: Der Kehrwert ist noch unbestimmt
Alte Straßenreinigungskräfte verdienen gut in Bremen, neue arbeiten seit zwei Jahren komplett tariflos. Grund: Die Gewerkschaft Ver.di hält das aktuelle Angebot für zu lasch
Von Teresa Wolny
Lohnungleichheit herrscht bei der Bremer Stadtreinigung. Entwickelt hat die sich, nachdem das Unternehmen 2018 von der Stadt anteilig zurückgekauft worden war. Schon damals hatten Befürworter*innen einer vollständigen Rekommunalisierung vor den problematischen Effekten einer Teil-Übernahme auf die Gehaltsstrukturen gewarnt.
Wie befürchtet, haben diese sich seither zu einer komplexen Angelegenheit ausgewachsen. So kann es bei der Bremer Straßenreinigung vorkommen, dass auf einem Wagen zwei Menschen sitzen, von denen einer nach einem sehr guten und der andere nach gar keinem Tarif bezahlt wird.
Grund dafür ist zum einen das Fortbestehen alter Tarifverträge aus den 1990er-Jahren, die geschlossen wurden, noch bevor unter der damaligen Großen Koalition die Stadtreinigung privatisiert wurde. Die aktuelle Tariflosigkeit einiger Beschäftigte wiederum liegt an den auch nach der fünften Runde immer noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Ver.di und der Arbeitgeberseite. Verhandelt wird seit Anfang des Jahres. „Wir können nicht hinnehmen, dass für die gleiche Arbeit unterschiedliche Entgelte gezahlt werden“, sagt Pit Eckert, Gewerkschaftssekretär bei Ver.di in Bremen.
In der Belegschaft werde es laut Eckert als extrem ungerecht empfunden, dass die ungefähr 140 länger Beschäftigten nach dem alten Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt werden, die wachsende Gruppe der aktuell etwa 20 in den letzten zwei Jahren neu Eingestellten bisher allerdings tariflos sind. Denn Ver.di lehnt das aktuelle Angebot der Arbeitgeberseite ab und fordert einen Tarif gemäß den Bedingungen im TVöD. Auf dem Tisch liegt ein „Haustarifvertrag, der sich an den BDE [Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V., Anm.] und den TVöD anlehnt“, heißt es aus der Pressestelle der Bremer Stadtreinigung (DBS).
„Von der Gesellschafterstruktur wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, den alten Tarif nicht mehr bezahlen zu müssen“, so Eckert. Dieser Struktur zugrunde liegt die Reform der Bremer Abfallwirtschaft 2018. Nach der Privatisierung der DBS Ende der 90er-Jahre, gilt seit 2018 wieder eine Teilrekommunalisierung. Die DBS ist als kommunales Unternehmen zu 49,5 Prozent an der Straßenreinigung Bremen GmbH (SRB) beteiligt. Den Rest, also etwas mehr als die Hälfte, hält jedoch der private Gesellschafter.
Das ist in diesem Fall die Firma Nehlsen. Die hatte die Ausschreibung der Stadt für 2018 gewonnen. Das Unternehmen hat schon vorher in Bremen geputzt: Die Entsorgung Nord GmbH, kurz ENO, bei der die Beschäftigten von 1998 bis 2018 angestellt waren, ist eine Nehlsen-Tochter. Seinerzeit war den Beschäftigten zugesichert worden, trotz Privatisierung weiter nach TVöD entlohnt zu werden.
Fehlende Sonderzahlungen
Auch Ingo Tebje von der Linksfraktion in Bremen fürchtet eine Lohn- und Kostensenkung, wenn neu eingestellte Straßenreinigungskräfte künftig nicht mehr nach dem TVöD bezahlt werden. Tebje verweist dabei auf das Landesvergabegesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträge regelt: „Wenn Bremen Aufträge vergibt, müssen Bremer Firmen sich auch an die Tariftreue halten.“
Pit Eckert, Ver.di-Sekretär
Bei der DBS wundert man sich über das Beharren der Gewerkschaft auf der „Maximalforderung“, also auf den Bedingungen des TVöD. Sie verweist auf die ähnlich wie die Straßenreinigung organisierte Abfalllogistik Bremen GmbH (ALB). „Bei der ALB wurde Ende 2018 ein Haustarifvertrag abgeschlossen, der deutlich über den in der Ausschreibung vorgesehenen Löhnen liegt“, heißt es. „Ver.di hat diesen Tarifvertrag in 2018 als einen sehr erfolgreichen Abschluss erklärt.“ Die Gewerkschaft aber sieht bei Müllwerkern und Straßenreinigung keine tarifliche Verknüpfung.
Laut Eckert fehlen im aktuellen Tarifangebot für die Straßenreinigung verglichen mit dem TVöD unter anderem Sonderzahlungen, die sich insgesamt zwischen 100 und 200 Euro monatlich bewegten. Außerdem gebe es erhebliche Unterschiede in der Altersvorsorge. Das Modell der Arbeitgeberseite führe dem Gewerkschafter zufolge dazu, dass die Beiträge in die gesetzlichen Kassen vermindert würden.
Vor zwei Wochen rief die Gewerkschaft deshalb zu einer Protestkundgebung auf. Sowohl bei Ver.di als auch bei den Arbeitgeber:innen spricht man jetzt von einer festgefahrenen Situation. Eckert sieht nun die Stadt in einer Vermittlerrolle. „Wir brauchen nun offensichtlich Unterstützung der beteiligten Gesellschafter, das ist in diesem Fall auch die Stadt Bremen“, so Eckert.
Eine Vermittlung wird von kommunaler Seite jedoch abgelehnt. Die Verhandlungen seien Aufgabe der Tarifparteien. Das sei in diesem Fall auf Arbeitgeberseite die Geschäftsführung der SRB, sagt Jens Tittmann, Pressesprecher des zuständigen Umweltressorts. „Wir mischen uns in diese Tarifverhandlungen nicht ein, das unterliegt der Tarifautonomie.“
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