: Der Mensch und die Exotik
■ Einmal in die Dritte Welt und zurück: Die Künstlerin Judith Siegmund hat den kolonialistischen Blick entdeckt
Eigentlich klang alles ganz vielversprechend und interessant. Irgendwann hatte die Künstlerin Judith Siegmund mehr oder weniger zufällig die Dia-Sammlung eines unbekanntes Mannes gefunden, der in den fünfziger und sechziger Jahren viel durch die Welt gereist war. In seinen Urlaubsdias meinte sie die Sehnsucht des Kolonialisten zu entdecken, der sich in die Ferne gezogen fühlt, „um exotische Bilder, Klänge und Gerüche“, „unberührte Landschaften“, ursprungsnahe Menschen, viel Exotik usw. usf. zu suchen, und dabei seinen Reichenstatus verdrängt, der ihm derlei Reisen erst ermöglicht.
Ein Pionier des Tourismus also, der sich auf die Suche nach fremden Kulturen begibt, weil – so zitiert Judith Siegmund Hakim Bey – „in unserer Welt die Kultur im Schlund des Spektakels verschwunden und durch das Einkaufszentrum und die Talkshows ersetzt worden ist“. „Den Fotos“, schreibt die Künstlerin, „entnehmen wir die Selbstzufriedenheit des reisenden Bildungsbürgers“, der sich – nebenbei gesagt – und wenn er's denn wäre, auch gern über die „Zerstörung der Kultur“ durch haltlosen Konsumismus beschwert.
Im Künstlerhaus am Acker zeigt Judith Siegmund mit zwei Diaprojektoren die Urlaubsbilder des mittlerweile verstorbenen Reisenden. Hundertsechzig Dias klicken hastig vorbei. Und man ist ein wenig irritiert: Nicht so sehr über den angeblich kolonialistischen Blick des Reisenden, sondern eher über die beliebig wirkende Anordnung der Bilder aus Thailand, Birma, Kambodscha, Tansania, Hawaii.
Es gibt Hulahula-Mädchen zu sehen, nackte schwarze Jungs, indische (?) Männergruppen, die Geo- mäßig authentisch und ein bißchen böse gucken, Leute, die arbeiten, diverse touristische Prominenzen, rötliche Abendstimmungen; aber es gibt auch ärmliche Hinterhöfe, in die sich der Reisende dann wohl doch nicht traute. Zwei Touristinnen posieren stolz auf einem Elefanten. Irgendwann sieht man ihn selbst mit Bäuchlein und weißem Hütchen in fernen Ländern natürlich viel unschöner posieren als die, die er sonst fotografierte. Das war's dann auch mit dem europäischen Blick.
Am Ende von jedem Diamagazin habe es auch immer ein paar nackte Frauen in exotisch-durchsichtigen Schleiern gegeben, erzählt die Künstlerin. Vor den verfänglichen Fotos habe er Raum gelassen, wohl um sie in der Herrenrunde zu zeigen. Sie wolle zum Nachdenken anregen, sagt Judith Siegmund, und irgendwann sagt sie auch, daß man damals noch nichts von political correctness gewußt habe.
Wenn jedes Foto, daß der Reisende aus der Ersten Welt in der Dritten Welt macht, ein kolonialistisches Bild ist, dann dokumentieren sicher auch diese Dias jenen Blick. Doch daß es sich so verhält, kann man auch bezweifeln. Zum einen, weil die Aufnahmen nicht so aussehen, als hätte der „Pionier des Tourismus“ in seiner Heimat ganz anders fotografiert. Zum anderen, weil Bilderkritik und Bilderverbot gerade in der kolonisierenden, also der jüdisch-christlichen Tradition sehr gepflegt wurden gegen die bunte, alles assimilierende Götzendienerei der Kulte, gegen die man sich absetzen wollte. Detlef Kuhlbrodt
Bis zum 22.12., Mi.–Fr. 16–20 Uhr im „Künstlerhaus am Acker“, Ackerstraße 18
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen