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Der HausbesuchIm Haus der Liebe und der Dinge

Sie sammelt Objekte, die für große und kleine Lieben stehen, andauernde und verflossene. Zu Besuch bei Luise Loué im Museum der Liebe am Ammersee.

Luise Loué vor ihrem wirklich winzigen Haus Foto: Thomas Dashuber

Die Liebe sucht sich immer Objekte, um sich zu manifestieren. Luise Loué sammelt sie – und stellt sie in ihrem Tiny House aus.

Draußen: In Utting am Ammersee leben etwa 4.000 Menschen. Einmal die Stunde hält ein Zug aus Augsburg. Langsam gleitet die kurze, blau und weiß angestrichene Regionalbahn aus den sanften Hügeln der voralpinen Endmoränenlandschaft an das Westufer des Sees. Von hier schaut man im Süden auf ein atemberaubendes Alpenpanorama, auf den Heiligen Berg und das Kloster Andechs sowie auf die Parabolantennen der Erdfunkstelle Raisting.

Im Sommer ist in Utting touristischer Trubel. Jetzt, im Winter, liegen die Segelboote eingepackt in Ufernähe an Land, etliche Häuser sind unbewohnt, und wegen der Corona-Auflagen wirkt das Leben noch eingefrorener als in einer ganz gewöhnlichen Nebensaison. Auf dem Campingplatz stehen ein paar Wohnwagen abgeschlossen herum. Gegenüber vom Wasch- und Toilettenhaus ist das mobile Tiny House von Luise Loué aufgebockt.

Drinnen: Man muss die Schuhe ausziehen, bevor man durch eine Glastür die zehn Quadratmeter kleine Wohnfläche betritt. Alles ist hier picobello, nirgends liegt irgendetwas unabsichtlich rum. Es gibt eine drehbare Küchenzeile mit Klapptisch, ein winziges orangefarbenes Sofa, eine einklappbare Holztheke und zwei Barhocker.

An der Decke klebt ein Feuermelder, zwischen Küche und Sofa klemmt eine weiße Infrarotheizung, und über dem Vorraum ist, einem Heuschober ähnlich, ein Brett mit Matratze drauf. In den Nischen der aus Holzstreben konstruierten Kassettenwand stecken Objekte: Liebesbriefe, ein mit „Ich liebe dich“ bemalter Stein, ein kleines Büchlein, in dem eine Frau ihre verflossenen Männer in Wort und Bild porträtiert, ein Holzbrett mit Schnürsenkeln dran, das ein Vater seinem Sohn zum Üben gebastelt hat.

Tollhaus: Luise Loué ist eine Botschafterin der Liebe. „Ich bin dafür da, exzessiv positive Geschichten zu verbreiten“, sagt die Kabarettistin und Sammlerin. Sie findet #metoo notwendig und wichtig, aber ihr Motto heißt: „Vergesst die Liebe nicht.“ Es gebe auch Jungs, die Liebesbriefe auf rosa Papier schreiben und mit Blumen verzieren.

Designobjekt: 2016 bewarb sich Loué bei der Tinyhouse University Berlin mit ihrem Projekt, dem „Museum der Liebe“, und gewann das Haus. Der Architekt Van Bo Le-Mentzel hat es konzipiert, zahlen musste sie nur einen Bruchteil. Für alles von den Fenstern bis zur Wandfarbe hat sie Sponsoren gesucht und sich von der Innenarchitektin AnneLiWest beraten lassen.

Minimalismus: Ein Tiny House zwingt jeden dazu, sich auf das Notwendigste zu reduzieren. Strom gibt es, Wasser nicht und auch keine Toilette. Loué benutzt die Waschräume des Campingplatzes. Dieser Zwang zur Reduktion passt zu Loués sonstiger Lebensführung: absoluter Minimalismus. Kleidung organisiert sie beispielsweise über den Tauschring Lets in Landsberg; und von einer Frau, der sie zeigt, wie Instagram funktio­niert, erhält sie im Gegenzug Wissen über Rohkost. Beim Besuch bietet sie selbstgemachte Grünkohlchips und Ingwertee an. Immer, wenn sie ihr Museum präsentiert, trägt sie im Winter ein und dasselbe schlichte rote Wollkleid mit Rüschen.

Hinter dem Sofa ein Holzbrett mit Schnürsenkeln, das ein Vater seinem Sohn zum Üben gebastelt hat Foto: Thomas Dashuber

Liebesobjekt: Das „Museum der Liebe“ ist zugleich selbst ein „Liebesobjekt“. Wenn Loué über ihr Haus redet, wirkt sie wie frisch verliebt. Mit großer Leidenschaft, großen Gesten und heiter aufgeregt beschreibt sie das Konzept ihres Museums: „Ich habe Leute gebeten, mir das schönste Objekt einer Beziehung zu überlassen. Denn es ist so schade, etwas wegzuschmeißen, wo so viel Liebe drinsteckt. Nur weil eine Beziehung vorbei ist, steckt die Liebe ja trotzdem noch im Objekt.“

Mit Liebe meint Loué aber nicht nur das, was man als Paarbeziehung kennt: „Es geht mir darum, den Moment zu zeigen, in dem sich Menschen ganz öffnen und darauf hoffen, so gesehen und gehört zu werden“, erläutert sie. „Ich bin für das Konzept Ehrlichkeit und ich bin für Inbrunst. Ich glaube, dass wir noch viel zu wenig darüber wissen, was Liebe eigentlich heißt.“ Die Liebe zur Arbeit, die Liebe zu Freunden oder Haustieren gehört für sie auch dazu.

Auslöser: Alles begann im Jahr 2007. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte seiner Verlobten Carla Bruni den gleichen Ring gekauft wie seiner ersten Frau. Was Loué zunächst total empörte, begann sie irgendwann zu verstehen. Sie stieg in den Keller, wo sie ihre in Kisten verstauten Erinnerungen alter Freundinnen, Geliebter und Verehrer aufbewahrt hatte. „Den Schatz, den ich da wieder entdeckte, hatte ich total vergessen. Dass man sich an das Schöne erinnert, scheint also nicht zu stimmen.“

Sie begann, ihre Freundinnen und Bekannten nach deren Liebesobjekten zu fragen, und inserierte in der Süddeutschen Zeitung. Heute hat sie über 130 Objekte in ihrer Sammlung – aus ganz Deutschland und sogar aus New York und Uruguay. Sie reichen von der ausgestopften Maus Eberhard bis zu abgetippten und ausgedruckten Liebes-Chats. „Mich berührt immer wieder aufs Neue, was alles aus Liebe hergestellt, verschenkt und aufgehoben wird“, sagt Loué. Auch im Augsburger Karstadt war schon ein Teil ihrer Sammlung zu sehen. Und sie hat ein Buch veröffentlicht: „Vergiss die Liebe nicht. Liebesobjekte und ihre Geschichten.“ (Michael Imhof Verlag, 2019)

taz am wochenende

Nach einem Jahr voller Abstand und Kontaktbeschränkungen widmen wir uns in unserer Weihnachtsausgabe dem Gefühl, ohne das 2020 wohl erst recht nicht auszuhalten gewesen wäre: der Liebe. Muss man sich wirklich selbst lieben, um geliebt werden zu können? Hilft der Kauf eines Flügels bei der Auseinandersetzung mit dem Kind, das man einmal war? Und was passiert eigentlich mit all den Lebkuchenherzen, die nicht auf Weihnachtsmärkten verkauft werden konnten? Ab Donnerstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Fenchel: Das Symbol ihres Museums ist ein Fenchel, in dem ein Amorpfeil steckt. Einst hatte sie mit einem Mann, den sie liebte, einen Urlaub in Italien verbracht. „Wir haben dort viel Fenchel gegessen und viel geschlafen. Nur nicht miteinander“, erzählt sie. Die Schuld gaben sie dem Fenchel, dem sie unterstellten, ihre Libido negativ zu beeinflussen.

Nach dem Urlaub schenkte Loué dem Mann einen Fenchel, durch den sie einen geschmiedeten Amorpfeil gesteckt hatte. Die Beziehung zerbrach, der Fenchel wurde ihr zurück­gegeben. Den Original-Fenchel hat sie nicht mehr. Aber einen duplizierten. „Ich amüsiere mich prächtig mit meinem Fenchel und nehme ihn überallhin mit.“ Dass der Fenchel nahezu perfekt herzförmig ist, wem ist das überhaupt schon mal aufgefallen?

Freiheit: Luise Loué ist eine Draufgängerin. Bevor sie Künstlerin wurde, hat sie in Paris unter anderem Volkswirtschaftslehre studiert, war mal bei BMW, Unternehmensberaterin und Knochenmarkstransporteurin. „Wenn man immer erst mal abwägt, wagt man am Ende gar nichts“, sagt sie. Hätte sie allerdings gewusst, wie viel Arbeit so ein Tiny House macht – vom Innenausbau bis zum Stellplatzfinden –, hätte sie ihre Bewerbung vielleicht niemals abgeschickt.

Eines der zentralen Objekte: ein Fenchel mit dem Amorpfeil Foto: Thomas Dashuber

„Aber jetzt habe ich einen Ort, an dem ich machen kann, was ich will, und das liebe ich“, sagt sie und strahlt. Und wird wieder ernst: „Im Moment fehlt mir aber die Freiheit sehr.“ Jedoch hat Luise Loué natürlich auch aus dieser Situation schon irgendwas gemacht: Postkarten und Schutzmasken mit dem Spruch „Spread Love Not Corona“. Das o in Corona ist der Fenchel mit dem Amorpfeil.

Begegnungsort: Eigentlich lebt Loué mit ihrer Familie in einer 80-Quadratmeter-Wohnung im drei Kilometer entfernten Schondorf. Aber sie kommt oft ins Tiny House, zum Arbeiten, mit dem Sohn. Bis zu 18 Leute passen in die zehn Quadratmeter. Als es noch ging, hat sie Musikerinnen, Literaten und andere Künstler eingeladen, ihre Werke vorzustellen und mit dem Publikum zu diskutieren. Sogar Kuschelpartys hat sie hier schon organisiert. „Hier kommen nur Leute her, die zu mir passen.“ Wie meint sie das? „Ich war immer Außenseiterin. Schon in dem Internat am Chiemsee. Ich fühle mich auch heute noch manchmal einsam. Dann, wenn ich nicht weiß, ob es Leute gibt, die verstehen, was ich mache.“

Tour: Man kann Luise Loué buchen, dann erzählt sie Geschichten zu den Dingen, die sie gesammelt hat. Loué hat ein seltenes Talent: Sie schafft es, Dinge, die man schnell als Kitsch abtun könnte, anrührend und komisch zugleich zu präsentieren. Ein bisschen so wie in dem Satz aus einem Liebesbrief, den sie mit 14 bekommen hat und der in der Wand ihres Museums steckt: „Du bist bis jetzt meine größte Liebe.“ Auf dem Liebesbrief sieht man etliche Rechtschreibfehler mit dickem Stift markiert und korrigiert. „Das war ich selbst. Ich hatte eine 5 in Deutsch und wollte mir wohl beweisen, dass ich es trotzdem kann.“

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