätten ihre Position auch ausgebaut. Die Linke sei ihnen programmatisch um zwei Jahre hinterher. Und für den Realo gilt die Maxime: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“
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