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Der HausbesuchDer Sport formt ihr Leben

Die Handballerin Britta Wend hatte vor drei Jahren einen Unfall. Jetzt spielt sie Rollstuhltennis auf internationalem Niveau.

Britta Wend in ihrer Küche Foto: Andreas Fechner

Auch ihr Tag hat nur 24 Stunden. Das macht es nicht ganz einfach für Britta Wend, Sport, Studium, Umzug, Familie und Politik unter einen Hut zu bringen.

Draußen: Britta Wends Wohnung liegt im ersten Stock eines Neubaus. „Von außen seelenlos“ sei das Gebäude, in das sie kürzlich eingezogen ist. Die kastenförmige Architektur gibt es in vielen deutschen Neubaugebieten. Vier dieser uniformen Häuser stehen nebeneinander. Die Sonne geht gerade unter in Remscheid, es ist kalt. „Eigentlich bin ich ein Stadtmensch, aber diese Wohnung hätte ich mir in Köln niemals leisten können“, sagt Britta Wend.

Drinnen: „Bei barrierefreien Wohnungen kommen fast nur Neubauten in Frage“, sagt sie und entschuldigt sich: „Hier sieht es noch ein wenig unordentlich aus.“ Sofa, Esstisch und Fernseher stehen zwar schon an ihren Plätzen, die Küche aber ist noch nicht eingerichtet. Gekocht wird mit einer einzelnen Herdplatte und einem Thermomix. „Das geht ganz gut, nur der Abwasch in der Badewanne nervt.“

Der Freund: Wend zog mit ihrem Freund zusammen, einem Bauingenieur aus Dortmund. „Wir haben uns – was für ein Klischee – bei der Mannschaftsfahrt auf Mallorca kennengelernt. Wir waren beide Handballer. Seit über sieben Jahren sind wir jetzt zusammen.“ Es ist die erste gemeinsame Wohnung. Zwei sich ähnelnde Bilder stehen noch auf dem Boden. „Das da sind legendäre Schalke-Spieler, mein Freund ist Schalke-Fan. Und das hier sind bekannte Frauen wie Marie Curie und Serena Williams. Ich bin Frauen-Fan“, sagt Britta Wend.

In Bewegung sein: Zeit, sich einzurichten, hat sie gerade nicht. „Nächstes Wochenende fliege ich in die Türkei. Wir spielen dort zwei Turniere in einer Woche, vielleicht kriegen wir sogar etwas Sonne ab“, sagt Wend. Sie ist Nationalspielerin im Rollstuhltennis. Die Sportart kenne in Deutschland aber fast keiner. „Das Prinzip ist wie bei den Fußgänger*innen“, so nennt sie Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen. „Man möchte den Ball einmal mehr über das Netz schlagen als der Gegner.“ Die größte Schwierigkeit sei die Koordination. „Gleichzeitig den Schläger in der Hand zu halten und den Rollstuhl zu bewegen, ist nicht leicht. Man muss immer in Bewegung bleiben.“

Turniere: Gemeinsam mit Katharina Krüger aus Berlin bildet sie die deutsche Nationalmannschaft im Rollstuhltennis. „Wir spielen in diesen Turnieren um unseren Platz in der Weltrangliste“, sagt Wend. Aktuell steht sie auf Platz 40, im Sommer war sie noch auf Platz 70. „Ab jetzt ist die Leistungsdichte aber enger.“ Ihr Ziel sei eine Qualifikation für die Paralympics. „Dabei habe ich erst dieses Jahr wirklich angefangen. Gestartet sind meine Trainer und ich ohne Ziel, ohne wirklichen Plan.“

Tolle Frauen sind ihr Vorbild Foto: Andreas Fechner

Schicksal: Wend studiert Sportmanagement und -kommunikation. Im Januar 2019 verletzte sie sich bei Akrobatikübungen. „Ich hatte die Übung davor schon etliche Male gemacht. Man steht auf den Schultern einer Person, springt ab und landet vor ihr. Dann machen beide gleichzeitig eine Flugrolle“, sagt sie. Normalerweise sei das nicht schwer. Sie turne schon seit ihrer Kindheit. Ihre Mutter brachte sie damals ins Training. „Das war die einzige Sportart, bei der sie mich einfach mal abgeben konnte.“ Aber an diesem Tag sei sie mit dem Kopf nicht ganz da gewesen. „Die Person unten hat sich nach vorne gelehnt. Wie das sein muss. Aber anstatt abzuspringen, habe ich direkt zur Rolle angesetzt und bin auf meinem oberen Rücken gelandet.“ Der oberste Lendenwirbel brach.

Kein Defizit: Sie spürte den Schmerz direkt, konnte ihre Beine nicht mehr ganz bewegen. Sie fand sich schnell ab mit der Behinderung. „Für mich war das nicht so schlimm, wie sich das alle vorstellen“, sagt Wend. „Am Anfang haben mir alle gesagt: Es ist so toll, wie du damit umgehst. Und das hat mich immer gestört, ich wusste aber nicht so ganz, warum.“ Durch Gespräche mit Ak­ti­vis­t*in­nen habe sie verstanden, dass man damit implizit sagte, dass ihr Leben schlechter geworden sei. „Aber das stimmt nicht. Rollstuhltennis könnte ich ohne meine Behinderung nicht spielen.“ Wend hat sich lange schwer damit getan, das so auszudrücken. Behinderung werde immer als etwas Defizitäres dargestellt, vor allem in den Medien. „Für jemanden, der es so erlebt, darf es das natürlich auch sein. Aber: Ich habe eine Behinderung, und das ist gut so.“ Als behinderte Person könne man ja auch ableistische Denkstrukturen, also verinnerlichte Diskriminierungen, haben. „Das versuche ich bei mir abzulegen. Es ist ein Teil von mir. Wie so vieles, was man sich nicht aussuchen kann.“

Glück: Wend sagt, sie habe noch Glück gehabt. Ihr Unfall passierte an der Uni. So gilt er als Arbeitsunfall, die Versicherung greift. „Eigentlich habe ich finanziell ausgesorgt. Aber manchmal würde ich gerne teilen, anderen helfen.“ Hier sieht sie eine große Ungerechtigkeit des Gesundheitssystems. „Nur weil mir das auf der Arbeit passiert ist, werde ich aufgefangen. Viele andere müssen um jeden Rollstuhl kämpfen. Das ist die wahre Zwei-Klassen-Medizin.“

Förderung: Trotzdem spart sie jetzt schon für die Zukunft. Noch wird sie vom Behindertensportverband gefördert. Als Spitzensportlerin hat sie einen Kaderstatus, wegen ihres Alters. Sie ist 25. Noch bis zum Ende ihres nächsten Lebensjahres wird sie deshalb unterstützt. „Aber 2023 geht es ja auf die Qualifikation für die Paralympics zu. Dafür fange ich jetzt schon an zu sparen.“ Denn ihr Sport sei sehr teuer, allein ihr Sportrollstuhl kostet 10.000 Euro.

Anerkennung: Da es für Rollstuhltennis nur zwei Medaillen gibt, sei es schwer, in die Weltspitze und damit an Sponsoren zu kommen, sagt Wend. Beim Schwimmen gibt es viel mehr Medaillen, wodurch man schneller an eine Förderung komme. „Da wird mir implizit vermittelt, dass es besser wäre, wenn ich einen anderen Sport machen würde.“ In anderen Ländern sei Rollstuhltennis sichtbarer. „In Japan zum Beispiel. Da gibt es einen eigenen Comic über Shingo Kunieda, den besten Rollstuhltennisspieler.“

Training: Auch das regelmäßige Training sei teuer. „Ich zahle immer drauf, um meinen Sport machen zu können.“ Viermal in der Woche spielt sie Tennis, dreimal macht sie Kraft- oder Ausdauertraining. „Die Halle, das Material, die Fahrten. All das kostet.“ Dank der größeren und günstigeren Wohnung in Remscheid will sie sich jetzt aber ein eigenes Fitnessstudio zu Hause aufbauen, mit Freihanteln und Rudergerät. Für den Ausdauersport könne sie mit dem Handbike fahren, einem Fahrrad, bei dem man mit den Händen die Pedale bewegt. „Da gibt es in der Nähe eine schöne Route entlang einer alten Bahntrasse. Oder ich fahre einfach Rollstuhl, bergauf, bergab. Aber das ist genauso langweilig wie Joggen.“

Arbeit: Neben dem Studium und dem Training arbeitet sie als Studentische Hilfskraft an der Sporthochschule. Für eine Kooperation mit einem Start-up, das die erste Sport-App für Menschen mit Behinderung auf den Markt bringen will. „Ich entwickle Übungen und Trainingsprogramme“, sagt sie. „Dabei gibt es aber natürlich viele Schwierigkeiten.“ Der Algorithmus müsse erkennen, welche Übungen machbar sind. Das unterscheide sich je nach Art und Grad der Behinderung.

Ein Stillleben Foto: Andreas Fechner

Zeit: All das ist sehr zeitintensiv. „Mir fällt es schwer, bei den vielen Sachen, die so anstehen, den Kontakt zu halten. Ich vernachlässige manchmal Leute, ohne dass ich das will.“ Ihre Familie sei ihr sehr wichtig, insbesondere ihre drei kleinen Nichten. „Die versuche ich schon regelmäßig zu sehen. Leider bleibt daneben so einiges auf der Strecke.“ Unter anderem die Parteiarbeit. Denn eigentlich ist Britta Mitglied bei den Jusos. Nur schaffe sie es nicht, aktiver am Parteileben teilzunehmen. „Das ist gerade jetzt in der neuen Stadt schade. Das verbindet doch Sport und Politik: Egal wo man hinkommt, hat man direkt eine Gemeinschaft.“

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