: Der Müll in ihrem Kopf
Ruhrtriennale In „Medea.Matrix“ bombardieren Susanne Kennedy und Markus Selg den Zuschauer mit Bildernvon weiblichen Zuschreibungen und treten auf der Stelle
VON Dorothea Marcus
In den Kopf der Kindermörderin Medea reist der Zuschauer, der in Kleingruppen durch die kathedralenartige Gebläsehalle des Landschaftspark Duisburg-Nord geführt wird. Zu dumpfen Trommeln geht es vorbei an Maschinenresten, die im grünen Licht aussehen wie moosbedeckte, schlummernde Tiere, hinter die Bühne durch einen Wald aus Leinwänden, auf denen Dschungel wuchert und Bienen wimmeln. Das Konzept für Raum und Video in dieser Inszenierung von Susanne Kennedy auf der Ruhrtriennale stammt von Markus Selg.
Neun Frauen, weiß maskiert und in lange schwarze Gewänder gekleidet, halten uns Plastikschüsseln mit Eiern entgegen. Sie lagern in einem orientalisch anmutenden Picknick beieinander auf Teppichen, neben Ähren und Feldfrüchten. Überladen, esoterisch, kitschig ist der Ort. Die maskierten Frauen haben geäderte, breite, alte Hände, auf ihren Umhängen sind junge Frauenkörper aus Renaissance-Gemälden gedruckt, wie um die Bilder- und Altersschichten zu illustrieren, die sich so ablagern in einem Frauenleben.
Endlich sitzen alle auf den richtigen Plätzen vor der Bühne, wo schon Birgit Minichmayr auf einem Podest liegt, das aussieht wie eine aztekische Kultstätte. Kirchenglocken läuten, langsam erhebt sich die sonst so rotzig ausdrucksstarke Star-Schauspielerin und steht wie eine Hohepriesterin in einem schlichten schwarzen Bikini einfach nur da, unter ihr bilden die maskierten Frauen einen Chor aus verfremdeten Computerstimmen. Dann steigert sich ein Bildersturm auf unzähligen Leinwänden, selbst in die Bogenfenster der Gebläsehalle wird hineinprojiziert: Hunde zerfleischen einen Kadaver. Schlangen winden sich im Endlos-Loop, Babybäuche wachsen und schrumpfen, perfekt am Computer geschaffene Frauenkörper tanzen im Bikini.
Dieses Videogewitter steht in krassem Gegensatz zu Minichmayr, die sich, auch als sie endlich spricht, bis zur fast völligen Ausdruckslosigkeit zurücknimmt: Sie wird zum statuenhaftes Sprachrohr für das, was eine Frau in der Literatur- und Kunstgeschichte alles so an Sätzen schon über sich ergehen lassen musste, spricht Textfetzen von Nietzsche, Euripides, aus der Bibel. Die Frau, die nur unter Schmerzen gebiert. Das klaffende Loch, das gefüllt werden will. Eine obszöne Erwartung der Erfüllung durch einen Mann, der sich dann einer Jüngeren zuwendet.
Dazu gesellt sich albernster Frauen-Trash aus Internet-Foren, von Minichmayr mit der gleichen, erhabenen Schnippigkeit in den Raum geflüstert, tussihafte Fortschreibungen der weiblichen Beschränktheit auf Körper und Biologie: Klagen über das Ziehen im Unterleib, Sorgen über die Pille, die Männer, und ach weh. Susanne Kennedy zeigt Medeas Kopf als zugemüllt, illustriert ihre Selbstzerfleischung wie ein schizophrenes Krankheitsbild aus Stimmen, penetrant auf die Netzhaut knallenden Bildern und Meinungen über Frauen.
Zum Schluss scheint tatsächlich die weibliche Total-Apokalypse als einziger aktiver Ausweg, fast verständlich wird der Mord an den eigenen Kindern als Ausbruch aus dem Gefängnis der Zuschreibungen, als krasser Bruch mit allem, was an Frauenbildern vorgefertigt scheint. Ein selbstzerstörerischer, terroristischer Kriegsakt gegen sich selbst, der auf den Bildschirmen grundiert wird mit fliegenden Kampfbombern und Feuersbrünsten.
Doch bei aller in sich stimmiger Bildergewaltigkeit dieser 90 Minuten: Der installative Abend hinterlässt ein ärgerliches Gefühl. Er tritt quasi auf der Stelle, erschöpft sich in einer Anhäufung schwülstiger Klischees, die schon lange nicht mehr aufgedeckt werden müssen. Ärgerlich ist vor allem, dass hier an keiner Stelle gewagt wird, Gefühle oder Selbsterfahrenes ins Spiel zu bringen, dass er geradezu zwanghaft zitiert, aber niemals etwas an sich heranlässt.
Der Abend tut so, als sei er ein Einblick in Medeas Kopf und Wahn – bewegt sich aber quasi selbst in männlicher Außenperspektive. Susanne Kennedy und der Videokünstler Markus Selg, die sich deutlich sichtbar in der Tradition der Bildenden Kunst bewegen und alle Theaterkonventionen geradezu torpedieren, vermeiden in ihrer manischen Bildbombardierung jedes Eigenrisiko, mit dem Konzeptkünstlerinnen wie Sophie Calle, Tracy Emin und natürlich Marina Abramovic ihre künstlerische Existenz stets listig selbst aufs Spiel gesetzt haben.
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