: Der Nicht-/Mitmacher
Die Toten Hosen feiern ihren 20sten Geburtstag mit Sekt aus dem Pappbecher, ihrem 16ten Album „Auswärtsspiel“ und einem Campino, der sich endgültig zum altersweisen Punkrocker gewandelt hat
von THOMAS WINKLER
Manchmal ist Kreuzberg tatsächlich noch Kreuzberg. Es ist winterlich trüb und die Kneipe schon mittags künstlich beleuchtet. Dunkle Holzstühle drängeln sich unter dunkle Holztische, auf denen man die Ränder von kräftigen Biergläsern sehen kann. Die Frau hinter der Theke wartet und raucht. An der Wand hängt eine Kreidetafel. Auf ihr steht: „Schmalzstulle 1.-; Paar Wiener + Kartoffelsalat 5.-; Tortilla Chips 5.-“. Noch zwei Wochen bis zum Euro, denkt man, und: könnte auch ein alter Text von den Toten Hosen sein.
Auf einem der dunklen Holztische steht ein Teller mit Brötchen. Die Käsescheiben lassen labberig die Ecken hängen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches sitzt ein Mann mittleren Alters, dem die undefinierbar, aber irgendwie hell gefärbten Haare in allen verfügbaren Richtungen vom Kopf abstehen. Die Kneipe heißt „Enzian“. Der Besitzer ist ein gewisser Norbert Hähnel, der früher einmal als „Der wahre Heino“ durch die Punkclubs der Republik gereicht wurde. Der Mann gegenüber mit den Haaren, die ihren Teil Bleichmittel gesehen haben, heißt Andreas Frege. Er ist 39 Jahre alt, mehr als die Hälfte davon hat er als Sänger einer Punkrockband mit dem mittlerweile leicht pubertär wirkenden Namen Die Toten Hosen verbracht, und heute macht er Werbung für das neue Album „Auswärtsspiel“. Die bundesrepublikanische Öffentlichkeit kennt Herrn Frege unter dem Namen Campino.
Die Namen Campinos
Die Öffentlichkeit weiß, was sie von Campino zu halten hat. Sie ist sich nur nicht einig: Für den Berliner Tagesspiegel ist Campino ein „gereifter Punkrocker“, für den Rolling Stone gar eine „Kultfigur der Pop-Intelligenzija“, und die Bunte kürte ihn schon mal hinter Boris Becker zum zweiterotischsten Mann Deutschlands. Allein in dieser Zeitung wurde Campino bereits als „Punkrock-Populist“, „kulturkonservativer Neotraditionalist“, „Roberto Blanco des Bierdosen-Punk“, „Clown der deutschen Unterhaltungsmusik“, „Jugendlichendarsteller“ und „Weizsäcker des Punk“ bezeichnet.
Campino weiß, dass Deutschland sich mit ihm beschäftigt. Vielleicht genießt er es sogar. Zugeben würde er das bestimmt nicht. „Wenn ich das schon höre: lallender Juso, Sozialdemokrat der Rockmusik“, ereifert er sich, und es ist das einzige Mal während des Interviews, dass er sich überhaupt ein wenig ereifert: „Ich kann auch zynisch werden, ich bin Weltmeister im Nicht-Angriffsfläche-Bieten, wenn ich will. Aber das ist mir zu billig. Diese hippe Haltung, wir sind politisch nicht korrekt, und alles, was den Versuch macht, etwas mit Substanz zu sagen, ist Scheiße. Diese Haltung finde ich einfach nur arm. Das mag zwar trendy sein, aber diese Harald-Schmidt-Mentalität geht mir am Arsch vorbei. Ich mache da nicht mit.“
Woanders macht Campino mit. Überall anders, so scheint es. Ob im Goethe-Institut oder beim Castor-Transport, in den Bad Godesberger Kammerspielen oder beim Karneval, ob bei „III nach neun“ oder Christiansen, bei Harald Schmidt oder „7 Tage, 7 Köpfe“: Campino war schon überall, denn er „quatscht gerne über Probleme in diesem Land, weil sie mich auch selber was angehen“. So oft und so ausdauernd hat er seinen „Senf dazugegeben“, dass man sich schon wundert, dass der Hosen-Frontmann nichts Bedenkenträgerhaftes zum 11. September und seinen Folgen formuliert hat.
Eine Menge Unsinn
Aber auch er weiß – und das wird manche seiner Kritiker jetzt überraschen –, dass man „ganz schnell zum Kasper wird, wenn man losplappert, ohne überhaupt die Hintergründe zu kennen“. Vor allem aber weiß Campino, dass Campino „auch eine Menge Unsinn“ redet. Und deshalb besser manchmal den Mund hält. Es gebe genug Anfragen von den Medien, so sagt er, aber man lehne die meisten ab.
Trotzdem ist das Gesicht von Andreas Frege verbraucht. Die öffentliche Figur Campino ist festgelegt auf ihre Aufgabe: die flotte Zitatmaschine aus dem Bauch der parteilosen Linken. „Man kann links und Westkurve sein, oder nenn es Proll, ist mir egal“, sagt Campino, „da haben wir eine echte Aufgabe.“
Das wirklich Wunderliche an der Sache aber ist: Noch weigern sich die Toten Hosen und vor allem ihr omnipräsentes Gesicht Campino, sich zu anderen erledigten Fällen zu gesellen. Vor genau 20 Jahren, zwischen Weihnachten und Neujahr 1981, gründeten sich die Hosen. Das, so Campino, werde man mit „Sekt aus dem Pappbecher“ feiern und dann weitermachen wie bisher. „Unsterblich“, ihre letzte Platte, schoss 1999 von null auf eins in den Albumcharts, und die neue dürfte aller Voraussicht nach Ähnliches vollbringen. Es ist also offensichtlich so, dass nicht nur die Toten Hosen glauben, noch etwas zu sagen zu haben, sondern dass auch ein paar Menschen hierzulande das Gefühl haben, die Toten Hosen hätten ihnen noch etwas zu sagen.
Altersschwache Beatbox
Bleibt die Frage: Was haben die Toten Hosen zu sagen? „Nur die Liebe zählt“, verspricht die aktuelle Single, ein träge rockendes Monstrum, das den altbekannten Hosen-Stomp um eine schwer metallene Geschmacksnote erweitert. Das Album „Auswärtsspiel“ liefert die bekannten Durchhalteparolen („Keine weiße Fahne und kein fauler Kompromiss“), den ironischen Blick in Gerhard Schröders Seele („Seid lieber froh, nicht Kanzler zu sein“), Liebeslieder und einen Besuch am Grab von Campinos Vater. Ausgerechnet der Song über das Altern als Punkrocker („Schmerzen im Kreuz, wenn ich aufsteh“) ist der erste in der Hosen-Geschichte, der nicht mit dem üblichen Schlagzeuggekloppe unterlegt ist, sondern mit einer altersschwachen Beatbox, die schon seit Jahren im Übungsraum der Band herumstand.
„Wir haben immer wieder mal versucht, anders zu klingen“, sagt Campino, „auch wenn es bisher keiner gehört hat.“ Diesmal hört man: Metal-Versuche, Lateinamerikanisches und der Versuch, den penetranten Viervierteltakt auch mal hinter sich zu lassen. Aus „Auswärtsspiel“ spricht das Bemühen um musikalische Erweiterung, auch wenn die bekannten breiten Punkgitarrenwände weiter dominieren. Andererseits erinnert ein Song wie „Schlampe“ mit seinem hyperventilierenden Refrain gar ein wenig an „Opelgang“, das Debütalbum der Toten Hosen, aber nur musikalisch, denn der Text erzählt ganz entschieden nicht von der damals herrschenden jugendlichen Unbekümmertheit: „Mein Leben war eine Schlampe, jetzt ist es aufgequollen und fett“.
„Wenn ich mir das selbst so anhöre“, sagt Herr Frege über das Album, „dann ist das unterbewusst auch ein Blick in den Rückspiegel.“ Aber man sollte keinen Fehler machen, denn „Midlife-Crisis kann man mir unterstellen, seit ich 18 bin“. Seit damals aber ist Campino einen langen Weg gegangen, vom Altbier trinkenden Anarchisten zum altersweisen Punkrocker, der ebenso überzeugend den alltäglichen Faschismus anprangert und im nächsten Moment Staatstragendes verlauten lässt: „Wenn die richtigen Leute, die richtigen Institutionen an der Macht sind, dann ist das ein Glück für alle“, sagt Campino und nippt dazu an seinem Tee mit viel Milch und Zucker. Und weil er schon mal dabei ist, wird auch noch die Ehre von Joschka Fischer gerettet: „Der muss sich taktisch verhalten, aber im Herz hat der doch andere Sachen, als er vermitteln muss.“ Auch Campino ist mittlerweile unter die Jogger gegangen.
Tatsächlich haben Die Toten Hosen und Campino ein ähnliches Problem wie Fischer, die Grünen oder auch die taz. Man ist älter geworden, musste die eigenen Ideale revidieren, und dann ist auch noch das einende Feindbild abhanden gekommen. Vor 20 Jahren konnte man noch durch exzessives Saufen im legendären Düsseldorfer Punkclub „Ratinger Hof“ seine Abscheu gegen das Schweinesystem zum Ausdruck bringen. Heute sagt Campino, er habe seine Band immer gesehen als Beweis, dass „linke Ideen im Kopf haben nicht gleich verkopft sein muss“.
So hat er sich immer wieder auf den Bildschirm gewagt, um dort die „Leute zu provozieren“, um „Masken fallen zu lassen“. Gelungen ist ihm das nicht allzu oft, er weiß es: „Gegen einen Politiker, der im Bundestag sitzt, hast du keine Chance. Das ist ja quasi die erste Bundesliga der Quacksalber. Als Regionalligaspieler da mal einem den Ball abzunehmen, das geht wirklich nur an sehr, sehr guten Tagen. Ganz zu schweigen davon, das Spiel zu gewinnen.“ Trotzdem, vielleicht im Vertrauen darauf, dass der Pokal seine eigenen Gesetze haben möge, hat er es immer wieder versucht. Denn seit ihren Anfangstagen, als sie sich in Schlafanzügen auf die Bühne stellten, war den Hosen noch kein Fettnäpfchen zu peinlich. Unbewusst haben Campino und Konsorten sich stets geweigert, die coolen Codes zu erlernen und sich diese „gewisse Abgewichstheit“ zuzulegen, die viele medienrelevante Figuren auszeichnet und unangreifbarer macht. Stolz, sagt Campino, sei er vor allem darauf, dass man es geschafft habe, „eine Menge Freunde mitzunehmen“. Ob Grafiker oder Produzent, Roadies oder Manager, die meisten sind seit Jahren dabei. Nicht umsonst finden auch die Interviews in Hähnels Kneipe statt, der seinen Auftritt als Heino-Kopie dereinst im Vorprogramm der Hosen entwickelte.
Das Netzwerk funktioniert, und das mittelständische Unternehmen Tote Hosen ernährt nicht nur die Band, sondern hat gut ein Dutzend doch recht sicherer Arbeitsplätze geschaffen. Nicht schlecht für eine Band, die Punk spielte, „weil man dafür keine Qualifikation brauchte“. Jetzt, mit dem Euro, müsse man noch mal nachrechnen, sagt Campino, aber D-Mark-Millionär, das sei er seit einigen Jahren. Sein Geld investierte er in die Comeback-Versuche alter Punkheroen wie The Boys oder Lurkers und leistet sich ansonsten „den Luxus, die Steuern zu zahlen, die man verlangt“.
Hin und wieder schlau
Aber Die Toten Hosen sind mehr als nur eine luxuriöse ABM. Sie sind die Band, die dieses Land verdient. Genauso spießig und stur, aber halt auch nett und liebenswert. Hoch moralisch und gleichzeitig vollkommen inkonsequent. Hin und wieder ganz schlau und dann wieder dumpf und humorlos. Oberflächlich und laut, was die seltenen Momente rührender Tiefe umso überraschender werden lässt. Menschlich eben. Die öffentliche Figur Campino zu sehen ist, wie in den Spiegel zu blicken. Der Anblick ist nicht immer schön. Und die, die ihn hassen, erkennen sich doch nur selbst.
Die Toten Hosen: „Auswärtsspiel“ (JPK/EastWest). Tour: 8. 2. Düsseldorf, 16. 2. Berlin, 18. 4. Saarbrücken, 21. 4. Karlsruhe, 23. 4. Münster, 25. 4. Dortmund, 27. 4. Erfurt, 30. 4. Nürnberg, 1. 5. München, 3. 5. Stuttgart, 4. 5. Frankfurt, 8. 5. Leipzig, 10. 5. Kiel, 11. 5. Köln, 12. 5. Bielefeld, 14. 5. Hamburg, 17. 5. Bremen, 18. 5. Hannover, 19. 5. Göttingen, 28. 6. Berlin, 6. 7. Dresden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen