Der Hausbesuch: Burn-out in Brandenburg
Als linker Pfarrer in Brandenburg wird es für Lukas Pellio manchmal ungemütlich. Wie er mit Anfeindungen umgeht, musste er erst lernen.
Den brennenden Dornbusch hat er sich tätowieren lassen, als er Pfarrer wurde. Da konnte Lukas Pellio noch nicht wissen, dass er einmal mit einem Brandanschlag wird umgehen müssen. Und mit einem Burn-out.
Draußen: Der Schillerplatz in der Altstadt von Cottbus, englischer Rasen vor dem prächtigen Jugendstiltheater. Lukas Pellio wartet am Zaun eines Gründerzeithauses. Bei der brandenburgischen Landtagswahl im September gewann die AfD in einem der beiden Cottbuser Wahlkreise ein Direktmandat; im Straßenwahlkampf wurde die CDU-Kandidatin Adeline Abimnwi Awemo rassistisch angegriffen. Aus Sorge um seine eigene Sicherheit und die seiner zwei Kinder möchte Pellio nicht, dass seine Privatadresse öffentlich wird. Die taz besucht den 38-Jährigen deshalb im Gemeindehaus. Seit 2023 betreut er hier die evangelische Studierendengemeinde, nach zweieinhalb Jahren als Pfarrer im nahegelegenen Spremberg.
Drinnen: Neben der Tür hängt die Ikone eines Schwarzen Heilands. Im Büroraum neben der kleinen Teeküche sitzt eine junge Frau am Computer, die Initiative „Unteilbar Südbrandenburg“ hält hier ihr Plenum, auch andere soziale Bewegungen können das Büro nutzen. Christ:innen sind eine Minderheit in Cottbus, die Studierendenseelsorge ist nicht üppig ausgestattet. „Bis jetzt putzen wir auch selber. Aber da kommt vielleicht bald jemand einmal die Woche“, sagt Lukas Pellio.
Raum geben: „Wir wollen die zivilgesellschaftlichen Strukturen stärken, die politisch immer mehr unter Druck geraten“, sagt Pellio. Von 8.000 Studierenden in Cottbus kommen 4.000 aus dem Ausland. „Ich finde es auch immer wichtig zu zeigen, dass das hier ein Raum ist, wo man über Erfahrungen mit Rassismus oder so sprechen kann.“ Noch öfter allerdings seien bei den ausländischen Studis bürokratische Hürden Thema oder die Ausbeutung, der sie in ihren Nebenjobs begegneten.
Segen: Und manche haben auch spirituelle Sorgen. „Letzte Woche kam eine katholische Studierende aus Indien zu mir“, sagt Lukas Pellio. Die habe vom Heimatbesuch ein Jesusbild mitgebracht und ihn darum gebeten, es zu segnen. „Als Evangele kriege ich es nicht so gut übers Herz, Dinge zu segnen. Also habe ich die beiden zusammen gesegnet.“ In Pellios Rücken steht ein Flipchart, darauf die Namen Sara und Hagar und die Verbindungen der beiden biblischen Frauen. Alle zwei Wochen wird hier beim „Feminist Bible Brunch“ über Texte aus dem Alten und dem Neuen Testament in fortschrittlicher Perspektive gesprochen.
Regenbogen: Die evangelischen Studierendengemeinden verteilen Kondome und Lecktücher mit Regenbogenfahnen-Verpackung und Aufschriften wie „Gott liebt auch die kleinen Dinge“ und „Deine Frucht ist meinem Gaumen süß“. Und auch im Fenster des Gemeindehauses hängt eine Regenbogenfahne. Das gefällt nicht allen. „Manchmal werfen mir Leute irgendwelche Bibelverse, die mich zum Nachdenken anregen sollen, in den Briefkasten“, erzählt Pellio, und: Wo in Cottbus eine Regenbogenfahne heruntergerissen werde, da hänge der CSD-Verein Cottbus zwei neue auf. Auch der Brandanschlag, den Pellio im vergangenen Jahr erlebte, hatte mit einer Regenbogenfahne zu tun.
Wessi: Aufgewachsen ist Lukas Pellio in einem rheinland-pfälzischen Dorf. Ist das ein Problem hier im Osten? „Auch Linken, die von hier kommen und nie weggegangen sind, wird empfohlen, sich nach Berlin zu verpissen“, sagt Pellio. Manchmal verhalte er sich als Wessi vielleicht auch falsch, „dann ist es gut, wenn mir Leute das sagen“. Für die meisten sei entscheidend, ob man sich vor Ort mit Herzblut einsetze. Und: Klasse steche Herkunft. „Mein Vater war der Hausmeister in einer Kirchengemeinde und meine Mutter zeitweise Sekretärin dort, wir wohnten in der Hausmeisterwohnung im Gemeindehaus.“ Stühle aufstellen für die Frauenhilfe, danach die übrig gebliebenen Kekse knabbern: „So bin ich kirchlich aufgewachsen.“
Knast: In Marburg, Groningen und Berlin studiert Pellio schließlich Theologie und ist nebenbei politisch aktiv. Pfarrer will er da noch nicht werden. „2009 war ich auf einer Demo, kurz vor Weihnachten, und bin in einen Polizeikessel geraten. Dann habe ich die Nacht auf der Wache verbracht.“ Das Eingesperrtsein beschäftigt ihn, er macht ein Praktikum in der Gefängnisseelsorge, hat das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles zu tun. Ein Hafterlebnis wie beim heiligen Petrus? „Im Knast haben sich die Leute immer über Bushido lustig gemacht, dass der einen Tag im Knast war und sein ganzes Leben darüber rappt. So ist es auch ein bisschen bei mir.“ Früher hat Pellio viel deutschen HipHop gehört, dann Punk. Heute gönnt er sich Mainstreamigeres, auch „Popgören“ wie Nina Chuba.
Molotowcocktail: Schließlich zieht es Pellio doch in die Gemeindearbeit, nach Spremberg an der Grenze von Brandenburg und Sachsen, zusammen mit zwei jungen Pfarrerinnen. Im Juni 2023 zeigen die drei in ihrer Kirche die Doku „Nelly & Nadine“ über die Liebe von zwei Frauen im KZ Ravensbrück. Zum Christopher Street Day 2023 hängen sie eine Regenbogenfahne an ihre Kirche. Nachts dann fliegt ein Molotowcocktail gegen den Glockenstuhl von Sankt Michael. Niemand wird verletzt, doch das Signal sitzt. Wie stark? „Es wollten mehrere Zeitungen unbedingt diese Story bringen: Pfarrer wird vertrieben“, sagt Pellio. „Tatsächlich hatte ich schon im März Kontakt aufgenommen mit Cottbus, weil ich wusste, dass die Stelle hier frei wird.“ Belastend war der Angriff trotzdem.
Für alle: Ein Pfarrer ist nicht nur für die Linken da. Wie geht Lukas Pellio mit rechten Gläubigen um? „Also, ich kann durchaus ein seelsorgerliches Gespräch mit einem führen, der falsche Überzeugungen hat. Ich kann klar benennen, was uns trennt und trotzdem die Beziehung aufrechterhalten.“ Das habe er im Knast gelernt, im Umgang mit Schwerverbrechern.
Plattform: „Der Cottbuser Bürgermeister macht irgendwie einen Superjob“, sagt Pellio über Tobias Schick (SPD). „Gleichzeitig ist der zur Diskussionsrunde eines extrem rechten YouTubers gegangen und ich denke, das ist der falsche Weg.“ Weil „diese Typen“ dadurch aufgewertet werden, findet Pellio. Er selbst würde nicht teilnehmen. „Vielleicht ist es aber auch richtig in seiner Rolle. Vielleicht ist die Lage so beschissen, dass man zu einem gewalttätigen rechtsextremen YouTuber gehen muss, um überhaupt noch Gehör zu finden.“
Das C: Lukas Pellio hat CDU-Mitglieder erlebt, die gegen Nazis auf die Straße gehen. Was die CDU-Positionen in der Asylpolitik angeht, zweifelt er aber am christlichen Gehalt der Partei. Und der anderen Parteien. „Ich glaube, Parteien und Kirchen haben nicht nur die Aufgabe, Sprachrohr zu sein für Einstellungen, die es in der Gesellschaft gibt, sondern diese Einstellungen auch mitzuformen.“ Er findet es „ein bisschen flach“, aus rassistischen Einstellungen vor Ort den Schluss zu ziehen, rassistische Politik machen zu müssen.
Imagepflege: Mit seinen offen linken Einstellungen, seiner Herkunft eckt Pellio an. Als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet er sich selbst, sagt aber auch: „Ich verstehe meine Arbeit schon auch als Imagekampagne für die Region. Ich will, dass die Probleme angegangen werden und sich dadurch das Image verbessert und nicht, dass alles irgendwie rosa getüncht wird.“ Doch das Nestbeschmutzen, Organisieren und Seelsorgen zehrt. Nach dem Brandanschlag auf die Spremberger Kirche kommt die Medienwelle. Danach der Burn-out.
Schönheit: Drei Monate lang ist Pellio krankgeschrieben. Er verbringt viel Zeit mit seinen Kindern, nimmt Therapie in Anspruch. Die neue Aufgabe als Studierendenseelsorger tritt er auf einer halben Stelle an. Zum brennenden Dornbusch auf dem linken Arm kommt das Tattoo einer Mohnblume auf dem rechten. „Einfach eine Blume. Schönheit. Ich versuche irgendwie, meine Balance besser zu halten und mehr Pausen zu machen und schöne Dinge zu machen.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Bleiben: In Brandenburg erlebt Lukas Pellio einen Zusammenhalt, den er aus Berlin nicht kennt. „Das ist ein Grund, warum ich bleiben will. Es klappt hier oft, Unterschiede besser auszuhalten. Vielleicht, weil der äußere Druck so hoch ist.“
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