vorlauf: Der König und die Ewiggestrigen
„Mohammed: Die Spirale der Modernität“ (Arte, 20.45 Uhr)
„Früher hatten wir Angst vor dem König, mittlerweile haben wir Angst um den König“, so zitieren Severine Labat und Jean Michel Vennemani die Volksmeinung über Mohammed VI. in ihrem Dokumentarfilm „Mohammed: Die Spirale der Modernität“. Zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Hassan II., der Regimegegner ins Exil zwang, in Gefängnissen foltern oder ermorden ließ, leite der Sohn einen neuen Regierungsstil ein, kommentieren die Autoren optimistisch. Der neue König, der ein Praktikum bei der Europäischen Kommission im Kabinett von Jacques Delors und ein Studium der Rechts- und Politikwissenschaften absolvierte, habe indes politische Gefangene freigelassen, Exilanten überredet, wiederzukommen.
Die Filmemacher sind allerdings an den jungen „coolen König“, wie das Time Magazine ihn bezeichnete, nicht herangekommen. Die Kamera bestaunt aus angemessener Distanz, wenn er sich volksnah gibt oder Reden hält. Stimmen von liberalen marokkanischen Politikwissenschaftlern sind zu hören, die Chefredakteure der Zeitungen Journal und Libération nehmen Stellung, und im Gegensatz zu den Autoren drücken sie Skepsis aus: Folgt jetzt nach der Diktatur eine Demokratur? Wird der neue König sich gegen einen ewiggestrigen Beraterstab durchsetzen, der unter Hassan II. monarchistischen Autoritarismus predigte und personell nicht ausgewechselt wurde? Werden fortschrittliche Appelle in einem Verwaltungsbereich, der mit bekannt starren Verhaltensreflexen weiterhin Willkür gegenüber Bürgern ausübt, überhaupt gehört? Stockt die geplante Reform des Familienrechts, das den Frauen bis heute eine untergeordnete Rolle zuschreibt? Spannende Fragen. Doch viele Antworten fallen kläglich unbestimmt aus. Oberflächlicher Fernsehjournalismus: Der sagt dies, jener sagt das, Hauptsache im Bild.
Der Film zeigt vor allem: Seit dem Terroranschlag in New York am 11. September wird zwar viel über islamische Länder und Traditionen geredet, aber wenig ist bekannt. Vorsichtige Annäherung scheint allemal schwieriger, als ein grobschlächtiges Feindbild zu entwerfen.
GITTA DÜPERTHAL
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