: Der Pfadfinder aus Bonn
■ Gestern packte der Bundesbauminister Franz Müntefering seinen ersten Umzugskarton aus
Natürlich gehört eine gute Show zu professioneller Politik. Und Bundesbauminister Franz Müntefering (SPD) gibt an diesem ersten Tag des offiziellen Dienstbeginns in Berlin seine Rolle als oberster Umzugsbeauftragter überzeugend. Morgens um acht packt er mit Männern in dunkelroten Latzhosen seinen Schreibtisch vom Möbelwagen, klettert die kleine Trittleiter rauf und runter. „Pack an, Franz!“ ruft einer seiner Sprecher, als handle es sich bei Müntefering nicht um einen Bundesminister, sondern einfach einen freundlichen Herrn im Anzug, der sich für körperliche Arbeit nicht zu fein ist.
Scheinbar schwer trägt er an einem großen Karton und bewegt sich mehrere Minuten lang wie ein Modell beim Foto-shooting im Zeitlupentempo. Von der einen Seite dreht er sich langsam über die Mitte, blickt dann nach unten. Schließlich hebt der 59jährige die Augen gen Himmel und schweift schließlich mit dem Blick in die Ferne. Dabei spricht er nicht. Der Mund ist ein wenig geöffnet. Nur ein Hauch. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Jetzt haben ihn einige der Fotografen im Profil, andere von vorne, dritte von seitlich unten. Klick, klick. „Hier, Herr Müntefering!“ ruft ein Kameramann. Klick. „Ja, und noch mal, gut, gut, gut!“ und ein anderer: „Herr Minister!“ Klick. „Na, wie viel Bilder wollt ihr denn noch schießen?“ fragt er. Doch als Organisationsprofi, der schon als Chef der Wahlkampfzentrale „Kampa“ den erfolgreichen Bundestagswahlkampf der SPD im Herbst organisiert hat, weiß er, wie wichtig Bilder sind. „Jeder will schließlich mal der erste sein“, sagt er wenig später und lacht dann trocken: „Dieses Mal habe ich die Chance genutzt.“
Das Bundesbauministerium ist das erste Bundesministerium, das gestern seine Arbeit in Berlin aufgenommen hat. Weitere werden in den nächsten Wochen folgen. „Wir wollen sozusagen den Pfadfinder“ in Berlin machen, ist die Devise des Chefs.
Mit dem Minister ziehen rund 400 Mitarbeiter in einen Teil des ehemaligen DDR-Verkehrsministeriums ein. Bis Ende des Jahres soll die Zahl auf 700 steigen. 900 weitere Angestellte bleiben in Bonn. „Nein, nein, die, die in Bonn bleiben, sind nicht traurig. Es sind keine Beamten zweiter Klasse“, wehrt ein Sprecher des Ministeriums ab, der den Shootingszenen amüsiert zuschaut. Und weil an so einem Tag nach Auffassung von Sprechern alles schön ist, geht es auch allen gut, egal wen man fragt. Doch tatsächlich hat sich die anfängliche Umzugsverdrossenheit „der Bonner“ offenbar gelegt. „Wissen Sie, da ist im Winter noch mal so richtig ein emotionaler Ruckdurch die Beamten und Angestellten gegangen“, beschreibt er die neue Einstellung zum Berlin-Umzug.
Da ist zum Beispiel Gitte Antwerpen. Sekretärin des parlamentarischen Staatssekretärs Siegfried Scheffler und vom Naturell das, was man eine richtige rheinische Frohnatur nennt. Die 29jährige kommt aus Bad Neuenahr, einem Kurort, wo die meisten Menschen entweder Winzer oder Winzerkinder sind oder in der Gastronomie zu tun haben, wie Gittes Familie. Aber Gitte wäre nicht Gitte – „meine Mutter war ganz närrisch nach der Schlagersängerin und hat mich original nach ihr benannt“ –, wenn sie sich nicht entschlossen hätte, es „wenigstens als Pendlerin mit Berlin zu probieren“. Und sagt dann frohgemut in breitem Rheinisch: „Nun bin isch hier. Ohne Kind und Kegel, ohne Haus und Mann.“ Erzählt, wie nett sie bei den Preußen aufgenommen worden sei. „Das hätte ich gar nicht erwartet.“ Sie habe sich das alles viel schlimmer hier vorgestellt, „drekkiger und ein größeres Elend“. Und Wehmut? „Nein.“
„Warum wollt ihr denn immer alle Wehmut haben?“ fragt wenig später auch Müntefering, der im zweiten Stock mit seinem Umzugskarton angelangt ist, den Journalistentroß. „Wir sind ja nicht raus aus der Welt“, findet er, der nun ein paar in den Kartons präparierte Dinge auspackt. Da ist zum Beispiel die Grubenlampe, die er von Kumpels geschenkt bekommen hat, oder die Holzwippe, „mit der ich ausgleichende Politik machen will“. Aber an sich wirkt das Büro mit seinem Mobiliar, das schon am Samstag von der Umzugsfirma in Berlin angeliefert wurde, noch recht unpersönlich.
Da stehen der antike Schreibtisch und das Vertiko, die schon Anfang der 80er Jahre der frühere CSU-Verkehrsminister Friedrich Zimmermann angeschafft hat. Daneben ist die moderne dunkelgrüne Ledercouch plaziert, die zusammen mit den Sesseln in dem nur etwa 20 Quadratmeter großen Ministerbüro zu groß wirkt. Aber das Büro in der Krausenstraße ist nur ein Provisorium für ein halbes Jahr, bis der endgültige Bau in der Invalidenstraße fertig ist.
Einzig ein in die Jahre gekommener Dual-Schallplattenspieler zeugt von wahren Lieben in Münteferings Minister alltag. Dort auf dem Plattenteller liegt Beethovens Symphonie Nr. 3 in Es-Dur. So, wie das Gerät samt Schallplatte da steht, wurde es am Freitag in Bonn in die Kiste gepackt. Ansonsten müssen alle die Phantasie bemühen, um sich das zukünftige Wirken des Ministers in dem Raum vorzustellen. Müntefering hilft ein bißchen, indem er erklärt, wo sonst welcher Packen auf seinem Schreibtisch liegt: „Hier die Post, da der Stapel für die Staatssekretäre, hier einzelne Vorgänge.“
Und in Plauderlaune erzählt der Minister, es gebe zwei Sorten von Menschen. Die einen arbeiten an einem vollen Schreibtisch, wo auch mal was kreuz und quer geht, und bei den anderen ist immer alles aufgeräumt. „Ich gehöre zu denen mit vollem Schreibtisch. Das Chaos zu ertragen zeugt von psychischer Gesundheit“, unterhält er die umstehende Journaille. Es soll ja schließlich menscheln.
Und so hat auch anschließend der parlamentarische Staatssekretär Scheffler ein offenes Ohr für ein paar Fragen. Der Politiker, der seit 1990 für die SPD im Bundestag sitzt, war schon in der DDR mit dem Thema Verkehr in der Bezirksdirektion beschäftigt. Und für ihn, den Köpenicker, ist der Umzug nach Berlin „ein Nachhausekommen“. Schließlich hatte er bislang die umgekehrte Pendlersituation zu managen. Nach dieser letzten Sitzungswoche in Bonn rückt Berlin in die Mitte des Geschehens: „Für mich sind die Veränderungen, die in Berlin seit 1990 stattgefunden haben, überwiegend positiv“, sagt er. Aber natürlich müsse man jenseits aller Glitzerfassaden auch schauen, daß man die Menschen mitnehme. Nicht nur bei den Mieten. Die Bürger müßten sich auch wohl fühlen. In Köpenick, da, wo er wohnt, habe sich nicht soviel verändert. Nur die Anbindung an Berlin sei wieder viel besser. Jetzt könne er, wie damals vor dem Bau der Mauer, seine Anzüge in Neukölln einkaufen. Für ihn ist Westbury, die C&A-Hausmarke, die erste Adresse für Anzüge. „Die haben so praktische Reißverschlüsse“, sagt er. Schließlich müsse er auch in Zukunft viel reisen. Vor allem in die neuen Bundesländer.
Annette Rollmann
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