■ Der Prozess gegen den Libanesen Safwan Eid schürte linke Emotionen wie kaum ein zweiter. Dass er wegen schwerer Brandstiftung angeklagt wurde, empfanden viele als Bestätigung für den Rassismus des Staates. Heute wird das Verfahren gegen den 1997 freigesprochenen Eid in Kiel neu aufgerollt.: Glaubensfrage Safwan Eid
Die Feuerwehrmänner kamen um 3.47 Uhr. Was sie an der Asylbewerberunterkunft in der Lübecker Hafenstraße erwartete, wussten sie nicht. Sie wussten nur, dass ein Haus brennt, in dem Menschen wohnen. Noch Monate nach diesem Einsatz träumten manche der Sanitäter und Feuerwehrleute von Männern und Frauen und Kindern, die aus dem oberen Stockwerk des Hauses sprangen, um sich vor den Flammen zu retten. Zehn Menschen kamen bei dem Brand in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 ums Leben.
Die Katastrophe beherrschte in den Tagen danach die Medien, in Lübeck, in der Bundesrepublik, im Ausland. Die Bilder gingen um die Welt: Bürgermeister Michael Bouteiller, ein linker Sozialdemokrat, am Morgen weinend vor dem verkohlten Torso des Hauses.Trauernde Lübecker singend vor der Ruine: „We Shall Overcome“. Sie alle waren sich einig: Das war ein Anschlag von Neonazis.
Die Annahme, dass das Feuer nur von Rassisten gelegt worden sein könnte, lag nahe. Die Hansestadt an der Trave in direkter Nachbarschaft zu Mecklenburg-Vorpommern war bereits seit Jahren Ziel rechter Gewalt gewesen.
1994 und 1995 wurde die Synagoge, aber auch Wohnhäuser und Restaurants, die gerne von Nichtdeutschen besucht werden, Opfer von Brandanschlägen. Zur gleichen Zeit wurden beinahe täglich aus allen Teilen der Bundesrepublik Angriffe auf Einrichtungen gemeldet, in denen Asylbewerber vermutet wurden. Heute machen Gewalttaten gegen Ausländer kaum mehr Schlagzeilen: Auch die liberale Öffentlichkeit scheint sich an sie gewöhnt zu haben.
Damals, vor dreieinhalb Jahren in Lübeck, war die Aufmerksamkeit noch größer. Auch in der taz hieß es in diesem Sinne kommentierend, dass sich alle Deutschen Schuld aufgeladen haben, weil nicht der Brand allein, sondern schon die enge Wohnsituation der Asylbewerber skandalös sei. Das Diakonische Werk in Lübeck koordinierte die Verteilung der Sach- und Geldspenden aus der Lübecker Bevölkerung. Eine Stadt zeigte Mitgefühl.
Kurzum: Es gab vernehmlich niemanden, der zunächst nicht von einem rassistischen Anschlag ausgegangen war. Zumal in den Morgenstunden dieses sehr kalten Wintertages vier Jugendliche aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen als Verdächtige festgenommen wurden. Sie wiesen an Haaren und Kleidung Sengspuren auf. Nur sie, so schien es, konnten es gewesen sein.
Doch dann kam die Wende. Die Jugendlichen waren unmittelbar vor dem wahrscheinlichen Brandausbruch tanken – und wurden dabei von einer Polizeistreife beobachtet. Statt ihrer nahm die Polizei nun den jungen libanesischen Asylbewerber Safwan Eid fest, den späteren Angeklagten. Ein Sanitäter hatte den Ermittlern gegenüber ausgesagt, er habe Eid, der selbst mit seiner Familie in dem abgebrannten Haus wohnte, in einem Rettungsbus die Worte sagen hören: „Wir waren's.“
Die Polizei stützte ihren dringenden Tatverdacht darüber hinaus auf ihre Recherchen, nach denen Eid sein Schlafgewand nach der Versorgung im Krankenhaus weggeworfen habe und sich von einem Familienmitglied hat abholen lassen. Eid wurde in Untersuchungshaft genommen.
In diesem Moment wurde die Brandkatastrophe zu einer Glaubenssache. Linke Unterstützergruppen erkannten in den Ermittlungen der Polizei rassistische Ressentiments gegen Asylbewerber und zugleich klammheimlichen Schutz der Grevesmühlener Jugendlichen.
Eids Anwältin, Gabriele Heinecke aus Hamburg, holte ihn aus der Untersuchungshaft heraus, indem sie die Vorwürfe gegen ihren Mandanten schon im Vorfeld des Prozesses entkräften konnte. Streit im Haus unter den Asylbewerbern habe es keinen gegeben; die Brandzeit stünde nicht fest, so dass das Alibi der jugendlichen Rechten nicht mehr ausreiche; der Sanitäter habe sich verhört.
Als der Prozess vor dem Lübecker Landgericht am 16. September 1996 begann, leistete Eids Verteidigung exzellente Arbeit. Ihr gelingt es, entscheidende Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu schüren. Selbst die Protokolle eines Telefongesprächs Eids mit dessen Bruder, die die Staatsanwaltschaft für beweiskräftig im Sinne eines Schuldeingeständnisses hielten, spielten keine Rolle mehr. Die Richter wiesen diesen Beweis als illegal erhoben zurück.
Die Unterstützergruppen waren während des gesamten Verfahrens präsent, demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude („Freiheit für Safwan Eid“) und konnten sich nie von der Überzeugung verabschieden, dass kein rechtsstaatlich faires Verfahren stattfindet. Bis zum Schluss sahen sie in den Verhandlungen nichts als ein Tribunal.
Es hatte den Anschein, als ob jedes Urteil eine Bestätigung dieser Sicht gewesen wäre: Eines im Sinne der Anklage wäre der Beweis des Rassismus des Gerichts gewesen; eines im Sinne der Verteidigung nur der Ausweis, dass es mit Mühe und Not gelingen kann, eben diesem rassistischen Apparat Zugeständnisse abzutrotzen.
In linksradikalen Kreisen hält sich bis heute die Idee, dass die Grevesmühlener Jugendlichen nur deshalb nicht behelligt wurden, weil sonst eine gigantische Verschwörung mit dem Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und der Neonaziszene als Beteiligten herausgekommen wäre.
Tatsächlich wird die Neuauflage des Prozesses vermutlich nichts dazu beitragen können, die wirklichen Vorgänge in der Brandnacht zu klären. Weiß der Sanitäter vielleicht doch mehr? Warum hat der Vater des Angeklagten die Familie El-Omari, die einen Sohn in den Flammen verloren und die Revision erfolgreich angestrengt hat, dazu nötigen wollen, eine frühere Zeit als Beginn des Brandes anzugeben? Was wissen die Hausbewohner, die bis auf eine Ausnahme inzwischen alle ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik haben, wirklich von möglichen Konfliktquellen in ihrer Unterkunft? Was hat der frühere Staatsanwalt Wolfgang Böckenhauer zu dem Vorwurf zu sagen, die Ermittlungen gegen die Jugendlichen verschleppt zu haben?
Würden diese und weitere Fragen beantwortet, wäre der Prozess gegen Safwan Eid keine Glaubenssache mehr. Er würde nach Lage der Dinge freigesprochen bleiben. Die jetzt zugelassenen Tonbandprotokolle werden Gegenstand eines filigranen Streits um arabische Dialekte sein – ein Geständnis wird aus ihnen nicht herauszuhören zu sein, ein Motiv für die Tat ebensowenig. Der Tod von zehn Menschen, die Verletzungen von 38 Menschen ist offenbar nicht aufklärbar. Es wird eine Glaubensfrage bleiben.
Jan Feddersen
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