Der Papst und die Junta in Argentinien: Komplize oder Retter?
Menschenrechtler streiten über die Rolle Bergoglios zur Zeit der Junta. Der neue Papst will das Ausmaß des Terrors nicht gekannt haben.
BERLIN taz | „Für uns ist das nicht gut“, sagt Graciela Lois von der Organisation der Angehörigen Verschwundener in Argentinien. Als sie von der Wahl Jorge Mario Bergoglios zum Papst hörte, hielt sie das zunächst für einen schlechten Witz. „Es ist ein Rückschlag im Kampf um die Erinnerung, die Wahrheit und die Gerechtigkeit in Argentinien“, sagt auch Carlos Pisoni von der Organisation Hijos. Darin haben sich Menschen zusammengeschlossen, deren Eltern während der argentinischen Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 von Militär oder Polizei verhaftet wurden und nie wieder auftauchten.
Bis zu 30.000 Menschen wurden in jener Zeit umgebracht. Die meisten Angehörigen wissen bis heute nicht genau, was mit ihren Verwandten geschehen ist. Bergoglio, zwischen 1973 und 1979 oberster Jesuit Argentiniens, war schon damals ein einflussreicher Kirchenmann.
Dass zumindest Teile der katholischen Amtskirche eng mit der Diktatur zusammengearbeitet haben, ist unumstritten. Der Autor und Gründer des Menschenrechtszentrums CELS, Emilio Mignone, belegte das schon 1986 eindrucksvoll in seinem Buch „Kirche und Diktatur“. Bergoglio ist für Mignone der Prototyp für diese „finstere Komplizenschaft“, ein Beispiel dafür, wie sich Kirchenleute „hergaben, den Innenhof der Kirche zu säubern“.
Im Zentrum der Vorwürfe steht der Fall zweier junger Jesuitenpriester, Francisco Jalics und Orlando Yurio. Beide, nicht zuletzt inspiriert von der in Lateinamerika im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965 aufkommenden Befreiungstheologie, arbeiteten in einem Armenviertel der Hauptstadt. Am 23. Mai 1976, zwei Monate nach dem Militärputsch, wurde beide von Marineinfanteristen festgenommen und in die berüchtigte „Escuela Mecanica de la Marina“ gebracht. Die Esma war das wohl berüchtigtste Folterzentrum der Militärdiktatur.
Nach langer Folter
Gut fünf Monate später, nach langer Folter, kamen beide wieder frei – aus einem Hubschrauber wurden sie auf einem Feld abgeworfen und überlebten. Bis hierhin ist die Geschichte unstrittig. Unklar ist bis heute aber, welche Rolle Bergoglio bei der Verhaftung der beiden gespielt hat. Nach eigener Darstellung hat er sie gewarnt und gebeten, ihre Arbeit im Armenviertel zumindest vorübergehend aufzugeben, weil er ahnte, dass sie das in Gefahr bringen würde.
Die beiden hätten sich geweigert. Auch nach ihrer Verhaftung habe sich Bergoglio für sie eingesetzt, unter anderem in mehreren Gesprächen mit den damaligen Junta-Führern Emilio Massera und Jorge Videla.
Orlando Yurio erzählte zeit seines Lebens – er starb im Jahr 2000 – eine andere Geschichte. Er sei sich völlig sicher, dass es Bergoglio selbst war, der Informationen über die Arbeit der beiden an die Militärs weitergegeben habe, ebenso wie den – potenziell tödlichen – Verdacht, sie steckten mit der linken Guerilla der Montoneros unter einer Decke. Für die Recherchen zu seinen 2005 erschienen Buch „Das Schweigen. Von Paul VI. bis Bergoglio – die geheimen Beziehungen der Kirche zur Esma“ interviewte der Journalist und Menschenrechtler Horacio Verbitsky Yurio 1999. Yurio berichtete von einer Reise nach Rom.
Dort habe ihm ein befreundeter Pater im Vatikan berichtet, „dass die argentinische Regierung unsere Verhaftung damit begründet hatte, dass unsere Kirchenoberen der Regierung berichtet hatten, dass mindestens einer von uns Guerillero sei“. Dies sei Bergoglio gewesen. Der hat das stets bestritten.
Aktive Rolle?
Andere gehen nicht so weit wie Orlando Yurio. Sie behaupten nicht, dass Bergoglio eine aktive Rolle bei der Verhaftung der beiden jungen Jesuiten gespielt habe. Sie werfen ihm allerdings vor, ihnen den Schutz verweigert und sie so de facto den Militärs ausgeliefert zu haben. Tatsächlich hatte Bergoglio eine Woche vor dem Militärputsch beide von ihrem Posten abzuziehen versucht. Als sie sich weigerten, hatte er die „Gehorsamsverweigerung“ weitergemeldet.
Die Militärs könnten dies als grünes Licht für die Verhaftung aufgefasst haben. Dass es ganze fünf Monate bis zu ihrem Freikommen dauerte, spricht nicht für ein besonders aktives Engagement Bergoglios. Als dieser im Jahr 2010 in verschiedenen Prozessen als Zeuge gehört wurde, verärgerte er Opferangehörige, weil er schlicht bestritt, von bestimmten Dingen vor dem Ende der Diktatur gewusst zu haben – dass das nicht stimmen kann, wurde ihm inzwischen nachgewiesen.
Ihm wird unterstellt, dass er vor allem seine eigene Position und die der „Compañia de Dios“, also der Jesuitenorganisation in Argentinien, habe schützen wollen, weniger die von der Diktatur bedrohten Pater. „Der Schäfer, der die Schafe übergibt“, nennt ihn deshalb Emilio Mignone.
Eindruck der Bescheidenheit
Während Bergoglios erster Auftritt als Papst auf dem Balkon des Petersplatzes am Mittwochabend bei Beobachtern den Eindruck der Bescheidenheit hervorrief, zeichnen argentinische Quellen das Bild eines machtbewussten Kirchenmanns, der schon seit Langem bereit sei, Prinzipien zugunsten seiner Karriere aufzugeben. Wie die taz bei der Wahl Joseph Ratzingers titelte die argentinische Pagina/12 jetzt: „Dios Mio!“.
Unterstützung erhält Bergoglio von einem der prominentesten Menschenrechtsverteidiger Argentiniens. Gegenüber BBC Mundo sagte Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel: „Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren, aber Bergoglio nicht.“ Warum er sich da so sicher ist, sagt Pérez Esquivel nicht. Er verweist nur allgemein darauf, dass viele Kirchenleute versucht hätten, durch stille Intervention Menschenleben zu retten.
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