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Der Sieg ist eine Niederlage

Peter Brook? Ja, er lebt noch und knüpft mit „Battlefield“, das als Gastspiel in Köln zu sehen war, an seinen Begriff vom Welttheater an

„Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen“, sagt Peter Brook. Auf ihr steht Jared McNeill Foto: Caroline Moreau

Von Peter W. Marx

Es gibt einen Anfang vor dem Anfang: Die Lichter im Zuschauerraum sind noch nicht ganz verloschen, die Bühne aber noch leer, da betritt ein kleiner, gebrechlicher Mann das Theater, erklimmt die Stufen des Zuschauerraums, begleitet von einer Frau mit markantem Haarschnitt. Gemurmel unter den Zuschauern, ist er das? Er ist es. Peter Brook (Jg. 1925), in Begleitung seiner langjährigen Mitarbeiterin und Koregisseurin, Marie-Hélène Estienne, hat im Zuschauerraum Platz genommen. Seine Präsenz, mythisch fast, bildet ein zweites Gravitationszentrum – einen Effekt, den er zu brechen sucht, indem er sich Notizbuch und Stift reichen lässt: jede Aufführung ist auch Probe.

Der Abend verspricht eine Wiederkehr unter veränderten Vorzeichen: „Battlefield“, Brooks jüngste Produktion von 2015, die sich seither auf Tournee befindet, aber nur nach Deutschland, nach Köln, kam, ist eine Rückkehr Brooks zum antiken, in Sanskrit verfassten Mahabharata“-Epos, das er 1985 monumental inszeniert hat. Neun Stunden dauerte die Aufführung damals in Avignon und tourte anschließend weltweit. Für eine ganze Generation von Theatermachern und -zuschauern war sie Inbegriff eines neuen Theaters, das aus dem Dialog zwischen den Kulturen lebte.

So beginnt auch dieser Abend mit einem leeren Raum, über den Brook 1968 programmatisch schrieb: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen.“ Ausgelegt ist die Bühne mit einem orangefarbenen Teppich. Einige wenige Bambusstäbe und Stoffbündel markieren Punkte. Daneben ein Stuhl und eine Trommel. Es ist ein Erzähltheater, das sich in den kommenden 70 Minuten entfaltet, ein Theater mit einfachen Mitteln.

Die Fabel setzt ein mit dem Auftritt des blinden Königs Dhritarashtra, der tastend über die Bühne geht, die Schrecken des eben beendeten Krieges beschreibend. Ein apokalyptisches Szenario, Leichenberge, zerschlagene Leiber und zerstörte Leben – eine Wüste des Schreckens. Selbst der Sieger der Schlacht, sein Neffe Yudhishthira, kann nur feststellen: „Der Sieg ist eine Niederlage.“

Damit beginnt erst das eigentliche Stück – über die Rückkehr zum Leben, über Versöhnung, Schicksal und Bestimmung. Schon zu Beginn wird Dhritarashtra von seinem Bruder ermahnt, dass seine Aufgabe nun nicht Trauer und Gram über den Tod seiner Söhne sei, sondern seinem Neffen zu helfen, ein guter König zu werden.

Tod und Sterblichkeit

Die Erzählung umfasst die 36 Jahre währende Regentschaft von Yudhishthira. Es ist eine ausufernde, lustvoll mäandernde Erzählung, in die sich eine kaum überschaubare Fülle von Episoden einflicht. Es geht um das Lernen, die eigene Lebensaufgabe anzunehmen, ein gerechter König zu sein, Tod und Sterblichkeit zu akzeptieren.

Es ist auch großes Schauspielertheater: Karen Aldridge, Edwin Lee Gibson, Jared McNeill, Sean O’Callaghan und Toshi Tsuchitori als Musiker spielen und erzählen diesen Abend mit beeindruckender Virtuosität. Dabei widerstehen sie der Versuchung, sich von dem großen Stoff und der Poesie der Erzählung zum „hohen Ton“ verleiten zu lassen. Im Gegenteil, auch die komischen Aspekte werden an- und ausgespielt.

Der Abend hat aber noch eine zweite Seite, denn Brooks „Mahabharata“ löste seinerzeit auch Widerspruch und Ablehnung aus. Im Geiste des Postkolonialismus haben sich vor allem indische Intellektuelle wie Rustom Bharucha gegen den Brook’schen Gestus gewandt: Bharucha, dessen Arbeiten als Regisseur und Wissenschaftler um die politischen Bedingungen von Interkulturalität und Theater kreisen, warf Brook vor, dass er die indische Kultur nur als Stoff benutze, aber sich nicht der Mühe unterziehe, dem kulturell „Anderen“ eine Stimme einzuräumen.

Letztlich, so Bharuchas Argument 1988, sei Brooks Vorgehen ebenso kolonial wie die britische Herrschaft selbst. Was sich hier als interkulturelles Theater präsentiere, basiere nicht auf Dialog und Auseinandersetzung, sondern auf der Suche nach Material für die eigenen, westlich geprägten ästhetischen Herausforderungen.

Heute, 30 Jahre später, in einer politischen Situation, die die Frage nach der Möglichkeit interkulturellen Dialogs mindestens so eindringlich stellt wie damals, hätte man gerne auch Spuren dieser Reflexion gesehen. Doch diese Chance bleibt in „Battleground“ ungenutzt. Brook/Estienne präsentieren Brooks Welttheater – in verdichteter Form und mit der Perfektion eines großen Theaterabends. Die Inszenierung kehrt nur zu den Wurzeln ihrer eigenen Ästhetik zurück – vergeblich sucht man nach Spuren einer Auseinandersetzung etwa mit indischen Theaterformen wie dem Katakhali. So bleibt auch die internationale Besetzung blind gegenüber dem kulturellen Ort der Erzählung; er verschwindet hinter dem leeren Raum.

Damit aber vergibt die Inszenierung auch die Möglichkeit, die westliche Tradition, deren Echos deutlich aufscheinen, befragen zu lassen: Zwar wird Yudhishthira als ein Anti-Hamlet, der die gestellte Aufgabe anzunehmen versteht, in Andeutungen sichtbar, aber es entsteht kein Dialog.

Das Stück endet mit einem Bild von großer poetischer Stärke: Die Schauspieler sitzen eng umeinander, und als der geheimnisvolle Junge, in dessen Körper sich die ganze Welt wiederfindet, verspricht, nun alle Antworten zu geben, da setzt die Musik ein und die Schauspieler verharren lauschend. Auch das Kölner Publikum verharrte nach dem Verklingen der Musik im Lauschen, niemand schien den Augenblick durch Applaus be­enden zu wollen.

Als er dann schließlich doch kam, haben einzelne Schauspieler immer wieder, fast schüchtern, in den Zuschauerraum, in Richtung Brook gewiesen. Die Pointe des Schlussbilds, jegliche Antworten in den Klang der Musik zu verlegen und der Versuchung einfacher Lösungen zu widerstehen, ist ein starker Moment. Und vielleicht ist es naiv, eine Antwort auf die aktuellen Fragen mit Blick auf die „großen Meister“ zu erwarten. So wurden an diesem Abend Schönheit und Schwachpunke des Brook’schen Theaterkonzepts sichtbar – die erwartungsfrohe Stille aber gibt vielleicht Raum für neue Antworten.

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