Der Hausbesuch: Für ihn gibt’s nur den Stahl
Karl Maurer ist Künstler, das Zentrum seines Hauses im Allgäu ist das Atelier. Mehr als 50 Quadratmeter brauche er nicht zum Leben, sagt er.
Mit 65 gönnt er sich seinen täglichen Mittagsschlaf. Zehn, vielleicht zwanzig Plastiken will er noch machen die nächsten Jahre. Doch alles mit der Ruhe.
Draußen: Ronsberg, ein Dorf im Herzen des Allgäus, nordöstlich von Kempten. Das unverputzte Haus steht am Ende eines Stichwegs. Der Hof ist vollgestellt mit stählernen Stangen, Kuben, Plastiken und etwas, das aussieht wie ein Boot. Der rotbraune Rost bildet einen stimmigen Kontrast zum satten Grün der Hügellandschaft im Hintergrund. Auf der Rückseite des Hauses grasen Schafe.
Drinnen: Stolz präsentiert Karl Maurer seine Kunstobjekte und Modelle. Sie stehen auf Stelen in der Küche, im Flur, auf der Treppe, auf dem Boden und natürlich in der Werkstatt mit dem großen Tor. Ein Wohnzimmer gibt es keines, das Schlafzimmer ist winzig. Das Zentrum des Hauses ist das Atelier. Mehr als 50 Quadratmeter brauche er nicht zum Leben, sagt Maurer. Die zwei Stockwerke obendrüber hat er an ein junges Pärchen und an eine alleinstehende Frau vermietet.
Fünf Brüder: Zu siebt sind sie in Augsburg aufgewachsen. Der Vater Kaufmann im Großhandel, die Mutter Hausfrau, sparsame Verhältnisse. Zu zweit, zu dritt hätten sie sich ein Zimmer geteilt und manchmal auch im Geschäft des Vaters mit anpacken müssen, sagt Maurer. Kisten schleppen, Sackkarren fahren, das Gemüse einsortieren. Alle Brüder leben noch in Bayern. Die Eltern sind verstorben. „Mittlerweile bin ich Onkel von zehn Neffen und Nichten und Großonkel von noch weiteren zehn.“ Alle paar Jahre kommt der ganze Clan in Mittelschwaben zusammen – an die hundert Leute.
Die wilden Jahre: Mit 18 schmiss er das Wirtschaftsgymnasium, arbeitete ein paar Monate in einer Chemiefabrik und ging auf Reisen in Europa. „Ich war ein Kind der wilden 70er“, sagt Maurer und schmunzelt. Große Reden habe er in der Schule geschwungen, um die Ungerechtigkeit der Welt anzuprangern. Er sei barfuß in die Schule gegangen und habe mit dem Kommunismus geliebäugelt. Heute kommt ihm das naiv vor. Aber damals hat es gepasst: lange Haare, Che Guevara, Rockmusik, ein Techtelmechtel hier und da, das ganze Programm. Nach seinen Reisen zog er ins erste WG-Haus in Augsburg. Die Eltern waren nicht begeistert.
Dranbleiben: Maurer war sich für keinen Job zu schade, um sich über Wasser zu halten. Er putzte Straßenbahnen, fräste Metall, schreinerte und arbeitete für Bosch und als Messeschmied. Er reiste noch mal durch Kanada und Mexiko, dann entschied er sich für eine Zimmermannslehre und erlernte das Schweißhandwerk. Da wusste er schon längst, dass er nicht für immer als Handwerker arbeiten möchte. „Ich wollte die Technik für die Kunst nutzen.“ Schon mit zwölf begann er sich für Kunst zu interessieren, ging in Ausstellungen und probierte sich in Kohlezeichnungen. Die Lehrer ermunterten ihn, dranzubleiben.
Konkrete Plastik: Die konkrete Kunst ist ein minimalistisches Konzept der Reduktion auf die geometrischen Grundformen und ihre Gesetzmäßigkeiten. Maurer arbeitet fast ausschließlich mit Stahl, aus dem er seine Plastiken zusammenschweißt; die Modelle dazu macht er aus Pappe oder Holz. Einige seiner großen Plastiken stehen auf dem Wiesengrundstück des Nachbarn. Auf den ersten Blick wirken sie wie Panzerabwehrhindernisse oder seltsame Reptilien. Die Schafe mögen sie und chillen in ihrem Schatten. Mondrian und Theo van Doesburg bezeichnet Maurer als seine „Väter“.
Doch nicht Frankreich: Maurer verfiel der Idee, in Frankreich Kunst zu machen. Mit einer Französischkorrespondentin im Schlepptau suchte er nach einem Bauernhaus in der Auvergne. „Ich kannte sie erst eine Woche, aber es war halt eine liberale Zeit.“ Einen Monat fuhren sie mit dem Rad durch die Gegend und schliefen im Zelt. Er war 26, sie 38; die Beziehung hielt drei Jahre. Maurer fand sein Bauernhaus, nahm einen Kredit auf, kaufte es, entschied sich gegen Frankreich und kehrte zurück nach Augsburg.
Landweh und Landschmerz: Mit 29 kam der große Wendepunkt. „Ich wollte mich doch auf dem Land niederlassen, um meine Kunst zu machen und ein großes Atelier zu haben“, sagt Maurer. Er mietete ein uraltes Bauernhaus bei Günzach im Allgäu. Nach zehn Jahren hätten sie ihn rausgeekelt, sagt er, also verkaufte er sein Haus in der Auvergne und baute sich sein eigenes. Nach zwanzig Jahren musste er auch dieses verlassen wegen der Chemieabgase einer nahe gelegenen Fabrik. In seinem neuen Haus in Ronsberg lebt er nun seit fünf Jahren, auch das selbst gebaut. Von hier will er nicht mehr weg.
Die Kunst, nichts zu haben: Er habe immer günstig gelebt, sagt Maurer. Jahrzehntelang hatte er kein Auto. Jetzt hat er einen alten Pick-up, mit dem er seine Materialien transportiert. Kinder hat er keine. Teure Hobbys auch nicht. Die Kunst ist sein Leben.
Die Werkstatt: Durch das große Tor transportiert er seine Stahlplatten und Stangen. Mit dem Kran an der hohen Decke platziert er sie an die gewünschte Stelle. Es ist schmutzig in der Werkstatt und riecht nach Öl und Metall. Die Seiten des Ateliers sind vollgestellt mit Utensilien: Feilen, Bohrer, Sägen, das Schweißgerät. In der Mitte des Raums ragt eine spitze Plastik auf, an der er gerade arbeitet. Maurer lehnt sich locker an sie, ganz in seinem Element.
Das Glück der Arbeit: Fünf bis acht Stunden arbeitet er täglich an seinen Plastiken und Modellen; zwischendrin ein ausgedehnter Mittagsschlaf. „Ich bin jetzt 65“, sagt Maurer, „da muss ich mich nicht mehr zu Tode ackern.“ Geackert hat er viel in seinem Leben. Sich immer wieder als Tischler verdingt und Schweißarbeiten für andere gemacht. Das Arbeiten mit Stahl ist hart, was anderes machen will er aber nicht.
Erfolg: Bereits mit Anfang 30 konnte er von seiner Kunst leben, heute bringt ihn ein großer Auftrag ein ganzes Jahr durch. Er hat einen Galeristen in Augsburg, regelmäßig Gruppenausstellungen und private und öffentliche Aufträge. Ein paar Kunstpreise gewann er auch.
Allein und nicht allein: „Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben“, sagt Maurer und meint damit seine Häuser und dass er von seiner Kunst leben kann. Mit den Frauen lief es nicht ganz so gut. Beziehungen waren oft von kurzer Dauer, mit einer Frau zusammen wohnte er nie. „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben“, sagt er. Das mit den Frauen stört ihn nicht. Das behauptet er zumindest.
Der Kinderwunsch: Mit einer Frau war es ihm wohl ernster, mit ihr wollte er ein Kind. Zuerst habe er keine haben wollen, sagt er – anders als seine Brüder. Aber dann hätte sich doch ein Kinderwunsch in ihm geregt. Die Frau verlor das Kind im dritten Monat. Ein zweites Mal versuchten sie es nicht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Das Kubophon: Maurer musiziert gerne, alleine oder mit Freunden. Er spielt Mundharmonika und Hang – ein vor etwa 20 Jahren in der Schweiz erfundenes melodisches Percussioninstrument aus Metall, Panflöte, Akkordeon und Congas. Und dann spielt er noch ein ganz spezielles Instrument, das er selbst gebaut hat: das Kubophon, ein Kubus aus Stahl, den er zum Klingen bringt. „Es gleicht ein wenig einer Kakophonie“, sagt Maurer ironisch.
Nach der Arbeit: Obwohl seine Knie geschunden sind von der vielen Arbeit mit dem Stahl, geht er noch immer wandern. „Das Allgäu hat traumhafte Wanderwege.“ In einer halben Stunde ist er in den Bergen, die Natur beginnt vor seiner Haustür. Hier sei es auch nicht so überlaufen, meint Maurer, im Süden Bayerns könne man ja nicht mehr leben.
Was noch kommt: An die hundert Modelle lagern oben auf der angebauten Etage in seinem Atelier – ein Chaos, das er überblickt. Zehn oder zwanzig Plastiken wolle er noch machen. Damit sei er zufrieden.
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