: Der Protestant im Backofen
Höret die frohe Botschaft, und ihr sollt das Seelenheil erlangen! Im hessischen Mainhausen sendet der Evangeliums-Rundfunk mit einer so hohen Leistung, dass elektrische Apparate erleuchtet werden und die Anwohner dort um ihre Gesundheit fürchten
von HEIDE PLATEN
Zellhausen im Süden Hessens: Predigten erschallen aus Video-Recordern, aus CD-Playern, Heimorgeln und PCs, Internet-Zugänge werden blockiert, Whirlpools schalten sich an wie von Geisterhand, Kirchenmusik klingt aus Telefonen, Türsprechanlagen, aus Heizkörpern und Elektroherden. Wegfahrsperren und Schließanlagen der Autos sind gestört.
Günter Ohlig findet das gar nicht mehr komisch. 1997 ist er in das Haus im Neubaugebiet gezogen. Von der akustischen Dreingabe haben er und seine Nachbarn nichts gewusst: „Viele fühlen sich betrogen.“ Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende läuft Sturm gegen den Sendemast am Ortsrand der Gesamtgemeinde Mainhausen. Der steht im Wald neben dem Hundesportplatz und kachelt auf Mittelwelle das Programm des protestantischen Missionssenders Evangeliums-Rundfunk e. V. (ERF) aus Wetzlar mit 700.000 Watt über das Land, Reichweite „von Italien bis Norwegen, vor allem nachts“. Schilder warnen Träger von Herzschrittmachern vor dem Betreten des Geländes.
Klagen gibt es bereits seit 1996. Der Widerstand formierte sich im Herbst 2001: „Da müssen die die Sendeleistung erhöht haben.“ Eine Bürgerinitiative hat inzwischen sämtliche Beschwerden aufgelistet und dabei auch Meldungen aus dem Umland bis ins bayerische Aschaffenburg hinein erhalten. Die Gemeinderäte hatten schon 1998 eine fristlose Kündigung der alten Verträge der Stadt mit Post und Telekom aus den 60er-Jahren gefordert, wegen rechtlicher Bedenken dann aber wenigstens fristgerecht spätestens mit deren Auslaufen 2001. Stattdessen aber verlängerte der Gemeindevorstand die Abschlüsse eigenmächtig bis 2010, mit einseitiger Option der Betreiber auf je viermal fünf Jahre Verlängerung. Eine neue Laufzeit also, so Ohlig, „von noch einmal 30 Jahren“. Die Opposition verlangte Akteneinsicht in das Vertragswerk. CDU-Bürgermeister Dieter Gröning mauerte. Im Dezember 2001 teilte er mit, „dass Sie die geforderten Unterlagen nicht erhalten können, da diese Art der Verwaltung nicht üblich ist“. Im März 2002 forderte eine Bürgerversammlung die Kündigung der Miet- und Pachtverträge und die Stilllegung des Senders. Auch die Abgeordneten der Gemeindevertretung, inzwischen einschließlich der Stimmen der CDU, ließen nicht locker. Sie beantragten nun einen Akteneinsichtsausschuss, in dem auch BI-Vetreter sitzen sollten. Gröning blockierte deren Beteiligung – diesmal formal mit dem Verweis auf die Hessische Gemeindeordnung, die einen Ausschuss mit externen Experten nicht zulasse.
Nach wochenlangen Protesten entschuldigte sich der ERF bei den Mainhausenern und teilte ihnen mit, dass er „die seit mehreren Wochen geschilderten technischen Beeinflussungen“ durch die Mittelwellenausstrahlung „zutiefst“ bedauere. Er werde sich bei der Telekom für eine Besserung einsetzen. Auch die Telekom wurde aktiv. Ohlig ist sich nicht sicher, ob dies auf das Drängen der Gemeindevertreter auf Akteneinsicht zurückzuführen sei. Seither sei es nämlich „etwas besser“ geworden. Tagsüber sei es „relativ ruhig, abends ab 18 Uhr aber sei das unerwünschte Programm, das von 5 bis 24 Uhr auf Sendung ist, immer noch zu hören.
Besonders empört waren die Anwohner, als die Betreiberin Telekom im Februar erklärte, sie sei nicht verantwortlich dafür, dass elektronische Geräte in privaten Haushalten „nicht in Ordnung“ seien. Ohlig und seine Mitstreiter hätten, sagt er, mit Gottes Wort aus dem Äther ja auch noch leben können, nicht aber mit den Gesundheitsstörungen durch massive elektromagnetische Strahlungen, die vor allem die Zellhausener beklagen und aufgelistet haben: Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Allergien, Kopfschmerzen. Sie fürchten eine erhöhte Tumorgefahr.
Im April bot die zuständige Regulierungsbehörde für Telekom und Post neue Messungen in Zellhausen an, bezweifelte aber, dass die Grenzwerte überschritten würden. Ein Ergebnis des Akteneinsichtsausschusses wird nun im Sommer erwartet. Inzwischen haben die Mainhausener Kontakt mit der Bürgerinitiative im oberbayerischen Ort Valley bei Holzkirchen aufgenommen. Dort streiten die Anwohner seit Jahren gegen einen US-amerikanischen Sender.
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