piwik no script img

Der Rückzug des Johannes KahrsEin SPD-Strippenzieher gibt auf

Johannes Kahrs hat viele Gesichter: Machtmensch, Lobbyist, Politiker, Bundeswehrfan und Antifaschist. Nun beendet er seine Karriere.

Ist sein Abgang wirklich so lässig wie hier auf dem Bild? Johannes Kahrs verlässt die Politik. Foto: Chris Emil Janssen/imago

Hamburg taz | Wikipedia war schnell. Schon zwei Stunden, nachdem er mit einem Paukenschlag von allen politischen Ämtern zurückgetreten war, führte die Internet-Enzyklopädie am Dienstag Johannes Kahrs nur noch als „ehemaligen Politiker“. Mit dem gebürtigen Bremer, der seit 22 Jahren für den von ihm geführten Wahlkreis Hamburg-Mitte im Bundestag saß, verlässt ein politisches Schwergewicht die Berliner und auch die Hamburger politische Bühne, ein Mann der viele FreundInnen und genauso viele GegnerInnen hatte.

„Genetisch vorbelastet“ sei er, scherzt der Sohn des ehemaligen Bremer Justizsenators Wolfgang Kahrs und der früheren Bremer Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs. Bis zu seinem plötzlichen Abgang von der politischen Bühne am Dienstag galt Kahrs als Netzwerker und Strippenzieher par exellence, als graue Eminenz der Hamburger SozialdemokratInnen, der aus dem Hintergrund stets mitregierte und der in der Hamburger SPD einen eminenten und auf der Berliner Bühne einen großen Einfluss hatte.

Aus dem Kreis Hamburg-Mitte und seinem Berliner Büro heraus steuerte der langjährige Vorsitzende des parteirechten Seeheimer Kreises, den Kahrs gerne als die wahre SPD bezeichnete, seine Aktivitäten. „Krake“ oder „Krebsgeschwür“ sind die Vokabeln, die seinen GegnerInnen zum „System Kahrs“ einfallen. Seine FreundInnen aber nennen sich nur die „Kahrsianer“ – viele von ihnen haben als PraktikantInnen in seinem Hamburger Wahlkreisbüro angefangen und dann die Hamburger SPD Wahlkreis für Wahlkreis infiltriert.

Die Karriere von Kahrs ist von Skandalen geplastert

Kahrs ist in vielen Vereinen, Gesellschaften, Bünden – oft an führender Position. Das gehört zu seinem Netzwerk-System. Er ist Mitglied der studentischen Verbindung „Wingolfbund“, leistete Wehrdienst, ist Oberleutnant der Reserve und gilt als Förderer und Geförderter der Rüstungsindustrie, die mindestens einen seiner erfolgreichen und als Materialschlacht daherkommenden Bundestagswahlkämpfe mitfinanziert hat.

Einer der vielen Skandale, die den Aufstieg von Kahrs begleiteten, endete mit einer Fangschaltung. Anfang der neunziger Jahre hatte er eine innerparteiliche Konkurrentin mit anonymen nächtlichen Telefonanrufen bedroht, mit den Worten „Ich krieg dich, du Schlampe“.

Krake oder „Krebsgeschwür“ sind die Vokabeln, die seinen GegnerInnen zum „System Kahrs“ einfallen

Wegen seiner engen Verbindung zum Militär wähnte Kahrs, der immer wieder betont, „wie sehr ihm die Bundeswehr am Herzen liegt“, sich als prädestiniert für das Amt des Wehrbeauftragten. Auch wegen dieser Verbindung ist er allen Linken verhasst.

Für Hamburg eiste der langjährige Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der oft eher Lobbyist als Politiker war, Millionen für Projekte wie das Deutsche Hafenmuseum oder den Fernsehturm los. Und es gab eins, was auch seine GegnerInnen an Kahrs sehr schätzten: Er zeigte immer klare Kante gegen rechte Umtriebe, vor allem gegen die AfD. Den Rechten war er ebenso verhasst wie den Linken, und sie überzogen ihn in den sozialen Netzwerken mit Schmähungen.

Nachfolge noch ungeklärt

Auch wenn es in den vergangenen Jahren etwas ruhiger um Kahrs geworden war, so nahm sein Einfluss in der Hamburger SPD eher wieder zu – was mit dem Abgang des Mannes zu tun hat, dem es als Einzigem gelungen war, Kahrs zu domestizieren. Sein Name: Olaf Scholz. Neben Finanzsenator Andreas Dressel und Parteichefin Melanie Leonhard galt Kahrs bis Dienstag als einflussreichster Politiker in der Hamburger SPD.

Für seine Nachfolge als Kreischef der SPD-Mitte kommen nur Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Bezirksamtschef Falko Droßmann, beide enge Kahrs-Verbündete, infrage. Klar aber ist auch: Der Machtmensch Kahrs ist nicht eins zu eins zu ersetzen. Seine Macht müsse nun, sagt ein Kahrsianer,, „auf mehrere Schultern verteilt werden“, während die Kahrs-GegnerInnen hoffen, dass „diese innerparteilich starke Gruppe nun in mehrere Teile zerfällt“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die Kahrs-Gruppe zerfällt nicht. Er startete das Rechte-Revival über die Jusos als 'Junge Union' in der HH-SPD ja auch nicht alleine, mindestens Markus Schreiber war vorher da, Carola Veit kam nicht über die Kahrs-Schiene und überhaupt ist das eine Truppe, die lange eher aus Wandsbek kam, bevor Kahrs ein besonders penetrantes Netzwerk im Kreis-Mitte installierte. Aber diese SPD-Schiene, die auf mich immer so wie Generation-Kohl bei der SPD gewirkt hat, wird nicht verschwinden. Dazu haben die Kahrsianer genug Struktur in ihrem Sinne geändert. Politisch im engeren Sinne wird eh nicht diskutiert, in Frage stellen ist auch eher nicht angesagt. Nur eine junge Linke mit viel Power könnte die SPD in Mitte kippen und wieder anders strukturieren, aber warum sollen junge Menschen 10 oder 15 Jahre ihre Freizeit in so ein Projekt stecken und gegen abgebrühte Polit-Profis kämpfen?

    • @Andreas_2020:

      Hr. Kahrs war mir als Linker wirtschafts-, rüstungs-, und sozialpolitisch milde gesagt fremd. Aber als Antifaschist hatte er meine vollen Sympathien. Er hat gezeigt, dass der notwendige Einsatz gegen Rechts auch aus der politischen Mitte möglich, ja sogar zu einem Leitbild werden kann. Auch wenn bei ihm mögliche Zusammenhänge zwischen ökonomischer Perspektivlosigkeit und autoritären politischen Einstellungen viel zu kurz gekommen sind. Trotzdem: schade, dass er die Bühne verlässt. Immerhin ist er konsequent und das spricht für ihn!

      • @Christian B.:

        Wenn ich die CDU oder CSU liebe, dann wähle ich auch die. Ob es mir dann schöner vorkommt, wenn ich im ehem. Wahlkreis von Johannes Kahrs wohne, der ähnliche Positionen vertritt, weiß ich nicht, weil das bei mir nicht so ist. Innerparteilich hielt JK nicht viel von Diskussionen, Auseinandersetzungen mit anderen außerhalb der Partei hat er ja einige geführt. Das stimmt, auch sonst klare Aussagen im NDR Info oder Deutschlandfunk, aber auch die werde ich jedenfalls nicht vermissen, er wird sowieso ersetzt, lange wird seine Stelle nicht vakant bleiben.