piwik no script img

■ Der Westen sollte sich nun auch anderen Konfliktregionen widmenDer Kosovo – ein Präzedenzfall

Mit dem in Belgrad ausgehandelten Kompromiß können die Kosovo-Albaner nicht zufrieden sein. Ihre Kritik, daß damit die Herrschaft der Serben über die Albaner aufrechterhalten wird, ist gerechtfertigt. Ebenso ist die Hoffnung, 2.000 OSZE-Beobachter könnten der Polizei Milošević' Paroli bieten, angesichts der Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina unrealistisch.

Mit dem Abbau der militärischen Drohungen könnte die Arbeit der internationalen Organisationen schon bald behindert werden. Ob die Bevölkerung tatsächlich in ihre Dörfer zurückkehren darf, ob die Menschen ihre zerstörten Häuser wiederaufbauen dürfen, ohne von der Polizei bedroht zu werden, steht noch dahin. Und es ist eher unwahrscheinlich, daß die freie Berichterstattung erlaubt wird, über Massengräber geforscht werden darf und Kriegsverbrecher festgenommen werden. Denn – und darauf kann sich Milošević verlassen – mit dem Nachlassen des militärischen Drucks genügen nur kleine bürokratische Barrieren, für deren Beseitigung wohl niemand mehr den Kraftakt aufbringt, erneut Drohszenarien aufzubauen, um den angestrebten politischen Prozeß zu torpedieren.

Nein, das Verhandlungsergebnis ist noch kein Durchbruch. Und es wurden die Erfahrungen aus Bosnien nur in ungenügender Weise berücksichtigt. Die rot-braune Koalition in Belgrad kann die Verhandlungen durchaus als einen Erfolg für sich verbuchen. Daß aber gerade das rot-grüne Spektrum in Bonn über den Kompromiß so erleichtert ist, muß stutzig machen.

Die Freude, knapp an einer militärischen Intervention vorbeigeschrammt zu sein, überdeckt, daß nach der katastrophalen Situation für die Menschen im Kosovo und den zum großen Teil berechtigten Ansprüchen der Kosovo-Albaner nicht mehr gefragt wird. Eine Auseinandersetzung über das bestehende Völkerrecht ist sicherlich notwendig und allumfassend zu führen. Der Verdacht, der sich in den letzten Wochen aber aufdrängt, daß mit dem Hinweis auf das Völkerrecht der bequemste Kompromiß in der Frage Kosovo angestrebt wird, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.

So drängt sich die Erkenntnis auf, daß der alte marxistische Lehrsatz, das Völkerrecht widerspiegele lediglich die Machtverhältnisse in dieser Welt, mit dieser Diskussion eher belegt als negiert wird. Mit dem Kompromiß von Belgrad wird die Auseinandersetzung, wie die Weltgemeinschaft, besser gesagt: die „westliche Wertegemeinschaft“, mit diesem oder ähnlichen Konflikten umzugehen hat, nur aufgeschoben. Alle wissen, daß nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt die notwendigen Mechanismen zur Konfliktregulierung, vor allem zum Schutz der Menschenrechte gegen die Übergriffe despotischer oder rassistischer Regime, nicht weit genug entwickelt sind. Doch niemand will die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und die Dynamik der Entwicklung im Kosovo nutzen, um gerade in dieser Frage weiterzukommen.

Der Hinweis, es handele sich bei dem Kosovo-Einsatz um einen Präzedenzfall und deswegen sei vor einem Militäreinsatz gewarnt, ist deshalb schädlich. Denn gerade nachdem sich die westliche Gemeinschaft durchgerungen hat, erstmals aus der Sorge um die Menschenrechte zu intervenieren, bestünde auch die Möglichkeit, diesen Ansatz auf andere Konfliktgebiete dieser Welt zu übertragen. Oder anders ausgedrückt, die Verteidigung der Menschenrechte im Kosovo würde auch den Kurden nützen. Denn auch dort wird ähnlich wie im Kosovo vorgegangen. Daß dabei ein Nato-Land sich schuldig macht, darf nicht ein prinzipielles Hindernis sein, dies zu fordern.

Erst mit diesem Schritt wäre eine „andere“, neue Außenpolitik in Deutschland und Europa begründet. Sie böte nämlich die Chance, endlich Druck zu machen für die Diskussion, wie die Vereinten Nationen zu reformieren sind, um den Herausforderungen nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt zu begegnen. Die Pax Americana jedenfalls reicht dazu nicht aus. Auch Holbrooke begnügt sich mit faulen Kompromissen. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen