Der Sonntaz-Streit: „Masernpartys sind Körperverletzung“
In Gemeinschaftseinrichtungen sollte es eine Impfpflicht geben, meint Eckart von Hirschhausen. taz-Leserin Sandra Köhrich wünscht sich Kinderärzte mit mehr Zeit.
BERLIN taz | In der Diskussion um den Umgang mit dem Ausbruch von Masern hat auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn (CDU) eine Impfpflicht gefordert. Er wolle zwar niemanden dazu zwingen – „aber in öffentlichen Einrichtungen wie Kita oder Schule sollte es eine Impfpflicht geben“, sagt er im sonntaz-Streit. Nicht zuletzt, betont er, um die Kinder zu schützen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen.
Auch Johannes Singhammer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CSU, spricht sich für eine Impfpflicht aus. Man müsse die Impfkompetenz des Einzelnen stärken, damit auch notwendige Folgeimpfungen durchgeführt und hohe Durchimpfungsquoten bei Kindern und Erwachsenen erzielt würden. „Wenn Aufklärung und Information zu keinen entscheidenden Verbesserungen beim Impfverhalten führen, werden wir über eine Impfpflicht nachdenken müssen."
Impfzwang? Das klinge so, als müssten die Ärzte den Anthroposophen einzeln mit einer Spritze hinterherrennen, meint der Arzt und Komiker Eckart von Hirschhausen. Das sei natürlich Quatsch. Aber: „So wie es beim Sicherheitsgurt selbstverständlich ist, eine Schutzmaßnahme verbindlich zu machen, wenn die Folgekosten die Solidargemeinschaft trägt, so macht Impfen für alle bei Masern sehr viel Sinn.“
Wer sich aus der kollektiven Verantwortung stehle, müsse aus Gemeinschaftseinrichtungen ausgeschlossen werden. „Masernpartys“, bei denen nicht geimpfte Kinder mit Kindern, die akut an Masern erkrankt sind, bewusst zusammengeführt werden, seien nicht die Antwort – sondern „vorsätzliche Körperverletzung“.
Gegen die Impfpflicht
Warum eine Mutter ihr Kind doch nicht in die Krippe gibt: Die Titelgeschichte „Meiner kommt nicht in die Kita“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Juli 2013. Darin außerdem: Die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland wird dominiert von westdeutschen Männern über 50. An ihrer Spitze steht allerdings eine Frau aus Ostdeutschland. Und: Der Autor Péter Esterházy über die Hölle der Perfektion und das Deutsche in Ungarn. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Sicher sei eine hohe Impfquote Grund zu Freude, sagt Dieter Carius, Experte der DAK-Gesundheit für Fragen der medizinischen Versorgung. Eine Umfrage im Auftrag der DAK hatte vor Kurzem ergeben, dass vier von fünf Deutschen eine Impfpflicht wollen. „Es muss darum gehen, dass jedes Kind eine Gelegenheit zur Impfung bekommt.“ Eine hundertprozentige Quote werde sich aber ohnehin nie erreichen lassen, es werde immer Eltern geben, die ihre Kinder der Impfung entziehen. „Das muss man akzeptieren, auch wenn es gute Gründe dagegen gibt.“
Auch Biggi Bender und Harald Terpe von den Grünen halten einen Impfzwang für nicht sinnvoll. Man müsse sich fragen, wie so etwas in der Praxis durchgesetzt werden soll, meint Terpe, Obmann im Gesundheitsausschuss. Bender weist darauf hin, dass Impfungen zwar Schutz, aber auch Risiko bedeuten. „Da soll die informierte Entscheidung fehl am Platze sein?“, fragt die Gesundheitsexpertin.
taz-Leserin Sandra Köhrich wünscht sich anstelle einer Impfpflicht Kinderärzte, die sich Zeit nehmen, die Eltern wirklich über die Vorteile und auch mögliche Risiken des Impfens aufzuklären. „Unser Kinderarzt hat uns damals einfach hektisch ein paar Broschüren in die Hand gedrückt und das war es dann. Von vorgeschriebener Impfberatung kann da keine Rede sein.“
Die sonntaz-Frage beantworten außerdem Wolfram Hartmann, Präsident des Verbands der Kinder- und Jugendärzte, Marlies Volkmer (SPD), stellvertretende Sprecherin für Gesundheit, Kathrin Vogler (Die Linke), Vorsitzende des Gesundheitsausschusses sowie Cornelia Bajic, Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte – in der aktuellen sonntaz vom 20./21. Juli 2013.
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