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Der Normalität widersprechen

Eine ungewöhnliche Ausstellung in der Galerie Nord „No War, no Vietnam“ wirft ein Licht aufdie Beziehungen zwischen dem Vietnamkrieg und der Politisierung der Künste in Deutschland

Militarisierung in Kinderschuhen: Von Nguyen-Manh-Hung stammt diese Arbeit Foto: Nguyen-Manh-Hung

Von Michael Freerix

Vor den Ausstellungsräumen der Galerie Nord in der Turmstraße scheint eine Fata Morgana zu stehen. Der Vietnamkrieg ist das Ausstellungsthema, und auf der Straße wird mit Plakaten, Transparenten und einem Megafon demonstriert. Von fern sieht das Ganze wie ein Reenactment der 60er Jahre aus, doch tatsächlich wird während der Eröffnungsveranstaltung gegen die kommunistische Regierung und für Bürgerrechte und Meinungsfreiheit in Vietnam demonstriert. Zwar steht die Ausstellung ganz im Zeichen der Meinungsfreiheit, doch als Bild ist diese Demonstration das bestmögliche Eröffnungsmoment für eine Ausstellung, die von Bildgewaltigkeiten und dem Nachhall von Gewalt­erfahrungen handelt.

„No War No Vietnam“ klingt als Motto für die Ausstellung zunächst recht provokativ. Aber was ist dran an der These, das es ohne Krieg kein Vietnam gäbe? Wäre Vietnam in der westlichen Welt überhaupt wahrgenommen worden?

Die Ausstellung, die von Veronika Radulovic, Do Tuong Linh und Veronika Witte kuratiert wurde, nimmt sich vor, „aktuelle, selbstbewusste vietnamesische Kunst und historische Positionen der 68er Generation“ miteinander in Bezug zu stellen. Tatsächlich öffnet sie Türen zu einem voluminösen Themenkomplex, der so hierzulande noch nie angerührt worden ist. Auffällig ist zunächst, wie sehr das Thema Gewalt bei einem Großteil der gezeigten Arbeiten im Vordergrund steht. Unter dem Eindruck der gewalttätigen Kriegsbilder, die tagtäglich im Fernsehen zu sehen wären, gab sich die westliche Kunst alle erdenkliche Mühe, gewaltvolle Bilder herzustellen.

Da werden brennende Zigaretten auf Unterarmen ausgedrückt, Napalm-verbrannte Haut wird mit Pinzetten von Körperteilen abgerissen, oder blutrote Farbe fließt aus Coca-Cola-Dosen. Subtiler wirkt dagegen die Kunst der zeitgenössischen vietnamesischen Künstler, in denen Gewalthaftigkeit eher als Nachwirkung thematisiert wird.

Tatsächlich ist aus hiesiger Perspektive kaum vorstellbar, wie das Trauma eines jahrzehntelangen, bewaffneten Konflikts, der das Land total verwüstet und ganze Generationen vernichtet hat, in eine Friedensgesellschaft integriert werden konnte. In den Arbeiten der vietnamesischen Künstler können wir erfahren, wie Gewalt nicht die Ausnahme von der Regel, sondern zum Teil des Alltäglichen geworden ist, hinter dem eine Form von Befreiung, von kathartischer Offenheit zu stehen scheint.

Dagegen schwelt in den Arbeiten der westlichen Künstler ein weiteres Thema. Viele der beteiligten Künstler wurden kurz vor oder während des Zweiten Weltkrieges geboren. Sie waren durch die Erfahrung dieses Krieges geprägt. Mit den Fernsehbildern vom Vietnamkrieg, vermischt mit der Erkenntnis, wie wenig die bundesdeutsche Gesellschaft die eigene Kriegserfahrung hat verarbeiten oder konfrontieren können, sahen sie sich vor die Aufgabe gestellt, dies nun selber in die Hand nehmen zu müssen. Eine neue Gesellschaftsform, eine neue Debattenkultur sollte eingeleitet werden. Dieser Prozess wirkt bis in die Gegenwart nach.

Kaum zu glauben, dass vorher keine Institution auf die Idee gekommen ist

Die Kunst, die in den 60er Jahren produziert wurde, wirkt zwar drastisch, doch nicht unbedingt veraltet. Nur ist ihre Wirkung heute eine andere. Dennoch, gerade das leicht Traumhafte, das den vietnamesischen Kunstwerken in dieser Ausstellung anhaftet, wirkt überraschenderweise aussagekräftiger und verstörender als die westliche Kunst. Diese unterschiedlichen Bildqualitäten verflechten sich in der Ausstellung zu neuen Erkenntnisfeldern.

Neu und umwerfend ist in der Galerie Nord, dass die Kraftlinien, die die vietnamesische mit der deutschen Gesellschaft verbinden, überhaupt einmal in einen ästhetischen Zusammenhang gebracht werden. Es ist wirklich kaum zu glauben, das vorher keine größere Kunst­institution in Deutschland auf diese Idee gekommen ist. Zumal Veronika Witte, Leiterin der Galerie, es sehr bedauert, dass es nicht gelungen ist, finanzielle Mittel dafür aufzutreiben, dass die beteiligten vietnamesischen Künstler nach Berlin hätten reisen können.

„No War No Vietnam“ benennt aber auch die Leerstelle, die sich mit dem Friedensschluss von 1976 in der Beziehung zwischen Deutschland und Vietnam einstellt. Als Nachsatz kamen Boat People und Vertragsarbeiter, die sich einen festen Platz in der Gegenwartsgesellschaft haben erobern können, doch war mit dem gewonnenen Krieg das Interesse an Vietnam in der Bundesrepublik erloschen. Aufbauhilfe wurde nie geleistet, und mittlerweile ist Vietnam ein ganz normales Reiseziel für Touristen aus Europa. Zum Glück gibt es Kunst, die dieser Normalität widerspricht, und ein kleiner Teil davon ist derzeit in der Galerie Nord zu sehen.

Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, Di.–Sa. 13–19 Uhr, bis 6. 10. 2018

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