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schwarze tazDer britische Autor Derek Raymond und die hohe Kunst des schwarzen Romans

Der Tod ist kein Genre

Letzter Aufruf für alle, die das Genre doch ernst nehmen: „Die verdeckten Dateien“ von Derek Raymond sind noch im Buchhandel erhältlich. Bestimmt nicht mehr lange, denn die Reihe „Dumont Noir“, in der Raymonds Buch erschien, wird verschwinden. Und damit werden die Memoiren des wichtigsten britischen Krimi-Autors der Achtziger- und Neunzigerjahre auf dem Ramsch landen.

In dem Buch handelt Derek Raymond (1931–94) nicht nur Episoden seines kompromisslosen Lebens ab, sondern nutzt die Gelegenheit auch, um seine Gedanken über den „Roman noir“ niederzuschreiben.

Herausgekommen ist dabei ein umfangreiches Essay, das in seiner Bedeutung für das Genre mit Raymond Chandlers Schrift „The Simple Art of Murder“ vergleichbar ist. Allerdings geht es Derek Raymond nicht um die Ehrenrettung des Krimi-Genres an sich. Es geht ihm um den Noir-Roman. Der wird nicht geschrieben, um zu amüsieren: „Er schildert Männer und Frauen, deren Lebensumstände sie zu weit getrieben haben, Menschen, deren Dasein verbogen und entstellt ist.“ Er beschreibt, „was die Menschen zum Schreien bringt, und das ist der Grund, warum ich nichts mit der geschäftsmäßigen Seite der Schundromanindustrie oder den Mittelklasse-Ergüssen alter Damen zu tun haben will.“

Derek Raymond war es bitter ernst mit diesem Credo. Er war von Anfang an ein Rebell, auch als er in England noch als „Literat“ gehandelt wurde. In den Sechzigerjahren schrieb der Sohn eines Textilmagnaten, der mit sechzehn Jahren Eton und damit seiner Familie den Rücken kehrte, einige Bücher, in denen er die Verlogenheit des britischen Klassensystems attackierte.

Dank Büchern wie „The Crust on its Uppers“ oder „Public Parts and Private Places“ wurde er zum „angry young man“ erklärt und vom Establishment geächtet. Damals stand noch der Name Robin Cook auf seinen Büchern. Den hat er abgelegt, als er in den Achtzigern von der sozialen Groteske zum Roman noir wechselte. Derek und Raymond waren zwei Freunde des Autors. Beide sind tot. In den Büchern der zweiten Schaffensphase von Robin Cook/Derek Raymond ist der Tod das zentrale Thema. Nicht der antiseptisch dargebotene Genre-Tod, geschildert von „Autoren, die beschlossen haben, dass etwas so Aufregendes wie die Wirklichkeit dem Blutdruck des Lesers nicht bekommt“, sondern der schreckliche Tod, der Mord, bei dem es nichts zu lachen gibt.

Derek Raymond hat eine Reihe von Romanen geschrieben, in denen Morde von Serienkillern im Mittelpunkt stehen, noch bevor schwachsinniger Schund wie Thomas Harris’ „Schweigen der Lämmer“ salonfähig wurde. Er missbraucht das Genre nicht als literarische Geisterbahn. Er dringt tief ein in das psychische und physische Elend von Opfern und Tätern. Er erkundet Mordtat und Umstände bis ins letzte schmerzhafte Detail.

Derek Raymonds wichtigstes Buch war der 1990 erschienene, schwärzeste aller Noir-Romane mit dem Titel „Ich war Dora Suarez“. Darin beschreibt er, wie ein namenloser Sergeant der Londoner Metropolitan Police beim Versuch, den brutalen Mord an einer Prostituierten aufzuklären, eine Reise in die Finsternis antritt. Sein Drang, sich mit dem Opfer zu identifizieren und sich in den Täter hineinzuversetzen, um sich das Geschehene erklären zu können, gipfelt beinahe in Selbstzerstörung. Der Skandal des gewaltsamen Todes von Dora Suarez wird für den Detektiv zum Skandal der Zivilisation. Der außergewöhnliche Roman, der einer ganzen neuen Generation von Brit-Noir-Autoren den Weg wies, ist nun wieder auf Deutsch erschienen. Seine Lektüre sei allen empfohlen, die nicht glauben wollen, dass Krimi-Morde nur Kavaliersdelikte sind. ROBERT BRACK

Derek Raymond: „Die verdeckten Dateien“. Aus dem Englischen von Michael K. Iwoleit und Reinhold H. Mai, Dumont Noir, 429 Seiten, 19,90 DM

Derek Raymond: „Ich war Dora Suarez“. Aus dem Englischen von Gabriele Kunstmann, Maas Verlag/ pulp master, 277 Seiten, 19,80 DM

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