Der Hausbesuch: Bart Simpson ist eigentlich Sandra
Die Comicfigur Bart Simpson wird in Deutschland von einer Frau gesprochen: Sandra Schwittau. Ihre Karriere begann mit einem Streit auf dem Spielplatz.
Schon 35 Jahre leiht sie Bart Simpson ihre Stimme. Seine Schlagfertigkeit hat ihre eigene noch geschärft.
Draußen: Sandra Schwittau wohnt mitten im teuren Münchner Viertel Schwabing. Ihre Wohnung liegt gegenüber von einem berühmten Künstleratelier. Cafés und Restaurants säumen die belebte Straße. Menschen in feinen Mänteln schieben Kinder in teuren Kinderwagen spazieren, man trifft sich in den Cafés.
Drinnen: Die Wohnung, in der Schwittau mit ihrer Tochter, einem Teenager, lebt, sieht aus wie im Designmagazin. An den Wänden hängen zeitgenössische Bilder und Fotos ihrer zwei Kinder, in Regalen im Wohnzimmer stapeln sich Bücher und Platten bis unter die Decke. Zwei Kater raufen auf dem Sofa. „Der eine ist ein bisschen dumm“, sagt Schwittau. Im Hintergrund läuft 80er-Jahre-Pop. Neben dem Wohnzimmertisch hängt, schon fast unauffällig, eine Originalskizze von Bart Simpson, signiert mit „For Sandra“.
Am Sonntagmorgen: Mit einer Zigarette in der Hand hat Sandra Schwittau um halb 12 am Sonntag die Tür geöffnet. Zur Leggings trägt sie einen blauen Kaschmirpullover und lange Strassohrringe. „Ich bin mega verkatert, ich bin heute erst um 6 Uhr nach Hause gekommen“, ist ihr erster Satz. Der Kater könnte die raue und eindringliche Stimme erklären, wenn man nicht wüsste, dass sie schon als Kind so ähnlich klang.
Die Stimme: Seit 35 Jahren ist Sandra Schwittau die Stimme der ikonischen Comicfigur Bart aus den Simpsons. Bei Synchronsprecher:innen gehe das, weil die Stimme sich im Laufe der Zeit nicht so stark verändert wie das Aussehen. „Oh manoman, coooool!“, imitiert sie den gelben Rotzbengel während des Gesprächs. Ein so vertrauter Klang. Es scheint, als würde Bart Simpson ihr in dem Moment seine Stimme leihen und nicht andersrum.
Der Sprachfehler: Als Kind hätte sie das Sprechen wahrscheinlich nicht als ihre Stärke bezeichnet. Wegen eines Sprachfehlers musste sie zum Logopäden. Mit acht Jahren allerdings hatte es sich ausgelispelt. Sie redete wie ein Wasserfall. War lustig und frech wie ihr Alter Ego im Comic. Eines Tages stritt sie sich auf dem Spielplatz; das andere Mädchen holte seinen Vater hinzu. Bei dem beschwert sich Sandra. Aber das Einzige, was der Vater darauf entgegnete: „Sag noch mal was!“ Kurze Zeit später hat sie eine Synchron-Hauptrolle in der legendären Kinderserie „Die kleinen Strolche“. Sie sprach „Buckwheat“ – einen der Jungen.
Der Rotzbengel: Als junge Frau wird sie für Bart Simpson gecastet. „Ich bin immer geflasht davon, wie groß das für andere Leute ist. Ich bilde mir überhaupt nichts darauf ein, aber ich treffe so oft Leute, die damit aufgewachsen sind. Und das ist schon schön, da bin ich stolz drauf. Ich hätte ja auch Benjamin Blümchen sein können oder so.“
Kinderarbeit: Ihre Eltern sind gegen ihren frühen Einstieg ins Showgeschäft; es nützt nichts. Schnell kommen weitere Rollen hinzu. Als Kind arbeitet sie schon bald regelmäßig neben der Schule. Während andere Jugendliche mit 16 in die Arbeitswelt einsteigen, als Zeitungsträgerin oder Kellner, ist Sandra in dem Alter längst Profi. „Wenn du als Kind mit Erwachsenen arbeitest, erwarten sie dasselbe auch von dir, also wirst du schnell erwachsen.“ Noch vor dem Schulabschluss verdient sie bereits mehr Geld als ihre Lehrer und Lehrerinnen. Mit 17 zieht sie in ihre eigene Wohnung. „Ich war schon sehr reif in dem Alter. Ich dachte mir damals halt: Was wollt ihr von mir? Ich bin unabhängig!“ Nach dem Abitur steigt sie in die Produktion fürs Synchronsprechen ein. „Mir war schon klar, ich mache das weiter und studiere jetzt nicht Jura oder so.“
Diven: So schnell wie sie erwachsen wird, so schnell wächst auch ihr Erfolg. Sie spricht Eva Mendes und Hilary Swank; sie ist in der Patti-Smith-Doku und in Tausenden anderen Projekten zu hören. „Ich war schon jede Sängerin, die man sich vorstellen kann. Von Doku bis zum Spielfilm. Von Beyoncé über Aretha Franklin, Tina Turner, ich war sie alle.“
Der Laden: Zwischendurch geht sie nach Amerika auf die Schauspielschule, lebt danach eine Zeitlang in Berlin und kommt schwanger nach München zurück, in ihre Heimatstadt. Der Vater ihres Kindes sucht dort Räumlichkeiten für seine Marketingagentur. Die Remise, die er im Glockenbachviertel findet, hat 200 Quadratmeter zu viel. Was tun damit? Vermieten? Plötzlich die Frage: Wie wär’s mit einem eigenen Laden? Sie entscheiden sich dafür.
Lifestyle: Sandra kennt sich in der Modeszene aus. Also starten sie den Laden als „Side-Projekt“, das ist Neudeutsch, man könnte auch Nebenerwerb sagen. Sie nennen den Laden Schwittenberg. Eine Symbiose aus Schwittau und seinem Nachnamen, Romberg. Doch was urspünglich nur als Nebengeschäft gedacht war, entpuppt sich als mehr: Der Laden läuft gut. Schwittenberg wird zu einer der angesagten Adressen für Design in Deutschland. So geht es viele Jahre. Sandra Schwittau ist ständig am Jetten, synchronisiert, macht Lesungen und fährt mit ihrem Partner auf alle Fashion Weeks und Designmessen, um für ihren Laden einzukaufen.
Ehekrise: „Für die Beziehung ist es aber nicht gut, wenn man die ganze Zeit zusammenhängt und auch im Privaten über den Job redet. Man ist nicht mehr frei“, sagt sie. Die Ehe geht auseinander. Kurze Zeit später steigt Schwittau aus dem Laden aus. „Irgendwann habe ich mich mehr für Kartoffelsorten interessiert als für Designerkleidung, ich bin da rausgewachsen.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Weitersprechen: Das Synchronsprechen macht sie während all der Zeit weiter. „35 Jahre Bart Simpson haben meine Stimme kaputt gemacht.“ Für das Sprechen und Imitieren muss sie die Stimme drücken und quetschen, was die Stimmbänder schädigt. Umso belustigter und genervter ist Schwittau von einer sehr häufigen Reaktion der Leute: „Ach, meine Cousine hat so eine lustige Stimme, die könnte das auch machen.“ Sandra Schwittau sagt dazu: „Ich mache so tolle Farbkleckse, ich könnte auch Jackson Pollock sein!“
Die Tochter: Zwischendurch kommt ihre Tochter Fee ins Zimmer. Sandra Schwittau hat sie hereingerufen, damit sie sich vorstellt. Fee lernt gerade für eine Klausur. Ihre Mutter fragt, was sie morgen schreiben. „Geschichte“, sagt die Tochter. „Altgriechisch, dachte ich“, antwortet Schwittau.
Die Mutter, ein Star: Ihre Mitschüler:innen wussten, dass ihre Mutter die Stimme von Bart Simpson ist, erzählt Fee. Alle ihre Freunde wollten immer zu ihnen nach Hause. „Für die war das das Oberhighlight.“ Auch der Nachbarsjunge im Haus klingelte öfter und fragte nach Zucker oder Mehl. Einmal hörte Schwittau hinter der Wohnungstür Gekicher. Der Nachbarsjunge hatte 15 Freunde im Schlepptau, die alle mal bei Bart Simpson klingeln wollten. Vorlesen lassen wollten sich die Tochter, aber auch ihr Bruder allerdings nicht von der Mutter, sondern vom Papa. „Mama war dabei zu theatralisch.“
Die Zeit: Die Tochter spielt mittlerweile selbst regelmäßig Theater, Schwittaus Sohn ist ausgezogen. „Ich bin plötzlich aufgewacht, meine Kinder waren erwachsen, ich war alt und kaputt. Diese 20 Jahre haben sich angefühlt wie zwei Jahre, das ging so schnell“, sagt sie. Bereuen tut sie in ihrer Vergangenheit jedoch nichts.
Künstliche Intelligenz: Wenn Schwittau in die Zukunft schaut, dann weiß sie, dass auch das mit dem Synchronsprechen nicht mehr lange geht. In fünf bis zehn Jahren werde es die Branche nicht mehr geben, schätzt sie. Die KI, künstliche Intelligenz, werde sie ersetzen. Es laufe darauf hinaus, dass mit Hilfe der KI die Stimme von Brad Pitt in 38 Sprachen ausgespuckt werden könne, Übersetzer:innen und Sprecher:innen braucht man dann nicht mehr. Die Bezahlung werde ohnehin jetzt schon schwieriger. „Aber ich mach mich nicht verrückt. Wenn das Synchronsprechen nicht mehr geht, geht irgendeine andere Tür auf.“
Pläne: Momentan steigt sie ins Regiefach ein und schreibt Dialoge. „Jetzt bin ich mal auf der anderen Seite und hab das Sagen.“ Sie probiere einfach aus. „Wenn das damals nicht passiert wäre, auf dem Spielplatz, wer weiß, vielleicht wäre ich Astrophysikerin geworden.“ Und relativiert: „Na ja, vielleicht nicht unbedingt Astrophysikerin.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau