: Der Konflikt bleibt brüllend ungelöst
klassiker Dominique Schnizers gelungene Inszenierung von „Nathan der Weise“ spielt in einem Flüchtlingslager und kürzt allen Optimismus intelligent weg
Bei der Premiere von Lessings Klassiker „Nathan der Weise“ im Theater Osnabrück verlassen nach knapp zehn Minuten mehrere Zuschauer empört den Saal. Was sie stört, bleibt unklar – und wären sie mal geblieben. Denn Dominique Schnizers Inszenierung des Dramas von 1783 nimmt rasant Fahrt auf.
Auf der Bühne herrscht Unruhe, die Bewohner eines Flüchtlingslagers wollen ihre Gebete verrichten. Zelte aus Holzlatten und durchsichtigen Planen erinnern an das Camp Zaatari in Jordanien, eines der weltweit größten Flüchtlingscamps. Der Umgang ist rüde, es wird gerempelt, gespuckt. „Halt die Fresse“, zischt einer den anderen an. Streng voneinander getrennt beten dann Juden und Christen in zwei verschiedenen Zelten, die Muslime auf Teppichen unter freiem Himmel. Alle schreien durcheinander. Auf „Amen“ folgt „Allahu akbar“.
Wenig später betritt Nathan (Ronald Funke) die Bühne. Leicht verkrampfte Hände und eine sorgenvolle Mine kennzeichnen seine Darstellung des Vermittlers im Religionskonflikt. Das ist überragend. Nathan atmet häufig tief durch, bevor er seine Sätze mit Bedacht spricht.
Diese Ruhe braucht der Nathan am Osnabrücker Theater auch, da der Text des Dramas radikal zusammengekürzt wurde. In gerade einmal einer Stunde und 45 Minuten schafft Schnizer es, den unversöhnlichen Konflikt der Religionen darzustellen.
Es erscheint zunächst paradox, dass der reiche Nathan und der Herrscher Saladin in einfachen Zelten aus Planen und Holzlatten leben. Das Konzept, das Bühnenbild angelehnt an ein Flüchtlingscamp zu gestalten, geht aber auf: Lessings Original spielt um 1192 zur Zeit des dritten Kreuzzuges in Jerusalem. Juden, Christen und Muslime leben auf engstem Raum in der heiligen Stadt. Enge, ein Mangel an Privatsphäre und unterschiedliche Religionen sorgen auch heute in Flüchtlingslagern für Auseinandersetzungen.
Ein weiteres Problem der heutigen Lager, in denen die Bewohner unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen, ist die Kälte, vor der die spartanischen Behausungen nicht schützen können. Passend dazu gestaltet Christin Treunert die Kostüme: Viele Bewohner tragen Mützen und Schals oder dicke Westen.
Einzig Sultan Saladin, gespielt von Andreas Möckel, scheint nicht zu frieren. In einem dünnen Hemd und barfüßig herrscht der Muslim über Jerusalem. Überzeugend mimt er einen Herrscher, der zwei Seiten hat. Erbarmungslos lässt er Tempelritter hinrichten, ist aber auch menschlich: So begnadigt er einen Gefangenen, weil dieser ihn an seinen verstorbenen Bruder erinnert.
Die Rolle des strengen Mächtigen ist für Möckel nicht neu. Bereits 2014 spielte er ebenfalls unter Regisseur Schnizer den Saladin am Stadttheater Bremerhaven. Seit der Spielzeit 2016/17 gehören nun beide zum Theater Osnabrück.
Nicht nur bei Saladin, auch am Ende des Stückes bleibt sich Schnizer treu: Lessings Drama, das für den Wunsch nach Toleranz steht, endet in der Osnabrücker Version mit einem pessimistischen Ausblick. Es zeigt sich zwar, dass die Religionen durch irgendwie zusammengehören, akzeptieren will das aber keiner.
Statt „stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen“ wie es in Ephraim Lessings Regieanweisungen steht, brüllt das Osnabrücker Ensemble die jeweilige Versionen von „Gott ist groß“. Der Konflikt bleibt ungelöst. Vanessa Reiber
„Nathan der Weise“: nächste Termine 18., 22. und 24. Februar, jeweils 19.30 Uhr, Theater Osnabrück, Platz der Deutschen Einheit 10/11, Osnabrück
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen