Der Hausbesuch: „Jagen, Sex, Tiere essen“
Vor sechs Jahren schoss Katja Klaetsch aus Brandenburg ihren ersten Bock. Sie ist Jägerin – und, um Geld für Zigaretten zu haben, auch Angestellte
Früher lief sie immer mit, wenn Männer auf die Jagd gingen. Seit sechs Jahren hat Katja Klaetsch selbst einen Jagdschein und ist eine von zwei Jägerinnen im brandenburgischen Prützke.
Draußen: Märkischer Sand wurde vom Wind einmal in die Parkbuchten getrieben und ist am Rande der Dorfstraße liegen geblieben. Etwas Rasen dazwischen. Ein Wimpernstylist, die Kneipe „Zur Pferdetränke“, gleich daneben ein Zigarettenautomat. Das Schwarze Brett ist voller Bekanntmachungen. Beim Osterfeuer komme das ganze Dorf zusammen. Sonst herrsche in dem 400-Einwohner-Ort eher „Cliquenbildung“: Rentner, Volleyballer, Jäger. Zu denen gehört Katja Klaetsch. Man muss sich ordentlich strecken, um über ihr Tor in den Vierseitenhof schauen zu können.
Drinnen: Scheunen mit grünen Türen. Schwalben zwitschern. Es riecht nach Grillanzünder. Mitten im Hof steht ein Holzpavillon, wie ein Wohnzimmer für Leute, die lieber draußen sind. Ein Pavillon mit Teppich, Plastikstühlen, Zapfanlage. An einem Geweih, das mal ein 200 Kilogramm schwerer Hirsch trug, hängt ein Besen. Das Handy auf dem Tisch klingelt. „Wie, ein Hirsch ist abgehauen? Alter!“ Katja Klaetsch zieht an ihrer Zigarette, ihre Füße wippen dazu. Alltag.
Katja Klaetsch: Schwarzes Polohemd, getuschte Wimpern und ein Tattoo auf der Wade, ist „Angestellte“, sagt sie und macht mit ihren Fingern in der Luft Anführungszeichen. „Angestellte“, ein komischer Begriff für eine Jägerin. Eine Silberkette mit einem Geweih baumelt um Katja Klaetschs Hals. Auch Sonntag wäre kein Tag, um auszuschlafen, sagt sie. Die 46-Jährige steht um halb sechs auf: „Ich kann hier mit der Waffe einfach loslaufen“, dann stehe sie in ihrem Revier. Sie verschränkt die Arme und deutet mit dem Kopf nach rechts, raus aus dem Hof.
Ihr Gebiet: Das sind 150 Hektar. Es gibt Rehe, Wildschweine, Waschbären, Marder („Ich freue mich jeden Morgen, meinen einzigen Fasan zu sehen“). So, wie sie die Bewohner im Dorf kennt, so kennt sie auch all ihre Tiere im Revier. Hirsche, die hier aufgewachsen sind, kämen immer wieder nach Hause. Nur in der Paarungszeit würden sich manchmal Gäste einschleichen. Auch okay, solange sie nicht zu viele würden. Darum gehe es schließlich bei der Jagd: „Sich kümmern“.
Der Wald: Wird sie gefragt, warum sie jagt, dann antwortet sie „um das Im-Wald-Sein zu spüren“. Dazu Dunkelheit, Mondschein. Stundenlanges Warten auf der Kanzel, bis eine Wildsau vorbeikommt. Handyspiele und Rauchen oder die Augen zumachen, „manchmal denke ich einfach nichts“. Mit dem Geräuschverstärker auf dem Kopf hört sie den Holzwurm über sich und das Wild rascheln. „Dann weißt du, da ist ein Tier. Es hat dich schon lange gesehen, bevor du es gesehen hast.“ Der große Moment: nach Hause kommen und erzählen, dass man sich freue, Wild erlegt zu haben und es „aufzubrechen“ und dabei zu denken: „irgendwann esse ich dich auf. Dit is cool.“
Jagen, um zu essen: „Wenn ich rausgehe, habe ich einen Plan.“ Katja Klaetsch zählt auf: „Gulasch, Roulade, Wurst“. Im Partyraum feiert sie Geburtstage, daneben liegt die Küche, „dit mit dem Catering is neu“. Zusammen mit ihrer Mutter kocht sie für alles, „was um den Kirchturm rum ist“. Noch immer steht Geschirr an langgezogenen Tischen. Eine Dartscheibe dahinter an der Wand. Auf Regalen ausgestopfte Tiere, an den Wänden Abzeichen neben Wildschweinfellen („Wir schmeißen nichts weg“). Jeder Bock habe eine Geschichte, notiert hinter dem Holz, auf das das Geweih genagelt ist.
Mitgefühl: „Natürlich entscheide ich über Leben und Tod.“ Totschießen sei aber kein schönes Wort dafür. Katja Klaetsch stemmt die Hände in die Hüften. Sie spricht lieber von „erlösen“. Wenn mitten in der Nacht die Polizei anruft, ein Wild ist angefahren worden, dann rückt sie mit dem Messer an. Eine ehrenvolle Aufgabe.
Familienbetrieb: Der 24-jährige Sohn lehnt am Pavillongeländer. Er hat seiner Mutter Kaffee gebracht. Auch er ist bei der Jagd dabei, so wie der Sohn aus erster Ehe, der mit der Schwiegertochter im Haus wohnt („die kann mittlerweile auch ne Sau ausnehmen“). Auch die Hunde Alfred und Frau Bürste würden mithelfen. „Sie beschützen mich“, sind „Familienmitglieder“. Die ganze Jagd ist ein Familienbetrieb. Katja Klaetschs Mann ist Jäger, seit er sechzehn Jahre alt ist.
Die Liebe: Er war hartnäckig, sagt Klaetsch über ihr Kennenlernen. Jeden Tag kam er in die Kneipe und bestellte Apfelschorle. Als sie ein Paar werden, zieht sie zu ihm auf den Hof. Ihr Geheimnis von zwanzig Jahren Ehe, in denen es nur drei „Brüller“ gab: nicht immer das letzte Wort haben zu müssen. „Den Schalter, den muss man sich erarbeiten.“
Der Schalter: Katja Klaetsch macht eine Bewegung, als würde sie eine imaginäre Fliege an ihrer Schulter verscheuchen. „Der Schalter“, das bedeute, auch mal den Mund zu halten und zurückzustecken. „Der Alltag muss halt gemeistert werden.“ Sie kocht, er baut ihr einen Ofen, sie wäscht. Teamwork. „Alle schreien immer nach Gleichberechtigung, aber wir wissen doch alle, dass die Frauen die Fäden ziehen.“
Drinnen, nur wenn nötig: Die Erdbeer-Plastikclocks an ihren Füßen schleifen auf dem Boden. Wäsche flattert im Wind. Dann steht Katja Klaetsch im Wohnzimmer: Ein Büffelkopf an der Wand, eine Wohnzimmergarnitur, darauf ein Buch mit dem Titel: „Jagen, Sex und Tiere essen“. Orchideen auf der Fensterbank. Hier sei sie nur im Winter. Sie nimmt eine ihrer wichtigen Erinnerungen von der Wand: Ein Geweih von einem Bock, etwa zwei Jahre alt, sie fährt mit der Hand an ihre Hüfte: „So groß etwa“.
Der erste Bock: Das war vor sechs Jahren, Katja Klaetsch hat gerade ihren Jagdschein gemacht. Das „grüne Abitur“. Sie sitzt das erste Mal alleine in der Kanzel, als der Bock kommt: „Die Waffe hat gewackelt.“ Dann habe sie geschossen. „Da lag er. Ich bin runtergeschlichen und wieder hoch.“ Erst einmal eine rauchen. Ganz anders, als auf eine Zielscheibe zu schießen. Sie ruft ihren Sohn an: „Du musst hier herkommen“. Er war es auch, der den Bock zum Auto trägt: „Er sah aus wie ein Schwein.“
Das „Jägervolk“: Vor dem eigenen Jagdschein sei Katja Klaetsch einfach immer mitgelaufen: „Wir haben immer Krawall gemacht.“ Danach in die Kneipe. Darüber sprechen. Sie ist auch dabei, wenn ein Tier seinen Bruch bekommt. So nennt man den „letzten Bissen“, meist ein Tannenzweig oder Zapfen („die letzte Ehre“). Katja Klaetsch lernt, das Jagdhorn zu blasen: ein Ton für jedes Tier. „Wir Jäger sind halt ein eigenes Volk.“ Was sie daran mag: den dörflichen Zusammenhalt. Das habe sich verändert.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Früher: Sie wuchs in Prützke auf, in einer Zeit mit „klaren Bildern“: Kindergarten, Schule, Ausbildung, Ferienlager und einmal die Woche Fahnenappell, „und wenn die Straßenlaternen angehen, bist du zu Hause“. Heute wüsste höchstens das Telefon, wo du bist. Auch sie hatte einen „Ausbruch“. Mit 16, als die Mauer fällt, will sie abhauen. Sie schafft es bis Braunschweig. Dort wartet der Onkel schon am Bahnsteig und bringt sie wieder nach Hause. Ob sie mal weg war? Sie zieht an ihrer Zigarette und überlegt mit gespitztem Mund: Ja, ein Mal, mit 17, ist sie mit dem Bus nach Spanien gefahren.
Angela Merkel: Sie hätte einen guten Job gemacht, obwohl alle schimpfen. Ob Merkel auch einen „Schalter“ hat? „Nein“, sie mische sich ein. Katja Klaetsch wünscht sich mehr Politiker „mit Eiern“ – und klare Regeln, auch für Ausländer. „Die sollen ja ruhig ihr Kopftuch tragen, aber auch wissen: Ihr wohnt in Deutschland.“ Probleme gäbe es viel mehr in Berlin-Neukölln, wo sie nur selten zu Besuch ist. In Prützke würden nur zwei Rumänen leben. Eine ruhige Welt: „Ich will gar nicht woanders sein.“
Zufrieden: „Ich habe genug von allem“, sagt Klaetsch: Gehalt, um Zigaretten zu kaufen, die Hunde, ihren Mann, den Fernseher: „Ich freue mich, auf dem Hof herumzuschleichen, gehe jagen, alle vierzehn Tage blase ich das Jagdhorn, dann bin ich glücklich.“ Ein fettes, schönes, saftiges Steak und die Welt sei für sie in Ordnung.
Und in zehn Jahren? „Na Jagen, Sex und Tiere essen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour