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Der Papst begeistert die Gläubigen

Johannes Paul II. besucht zum achten Mal seine Heimat Polen. Jugendliche begrüßen den Pontifex maximus in Krakau. Dort trifft er auch auf alte Bekannte. Kritik an dem Oberhirten ist in der katholischen Kirche bis heute nicht erwünscht

aus Krakau GABRIELE LESSER

„Halleluja“, stimmt ein Jugendlicher an, und sofort fallen hunderte Pilger ein. Als sich der Papst am Fenster des Erzbischöflichen Palais in Krakau zeigt, jubeln ihm die 15- bis 20-Jährigen zu: „Witamy w domu! Willkommen zu Hause!“ Der Papst, wie immer zu Scherzen mit den jungen Leuten aufgelegt, ruft zurück: „Wenn noch jemand fragen sollte, sagt ihm nur: Franciszkanska 3!“ Hier wird er in den nächsten drei Tagen wohnen.

„Vor 23 Jahren habe ich zum ersten Mal an diesem Fenster gestanden. Jetzt habe ich 23 Jahre mehr auf dem Buckel.“ Die Jugendlichen, es mögen 1.000 oder 2.000 sein, antworten wie aus einem Mund: „Wir lieben dich!“ Johannes Paul II. deutet in die Menge: „Und Piotr, den ich da unten sehe, ist mit mir 23 Jahre älter geworden.“ Alle klatschen begeistert. Piotr Malecki wischt sich Tränen der Rührung aus dem Gesicht. Er ist einst mit dem jungen Priester Kajak gefahren, gehörte zu seiner Studentengemeinde. Seit dem ersten Besuch des Pontifex in seinem Heimatland hilft der heutige Professor der Ingenieurwissenschaften bei jedem Papstbesuch in der Kurie aus. Ein Freundschaftsdienst. Der Papst winkt den Jugendlichen und seinen Freunden zu: „Bis morgen, meine Lieben!“ Wieder antwortet die Menge wie aus einem Mund: „Gute Nacht, Papst!“

Das Fenster schließt sich. Hunderte von Jugendlichen rollen ihre Schlafsäcke und Isomatten aus. Thermoskannen mit heißem Tee kreisen. Alle wispern nur noch. Jan Pawel II., wie Johannes Paul II. hier heißt, braucht Ruhe. Morgen hat er einen anstrengenden Tag vor sich.

Karol Tarnowski gehörte ebenfalls zur Kajakgruppe. Heute ist er Professor an der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau und ein über Polen hinaus bekannter Religionsphilosoph. Am Samstagmorgen packt er den Talar und das Professorenkäppi ein. Gegen Mittag will er dem Papst zusammen mit den Kollegen von der Akademie und der Jagiellonen-Universität den neuen Campus zeigen und die neue große Bibliothek der Akademie. Die Straßen sind gesperrt. Alle drei Meter steht ein Polizist. Nur spezielle Pilgerbusse dürfen passieren.

Im Bus erzählt Tarnowski: „Ohne Karol wäre mein Leben völlig anders verlaufen. Durch ihn habe ich Maria kennen gelernt, meine Frau. Er hat uns getraut und später auch unsere beiden Kinder getauft, Anna und Jan.“ Er begrüßt kurz einen Kollegen und fährt fort: „1949 war das. Da kam Karol Wojtyła als Vikar an die St.-Forians-Gemeinde in Krakau. Ich war zwölf Jahre alt und bin zu ihm in die Beichte gegangen.

Der Bus hält. Tausende Menschen mit gelb-weißen Vatikanfähnchen warten bereits vor dem Bibliotheksrohbau. Immer mal wieder stimmen sie ein religiöses Lied an und wiegen sich im Rhythmus. Das Wetter meinte es gut mit den Krakauern. Nach tagelangem Dauerregen scheint endlich wieder die Sonne. Geladene Gäste müssen sich in eine lange Schlange einreihen und eine Sicherheitskontrolle über sich ergehen lassen. Prof. Tarnowski holt seine Karte aus der Tasche und stellt sich an. Er nickt in verschiedene Richtungen, grüßt und schüttelt Hände.

„Ich war 15“, berichtet er weiter, „als ich mich für Philosophie zu interessieren begann. Und es war einfach unglaublich! Karol Wojtyła hatte alle Zeit der Welt für mich. Wir haben uns stundenlang über philosophische Grundfragen des Lebens gestritten. Das hat mich geprägt.“ Er lacht, öffnet kurz die Aktentasche mit dem Talar und kommentiert selbstironisch: „Professor der Religionsphilosophie.“

Es ist heiß. Die Luft flimmert. Die Schlange kommt nur im Schneckentempo voran. Je nach Eintrittskarte werden die Gäste verschiedenen Sektoren zugeteilt. Im Schatten der Bibliothek haben einige Professoren bereits den Talar angelegt. Bis zur Ankunft Johannes Pauls II. sind es noch fast zwei Stunden. Über Lautsprecher wird seine Predigt im Sanktuarium der heiligen Faustyna in Krakau-Lagiewniki übertragen.

„Die Barmherzigkeit Gottes ist das Thema“, sagt Tarnowski. „Dazu hat er eine Enzyklika geschrieben. Die ist sehr gut. Ich habe sie vor seinem Besuch noch einmal gelesen. Das Problem ist nur: Hier in Polen kann man eigentlich mit fast niemandem über die Enzykliken des Papsts diskutieren. Die Bischöfe loben sie ohne Unterschied, und dann verstauben sie in irgendeiner Schublade. Kritik ist nicht erwünscht. In Polen gibt es bis heute keine Gedankenfreiheit. Jedenfalls nicht in der Kirche.“

Noch zehn Meter bis zur Sicherheitskontrolle. Tarnowski wischt sich den Schweiß von der Stirn. Jugendliche verteilen in der sengenden Hitze Mineralwasser.

„Wir schreiben uns bis heute“, erzählt Tarnowski weiter. „Ich bin auch fast jedes Jahr einmal im Vatikan. Und auf den religionsphilosophischen Seminaren in Castel Gandolfo kann man dann auch richtig diskutieren. In Polen selbst lässt die Kirche keine Kritik am Papst zu. Alle lieben wir und feiern wir den Papst. Aber im Grunde ist das eine Missachtung seiner Lehre. Für die Bischöfe zählen die Gedanken von Laien schon gar nichts.“

Endlich hat Tarnowski die Kontrolle erreicht. Er zeigt die Einladung vor. Doch der Sicherheitsbeamte schüttelt den Kopf. Tarnowski muss hinter der Absperrung bleiben. Seine Karte gilt nicht für den Rektoren- und Senatssektor. Der 65-Jährige atmet tief durch. Die Enttäuschung ist ihm anzusehen. Wieder zieht er das Taschentuch heraus, wischt sich über Stirn und Augen. Schließlich sagt er: „Auch das ist etwas, was man vom Papst lernen kann: Demut. Ich werde ihn im nächsten Jahr sehen, wieder im Vatikan.“

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