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Der HausbesuchEin buntes Bullerbü

Marlo Grosshardt hatte Glück: Im Elternhaus und in der Schule konnte er seine Talente entwickeln. Heute ist das Liedermachen sein Beruf.

Mit der Akustikgitarre gegen rechts: Der Musiker Marlo Grosshardt Foto: Daniel Chatard

Eine Haltung haben. Der Welt zugewandt sein. Die Freiheit besingen. Den Alten zuhören, um deren Fehler nicht zu wiederholen. Marlo Grosshardt hat einen inneren Kompass, dem er folgt.

Draußen: Wenige Kilometer vom Hamburger Hafen entfernt erinnert nichts mehr an die Großstadt. Hier gibt es Höfe und Wiesen. Das alte Bauernhaus mit den roten Backsteinziegeln, in dem Marlo Grosshardt wohnt, steht oben auf dem Deich. In der Ferne kann man eine AfD-Fahne wehen sehen. Bei Grosshardt dagegen hängt ein weißes Banner, darauf hellblaue Wellen, Rettungsring und Fernglas. Das Zeichen der Initiative Sea-Watch, die sich auf dem Mittelmeer für Geflüchtete einsetzt. Auf der grünen Haustür klebt ein kleines Schild: „All Refugees are Welcome“.

Drinnen: Regenjacken und Gummistiefel stehen im Flur. Die Möbel wirken antik und besonders. In der Küche hängen selbstgemalte Bilder. Auf dem Herd eine köchelnde Espressokanne. Die Mutter schneidet Blumen für einen Strauß. Marlo Grosshardt trägt Wollsocken und den schwarzen Band-Pullover. „Ein letztes Liebeslied“ steht darauf. Durch das Küchenfenster fällt der Blick in den Garten. Ein blauer Bauwagen steht im Schatten einer Tanne auf der Wiese.

Daheim: „Ich habe immer in Hamburg gewohnt, war auch nach dem Abi nicht weg“, sagt der 23-Jährige. Warum nicht? „Hier hat einfach immer alles gepasst.“ Mit der Familie verstehe er sich gut. Lange haben sie noch zusammen gewohnt, die Mutter, der Stiefvater und seine zwei jüngeren Geschwister. Doch nun ist Grosshardt dabei, ein Hausprojekt zu gründen. Ein anderer Musiker zieht zu ihm in das alte Bauernhaus, die dritte Person suchen sie noch. „Wir wollen hier zusammen Musik machen.“

Musik machen: Grosshardt spielt akustische Gitarre und singt. Manchmal sind seine Lieder ruhig und melancholisch. Dann wieder so schnell, dass man dazu tanzen kann. Nach dem Abitur besuchte Grosshardt in Hamburg einige Wochen einen Popmusikkurs. Viel musikalische Erfahrungen hatte er vorher nicht: „Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass Menschen überhaupt Lust haben, mit mir zusammenzuarbeiten. Das waren bei dem Kurs doch alles krass begabte Musiker“, sagt er. „Ich dagegen konnte nicht mal richtig Noten lesen.“ Trotzdem hat es klappt.

„Mein Kopf dreht sich eigentlich immer nur um die Musik“, sagt Marlo Grosshardt Foto: Daniel Chatard

Die Band: Er fand schnell Leute, die mit ihm zusammen spielen wollten. Heute sind sie zu fünft. Eine Freundin, die er noch aus der Schule kennt, begleitet ihn am Cello. Aber er ist es, der im Zentrum steht, die meisten Songs stammen von ihm. Wobei er mehr das Teamwork sieht. „Ich brauche Menschen, die mir dabei helfen, meine musikalischen Ideen umzusetzen, da bin ich nicht der Fitteste.“ Auf ­Spotify hören ihn monatlich 312.156 Menschen.

Eines seiner Lieder: „Hallo, Oma, ich wollte dich nicht stör’n / Doch ich habe gerade so große Angst wie nie / Du hast dich ja immer zu uns an den Küchentisch gesetzt / Und mir gesagt: „Nie wieder, das war jetzt“, singt er. Dazu Gitarrenzupfen. Vor der Bundestagswahl ging sein Song „Oma“, den er auf einigen Demos gegen rechts spielte, in den sozialen Medien viral. „Beim Schreiben habe ich an meine Uroma gedacht, die im Zweiten Krieg aus dem Osten nach Hamburg auf einen Bauernhof geflohen ist“, sagt er. „Ich war damals zu klein, um alles zu verstehen, aber es war eine Perspektive, die ich als Kind mitbekommen habe.“

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Familie: Auch die Mutter, die Sozialarbeiterin ist, prägte ihn politisch. Durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit mit Geflüchteten habe er besser verstanden, was 2015, als die vielen Kriegsflüchtenden aus Syrien kamen, eigentlich los war. Zusammen sei die Familie später auf die Gegendemos von den rechten Montagsdemonstrationen gegangen. „Generell habe ich ein Umfeld, das stark Haltung bezieht, sich gegen Klimakrise und Rechtsextremismus positioniert.“

Werte: Sich für Gerechtigkeit einzusetzen und Ungleichheit aufzuzeigen, ist ihm wichtig. In einem Lied singt er über die weltweit tödlichste Fluchtroute: das Mittelmeer. „Bei dem Song habe ich mich gefragt, wie wir das Lied am besten bewerben können und ob das überhaupt geht“, sagt er. Er habe dann aber eine E-Mail an die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Watch geschrieben, die habe ihm Videomaterial geschickt. Der fertige Film und sein Song wurden auf dem Kanal der NGO geteilt. Immer wieder gebe es gemeinsame Spendenaktionen. Vor der Bundestagswahl ging es für ihn auf die Bühne von verschiedenen Demos gegen rechts. „Ich frage mich manchmal, wie groß der politische Effekt dieser Demos ist“, sagt er. „Ich will mir aber auch nicht ausmalen, wie es wäre, wenn es die nicht gäbe“.

Ängste: „Ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt Grosshardt, wenn man ihn danach fragt. Vor allem im Januar, kurz vor der Bundestagswahl, habe es bei ihm immer wieder Momente gegeben, in denen es „gekickt hat“, sagt er. „Ich glaube, ich hatte nie einen Moment, wo ich persönlich wirklich Schiss hatte, aber plötzlich konnte ich sehen, was passiert, wenn Faschisten an die Macht kommen.“ Und Angst vor Krankheiten, die habe er auch.

Die Krankheit: Wartezimmer und Arztbesuche gehörten für Grosshardt und seine Eltern früher zum Alltag. Bei ihm hatte sich eine Mutation der Lunge gebildet, weshalb er zu wenig Sauerstoff bekam. Bis die Ärzte die Ursache herausfanden, vergingen sechs Jahre, dann wurde er operiert. In „Astronaut“ singt er darüber, wie es für das Kind und die Eltern ist, wenn ein Kind schwer krank ist.„Astronaut ist sein meistgehörter Song.

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Die Schulzeit: Er war auf einer Waldorfschule in Hamburg. „Ich glaube, ich wäre auf einer staatlichen Schule untergegangen, weil ich echt nicht gut aufgepasst habe und nur Scheiße gebaut habe.“ Die vielen Kunst- und Handwerkkurse seien aber gut gewesen. „Und ich hatte nicht den Druck, gute Noten zu schreiben.“ Nebenbei konnte er im Musical „Das Wunder von Bern“ mitspielen. In der zwölften Klasse stehen in allen Waldorfschulen die Jahresarbeiten an. Alle Schü­le­r:in­nen suchen sich ein Thema, mit dem sie sich zwölf Monate praktisch und theo­retisch beschäftigen. „Ich habe mich damals entschieden, Musik zu machen“, sagt Grosshardt. Zu einem besonders guten Musiker habe die Schule ihn aber nicht ausgebildet. „Gesangs- oder Musikunterricht war mir wegen der Theo­rie zu trocken“

Alltag: Immerhin, er lernte selbstständig zu arbeiten an der Schule. Das komme ihm jetzt zugute im Studio, bei Auftritten, Medienterminen und bei der Social-Media-Arbeit. Dazu Klimastreiks und Demos gegen Rechts. „Jeder Tag ist anders; aber mein Kopf dreht sich eigentlich immer nur um die Musik“, sagt er. Na ja, nicht immer. Fußballspielen und ins Stadion gehen, das mache er, wenn er mal keine Musik mache. „Pauli-Fan bin ich schon immer“, sagt Grosshardt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Utopie: Er ist einer; der nicht viel redet; sondern macht; wenn er kann. „Ich bau’ mein eigenes Paradies“, singt Grosshardt in einem Lied. In einem anderen: „Komm, wir bauen uns ein buntes Bullerbü.“ An dieses erinnert der wilde Garten hinterm Haus. Dort stehen zwar keine drei Schwedenhöfe, aber immerhin der blaue Wohnwagen, eine Badewanne und ein Baumhaus. Auf der Wiese sind Fußballtore und zwischen den alten Apfelbäumen hängt eine Slackline. Am Rand ein selbstgebauter Pizzaofen. „Den habe ich mit zwei Kumpels gebaut.“ Hier kann man die Möwen kreischen hören. Das ganze Gelände gleicht einem Abenteuerspielplatz. Sieht so das gute Leben aus?

Zukunft: Er träumt davon, auf dem Dockville in Hamburg zu spielen, „weil ich Hamburger bin“. Mehr Träume? „Weiterhin politische Musik machen.“ Gerade könne er und sein Team von der Musik leben. Manchmal nagen Zweifel an ihm, ob er auch zukünftig noch davon leben kann. „Was, wenn die Rechtsextremen an die Macht kommen? Aber wenn das mit der Mucke nicht klappt, gehe ich in die Musikindustrie.“ Grosshardt will sich nicht entmutigen lassen.

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