Der Mensch und seine Mikroben: Individuelle Bakterienflora

Der Mensch drückt seiner Umgebung einen mikrobiellen Stempel auf. Er verteilt weit über 30 Millionen Bakterien pro Minute.

In Petrischalen kultivierte Bakterien. Bild: imago/blickwinkel

MÜNCHEN taz | Der US-Ökologe Noah Fierer hat sich eine ziemlich unspektakuläre, aber bereits 100.000 Jahre existierende Nische ausgesucht, die er auf potenzielle Mikrobenbesiedlung erforscht: Wohnungen und Häuser. Dabei interessieren den Wissenschaftler der University of Colorado Boulder nicht in erster Linie die pathogenen Keime, die sich womöglich im Putzschwamm oder auf dem Klodeckel tummeln, sondern vielmehr die sogenannten Kommensalen, die harmlos oder auch gut für die Gesundheit sind.

Denn immer klarer wird, dass wir im Darm solche Mikroben mit uns tragen, aber auch auf der Haut oder in der Plazenta siedeln Millionen von Mikroben, die vermutlich beeinflussen, ob wir gesund sind oder krank werden. Und dabei prägen sich das humane Mikrobiom und das häusliche gegenseitig, hat Fierer belegt.

Bei Untersuchungen in Boulder und Raleigh-Durham fand Fierer 7.700 unterschiedliche Bakterienstämme auf Küchenbrettern, Arbeitsplatten, Kühlschränken, Klobrillen, Kissenbezügen, Türklinken, Fernsehern, Fußabstreifern vor und hinter der Haustüre. Darunter waren viele alte Bekannte aus dem menschlichen Mikrobiom: Aktinobakterien, Bakteroide, Firmicutes oder Corynebakterien. Die meisten unterschiedlichen Bakterien, auch krankmachende, tummelten sich an Stellen, die nur unregelmäßig geputzt werden – wie Dunstabzugshauben oder Kühlschrankinnenseiten.

„Lebensmittel in Kühlschränken sollten darum immer gut verpackt oder abgedeckt sein“, rät Yoon-Seong Jeon, Mikrobiologe von der Seoul National University. Dafür fand Fierer in und am Spülbecken wenig Diversität. Die bakteriellen Muster an den betreffenden Stellen in unterschiedlichen Häusern waren sehr ähnlich. Ähnlicher sogar als die Verteilungen innerhalb eines Haushalts.

Dabei wurde die Besiedlung vor allem von der Hautflora geprägt, aber auch von den in der Küche gelagerten und verarbeiteten Lebensmitteln und den Bakterien aus dem Wasserhahn. Die Studie zeigte auch, wie leicht Bakterien von Händen oder Lebensmitteln übertragen werden. Ein gesunder Mensch verteilt rund 37 Millionen Bakterien pro Minute auf seine Umgebung. Auf Kissenbezug und Klobrillen fand man vor allem Hautflora. Auf den Kissen tummelten sich auch Bakterien aus dem Mund, auf der Klobrille Fäkalkeime.

Natürlich fanden die Wissenschaftler auch viele Pathogene wie Campylobacter. „Wir sind wahrscheinlich häufig bedenklichen Bakterienarten ausgesetzt“, sagt Jack Gilbert von der University of Chicago, der kürzlich öffentliche Toiletten untersucht hat. „Aber meist können sie nur dann Krankheiten auslösen, wenn unser Immunsystem geschwächt ist.“

Zungenkuss mit Zugabe

Die Fierer-Studien bestätigten zudem, dass sich Menschen, die zusammenwohnen, mit der Zeit auch die Bakteriengemeinschaften teilen. Eine niederländische Studie zeigte beispielweise, dass bei einem Zungenkuss 80 Millionen Bakterien in 10 Sekunden ausgetauscht werden. Die Besiedlung der Mundflora ähnelt sich daher bei Paaren erheblich.

Die Keime, die das 1,5 Kilo schwere Mikrobiom ausmachen, stammen aus dem Mutterleib, werden vom Kind beim Durchgang durch den Geburtskanal und später beim Stillen aufgenommen. Doch was genau dann noch Einfluss hat, etwa häufige Antibiotikagaben oder bestimmte Ernährungsweisen, und mit welchen Folgen, ist bislang nicht klar.

Das liegt auch daran, dass es hier um 100 Billionen Zellen geht, die nicht so einfach einzelnen Effekten zuzuordnen sind. Zwar gibt es täglich neue Studien, die Verschiebungen in der bakteriellen Wohngemeinschaft für bestimmte Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Krebs oder Autismus verantwortlich machen.

Bakterien im Rotwein

Andere suchen schon nach Lebensmitteln, die in den Bakterienzoo eingreifen. So hat kürzlich eine spanische Studie aufgedeckt, dass in Rotwein elf verschiedene Bakterienstämme leben, darunter Laktobazillen und Pediokokken. Wein soll demnach eine Art Probiotikum sein, aber nur dann, wenn er nicht geschwefelt wurde.

Allerdings warnen einige Forscher bereits vor einem Hype. So hat William Hanage, Epidemiologe an der Harvard-Universität, kürzlich im Fachmagazin Nature einen Kommentar geschrieben und meint etwa: „Die Forscher müssen sich immer wieder Fragen stellen. Etwa: Zeigt die Studie nur eine zufällige Korrelation oder auch eine echte Ursache-Wirkungs-Beziehung?“

Eine andere aktuelle US-Studie hat darauf hingewiesen, dass ein Teil der Studien möglicherweise durch Kontamination im Labormaterial verfälscht worden sein könnte.

Doch die Bakterien in, um und auf dem Menschen sind nicht nur von gesundheitlicher Bedeutung, Forensiker könnten sich den daraus entstehenden individuellen Fingerabdruck in Zukunft zu Hilfe nehmen. So haben Wissenschaftler um Jack Gilbert im Home Microbiome Project sechs Wochen lang sieben Wohnungen und die darin lebenden Familien unter die Lupe genommen. Anhand einer einzigen Probe konnten die Forscher Wohnung und Bewohner zuordnen. Je länger ein Mensch von zu Hause weg war, etwa im Urlaub, desto unschärfer wurden diese Fingerabdrücke. Dafür fand man die spezifischen Mikrobenmuster dann im Hotelzimmer. Eine andere Studie fand auch auf Smartphones und Computertastaturen entsprechende besitzerspezifische Mikroben.

Verringertes Allergierisiko

Doch nicht nur der Mensch prägt seine Umgebung. Auf auf den Fußabstreifern und den Türklinken fand Fierer etwa Pflanzen- und Bodenbakterien. Auch der Ort, wo sich das Haus befindet, ob in Stadt oder Land, prägt das häusliche Mikrobiom. Eine frühere finnische Studie hat gezeigt, dass eine große Pflanzendiversität eine größere Vielfalt auf der Hautflora der Menschen zur Folge hatte. Dort lebende Teenager hatten gleichzeitig ein verringertes Allergierisiko.

Letztlich war die individuelle Hausflora auch durch die An- oder Abwesenheit eines Hundes beeinflusst. Aus dem Fell stammende Bakterien fanden sich auf Fernsehern und Kissen. Rob Dunn, mit dem Fierer einige der Forschungsarbeiten gemeinsam durchgeführt hat, sagte der New York Times: „Ich glaube, dass Hunde eine ähnliche Wirkung auf Kinder haben, wie wenn sie mit Schmutz spielen.“ Kinder, die mit Hunden aufwachsen, leiden nämlich seltener unter Allergien.

Die Ökologie des Innenraums steckt noch in den Kinderschuhen. In Zukunft könnte man aber das Wissen darüber für eine gesündere Architektur und Wohnraumgestaltung verwenden. Schließlich verbringen wir rund 90 Prozent unserer Zeit in vier Wänden.

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