Zwischen den Rillen: Der echte Scheiß
■ Wer hat ihn? Realismusdebatte im HipHop: Canibus und A Tribe Called Quest
HipHop geht darum, wer die Scheiße real hält. Das ist oberstes Gebot. Was dabei nicht real ist, wer denn die ganzen Fake- Rapper sind, wer die Radiokanäle und Plattenteller mit dem ganzen falschen Mist blockiert, wer das Mikrofon oder den Plattenspieler besser nicht in die Hand nehmen sollte, war dabei schon immer schwerer zu bestimmen, als wer denn real ist – schon gar in Zeiten, wo sowieso alle überall ständig gastrappen.
Canibus ist real wie nichts Gutes. Zwar droppt er nicht in jedem zweiten Satz, daß man nur die Homies in seinem Block fragen müsse, wenn man wissen wolle, ob er den echten Scheiß real hält, und bibelfest ist er auch nicht. Canibus hält die Sache real, weil er alle anderen an die Wand rappt.
Canibus ist der jüngste Ausläufer des aus allen Hitparaden bekannten Refugee-Camps, und er gibt sich als Battle-MC, das heißt als jüngstes Exemplar jener Spezies, die schon in den HipHop-Urtagen in der Bronx immer dann den Sieg davongetragen hatte, wenn dem Gegenüber nichts mehr einfiel. Von UTFO versus Roxanne Shanté und MC Shan versus KRS-One bis zu Tha Dogg Pound versus Mobb Deep zieht sich die Geschichte dieser Disrespect-Bekundungen.
Natürlich sind diese Fehden längst Teil der HipHop-Folklore und der Bezug zur konkreten Battle zwischen verschiedenen Rappern mehr Zitat als konkreter Straßeneckenbezug, doch als Mittel zur Markteinführung eines neuen Künstlers sind sie immer noch eine extrem taugliche Methode.
Und man kann davon ausgehen, daß sich Canibus mit Bedacht ausgerechnet LL Cool J als Gegner ausgesucht hat. War es doch eben jener Ladies Love Cool James, der seine Karriere mit einem ähnlich inszenierten Wortduell gegen Kool Moe Dee auf jene Höhen hievte, zu denen sich Canibus wahrscheinlich auch erheben möchte. Angefangen hatte der Zwist auf LLs Stück „4,3,2,1“. Dort hatte sich Canibus über das Mikrofon- Tattoo auf LLs Arm mokiert und war dafür in die Schranken gewiesen worden. Als Antwort bringt Canibus jetzt nicht seinen großen Bruder mit, sondern den Boxer Mike Tyson, und so erklären die beiden LL den „2nd Round K.O.“.
Daß Canibus jetzt vor allem als das größte Großmaul seit Ol Dirty Bastard gehandelt wird, ist dabei so unvermeidlich wie unverdient, denn seine eigentlichen Qualitäten liegen auf einer anderen Ebene. Wenn er Mathematik, Geometrie, Ufo- Glauben und Verschwörungen mit Meeres- und Molekularbiologie und Straßenweisheiten mischt, dann hat das Charme – auch wenn es zuletzt doch auf nichts anderes hinausläuft, als daß er nun mal der allercoolste Rapper ist und alle anderen nichts taugen. So ist das im HipHop nun mal. Trotzdem kommt Canibus in bestimmten Momenten, wenn er Alltag und Metaphysik über ein Mikrofon schert, fast an den Rap-Übervater Rakim heran – ohne allerdings so entspannt zu sein. Rakim weiß eben, daß er der Größte ist, Canibus muß es der Welt und sich selbst in einem fort beweisen.
Auch bei A Tribe Called Quest geht es um Integrität, aber auf einem anderen Level. Q-Tip kann mit Janet Jackson und „Got til it's gone“ einen Superhit aufnehmen und trotzdem mit seiner Gruppe als realster HipHop seit der Erfindung des Mikrofons durchgehen. HipHop ist Q-Tips Siamkatze.
Als A Tribe Called Quest Anfang der Neunziger als Teil der Native-Tongues-Bewegung das erste Mal auftauchten, hatten sie jenseits von Street Credibility und Albernheit bereits klassische Größe. Vielleicht sahen A Tribe Called Quest aber von Europa aus auch deshalb so real aus, weil sie dem europäischen Bild von afroamerikanischer Kunst am nächsten kamen – und das nicht nur, weil sie den Miles-Davis-Bassisten Ron Carter sein Instrument zupfen ließen und so eine der ersten HipHop-Gruppen waren, die ihren Groove mit Jazzgeschichte aufluden.
Die Stilsicherheit des Tribe ließ sich, ähnlich wie etwa bei Gang Starr, am ehesten in eine antikommerzielle Verweigerungshaltung übersetzen, die dann wiederum signalisierte: Hallo, hier echter HipHop und kein Ausverkauf. Auch die Lyrics kamen immer den europäischen Hörgewohnheiten entgegen, weil es eben meist Texte waren, die man nicht erst durch diverse Dechiffrierungsprogramme laufen lassen mußte, um zu verstehen, was denn da Sache war, in Amerika.
Nun haben A Tribe Called Quest sich aufgelöst, um sich in Zukunft einzeln auf die Suche zu begeben, und eine Besprechung der Platte wird unweigerlich zum Nachruf. Sie hätten HipHop gerne weitergetragen, jenseits der Genreformatierung, lassen sie nun in den letzten Interviews verlauten, nur habe HipHop das leider nicht erlaubt.
Für diesen Anspruch ist „The Love Movement“ dann allerdings reichlich traditionell ausgefallen, mit einer Größe allerdings, wie sie sonst im Augenblick, wo überall die Breitband- Arrangements regieren, in keiner anderen Produktion zu finden ist – weil keiner sich sowas zu produzieren traut.
Die Beats von der Platte hören sich so runtergeköchelt an, so minimalistisch und staubtrocken, so sehr ist jeder Schnickschnack wegabstrahiert und mit einem Wumms- wumms-tschick auf das Wesentliche reduziert, daß es tönt, als hätten Q-Tip, Phife und Ali zum Frühstück Basic-Channel-Platten laufen lassen. Tobias Rapp
Canibus: Can-I-Bus (Universal)
A Tribe Called Quest: The Love Movement (Jive/ RTD)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen