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Der Weg könnte kurz sein

Aber die Verhandlungen sind lang: Polen und Deutschland streiten noch immer über die gegenseitige Rückgabe im Krieg verschleppter Kulturgüter. Doch warum soll die Berlinka nicht einfach in Krakau bleiben – als ein europäisches Kulturgut?

Nach 50 Jahren sollte über emotionale Wiedergutmachung statt über Entschädigung gesprochen werden

von TOMAS FITZEL

Vor fast zehn Jahren, am 17. Juni 1991, wurde zwischen Polen und Deutschland der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Ein Unterpunkt sah die Regelung der Probleme im Zusammenhang der Kulturgüter und Archivalien vor, das heißt deren Rückgabe. Sehr viel geschah bisher nicht. Einige Bilder konnten nach einer vom ehemaligen Staatssekretär für Kultur, Michael Naumann, veranlassten Revision in deutschen Gemäldegalerien an Polen zurückgegeben werden.

Auf der deutschen Seite besteht vor allem der Wunsch nach der Rückkehr der Berlinka, einer Sammlung wertvoller Handschriften und Drucke aus der Preußischen Staatsbibliothek, die während des Krieges aus Berlin in ein schlesisches Kloster ausgelagert wurde. Mit der Westverschiebung Polens gelangte sie in polnischen Besitz und wird seither in Krakau aufbewahrt.

Für Bahnreisende von Berlin nach Krakau beginnt Polen gleich hinter dem Berliner Ostbahnhof, wenn deutsche Grenzschützer den Pass verlangen. Und nach Stettin/Szczecin fährt man in einem Regionalzug in gut zwei Stunden. Der Weg könnte daher kurz sein. Dass bisher so wenig geschah, läge nicht am schlechten Willen der eingesetzten Kommission, meinte Kazimierz Wóycicki in einem Gespräch in Stettin, wo er das Nordeuropa- und Deutschlandinstitut leitet. Mit dem von der deutschen Seite vorausgesetzten Ziel – Rückkehr der Berlinka – wurden allerdings eventuell bereits im Vorfeld nicht die richtigen Fragen gestellt und dadurch die Verhandlungen insgesamt falsch strukturiert.

So führe man diese auf einer juristischen, bürokratischen Ebene und eher als Geheimdiplomatie, kritisiert Wóycicki, aber nicht, wie er sich wünscht, offen politisch und die Allgemeinheit angehend. Wollte man bisher den Stand der Dinge erfahren, erhielt man von den zuständigen deutschen Regierungsstellen nur nebulöse Antworten. Eine definitive Lösung des zugrunde liegenden Problems würde so jedoch nicht erreicht, denn diese Frage müsse unbedingt öffentlich diskutiert werden und im Bewusstsein beider Völker angenommen und verankert sein. Die Rückgabe der Berlinka etwa, in Polen missverstanden als bloßes Nachgeben gegenüber dem mächtigeren Nachbarn Deutschland, so Wóycicki, würde zu einer schweren Hypothek für die deutsch-polnischen Beziehungen.

Im Dezember veröffentlichten daher er sowie eine Reihe deutscher und polnischer Publizisten und Wissenschaftler, die sich lose zu der Kopernikus-Gruppe zusammenschlossen, ein Thesenpapier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Problem müsse als europäisches und nicht als nationales begriffen werden. Sie schlagen daher vor, entweder eine Stiftung Mitteleuropäisches Kulturerbe zu gründen oder alternativ Polen als gleichberechtigten Partner in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufzunehmen. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, äußerte sich zwar wohl wollend dazu, argumentierte jedoch mit juristischen und praktischen Hindernissen, die dem entgegenstünden.

Noch immer befinden sich polnische Kulturgüter in deutschen Museen und Archiven. „Ein Skandal ist das, aber nicht unbedingt das Hauptproblem.“ Mit dieser Meinung steht Wóycicki nicht allein. Die polnische Regierung übergab der deutschen eine Liste von etwa 115 Objekten. (Diese Liste wurde im Übrigen bisher nicht veröffentlicht, und will man sich ein Bild von der Art der Verhandlungen machen, so muss man nur einmal versuchen, sich diese von der Bundesregierung zu beschaffen.) Wóycicki nennt daraus als Beispiel den etruskischen Spiegel aus der Czartoryscy-Sammlung im Hamburger Museum für Kunst und Handwerk, das Pontifikale von Plock in der Münchner Staatsbibliothek oder die Urkunden des Kreuzritterordens im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin-Dahlem.

Abgesehen vom Bayerischen Staatsministerium, das die Rückgabe bisher verweigert, signalisieren alle betroffenen Institutionen „Rückgabebereitschaft.“ Allerdings muss man sich fragen, warum nicht sofort? Welchen Grund gibt es, sie auch nur einen Tag länger zu behalten? Dadurch entsteht der Eindruck, als seien die geraubten polnischen Kulturgüter Verhandlungsmasse. Lehmann schreibt in seiner Antwort: „Natürlich besteht umgekehrt die Erwartung nach Rückkehr der Berlinka.“ Doch ist die Rückgabe der Berlinka so natürlich? In der deutschen Berichterstattung darüber werden immer wieder in allen Einzelheiten die deutschen Verluste aufgezählt, die Beethoven-Handschriften und so weiter. Doch sie sind ja nicht verloren, sondern befinden sich lediglich statt in Berlin in Krakau. Von den polnischen Verlusten dagegen ist meist nur allgemein die Rede. Wóycicki sieht hier immer noch alte Stereotype am Werk, die sich auch in manche Rückgabeforderungen einschleichen, etwa das Vorurteil, die Handschriften würden in Krakau nicht mit der gleichen Sorgfalt konserviert.

Lächerlich wenig fordert Polen zurück. Aber abgesehen davon, dass man kaum abschätzen kann, was sich noch in privaten Händen befinden mag, hat Deutschland auch definitiv nicht viel mehr zurückzugeben. Denn während des Zweiten Weltkrieges vernichtete man planmäßig die polnischen Kulturschätze. Um nur einen Ausschnitt aus der langen Verlustliste aufzuführen: 74 Paläste, 96 Adelshöfe, 28 Museen und 102 Bibliotheken wurden geplündert, Warschau als Vergeltung für den Aufstand von der Landkarte ausradiert. Die dortige Nationalbibliothek verbrannte fast komplett. Die Jagellonen-Bibliothek in Krakau entging diesem Schicksal nur, weil dort Hans Frank im Stil eines Feudalfürsten residierte. Daher gilt ein Vorschlag der Kopernikus-Gruppe dem Aufbau eines Museums der Versöhnung in Warschau.

Deutschland ist weder in der Lage, die unwiederbringlich vernichteten Kunstschätze wieder zu beschaffen noch sie finanziell zu entschädigen. „Fünfzig Jahre nach dem Krieg sollte auch nicht mehr über Entschädigung gesprochen werden, sondern stattdessen über den Versuch einer emotionalen Wiedergutmachung.“ Wóycicki bringt dafür ein einfaches Beispiel. In Breslau/Wrocław wuchs mittlerweile eine Generation heran, die weder von den Kriegsleiden noch vom Kalten Krieg geprägt ist und die sich mit ihrer Stadt identifiziert, und zwar mit ihrer gesamten, das heißt auch deutschen Geschichte. Mit der Vertreibung wurden aber viele kulturelle Zeugnisse in den Westen verbracht. „Aber warum sollten zum Beispiel die Porträts der Breslauer Bürgermeister nicht an dem Ort hängen, für den sie gemalt wurden, dem Breslauer Rathaus?“ Henning Scherf, Bremens Regierender Bürgermeister, ging hier schon voran, als er im vergangenen Jahr eine Sammlung von 853 Büchern in die Stadt Danzig zurückbrachte.

Wóycickis Vorstellung ist, dass in einem geeinten Europa, die Deutschen ebenso gut die Geschichte der Polen erzählen können, deren Schicksal und tragischen Verluste, wie die Polen die deutsche und die der Vertreibung. Erst die Anerkennung der polnischen Verluste im allgemeinen deutschen Bewusstsein ermögliche eine Lösung der Einzelprobleme. Künftig sollte für die Zuordnung von Archivalien und Kunstschätzen das Territorialprinzip gelten, das heißt maßgeblich wäre dann der Ort und nicht die Nation. Europa gewänne so seine ursprüngliche Gestalt wieder. Die Voraussetzungen wären nach Wóycickis Meinung nach gegeben. „Wir sind ja mittlerweile Mainstream, wenn nicht, würde man ja uns in unseren Heimatländer als Verräter ansehen.“ Den Streit um die Berlinka empfindet er selbst als überflüssig. „Ich glaube, die Polen sollten Großzügigkeit zeigen oder ganz einfach diese Geste: okay, die Berlinka ist ein Anteil des preußische Kulturguts, geben wir sie zurück. Die Juristen können diese Probleme nicht lösen, dazu braucht es den politischen Willen.“

Nicht nur der politische Wille ist gefordert, sondern auch die Fähigkeit, in den Verhandlungen gleichzeitig die Perspektive der anderen Seite einzunehmen, nicht aus diplomatischer Strategie, sondern aus wirklicher Überzeugung. Und somit könnte sich der Streit um die Berlinka auch aus deutscher Sicht als nicht mehr vorrangig erweisen und als ein Problem, bei dem eine großzügige Geste die polnischen Verluste nicht ersetzen, sondern dass sie als Unterpfand für eine künftige gemeinsame Geschichte gelten kann.

In Berlin gibt es heute um 18.30 Uhr in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt ein öffentliches Gespräch zu diesem Thema. Eingeladen sind Antonius Jammers, Generaldirektor der Berliner Staatsbibliothek, Ewa Labno-Falencka, Dieter Bingen vom Deutschen Polen Institut sowie Kazimierz Wóycicki. Am 29. Januar wird Staatsminister Julian Nida-Rümelin die Lutherbibel aus dem Altbestand der Staatsbibliothek, die Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich seines Polenbesuchs von Ministerpräsident Jerzy Buzek erhalten hat, an den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, übergeben

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