Der Hausbesuch: „Es kommt auf das Wie an“
Jenz Mau hat ein Menstruationsmalbuch entworfen und spielt in alternativen Pornos mit. Nun will sie selbst einen drehen.
Da ist eine, die hat gesucht und gesucht in den vergangenen Jahren, in ihrer Studienstadt, im „polyamourösen Köln“ und in französischen Städten unterwegs in ihrem Wagen „Ulle“. Jenz Mau war auf der Suche nach ihrer Berufung, probierte alle möglichen Jobs aus. Bis ihr auffiel, dass sie schon längst das tut, was sie vom Leben will. Sie erschafft, drückt sich aus, will verändern. „Ich bin Künstlerin.“
Draußen: Jenz Mau wohnt in einem schwarzen Wagen, selbst ausgebaut. Momentan steht der in einer Wagensiedlung. Kein Haus, aber ein Zuhause. Also Hausbesuch. „Aber ich sage manchmal, wenn ich mit Freunden unterwegs bin: Ich geh mal nachwagen.“
Drinnen: Auf acht Quadratmetern ist alles, was sie besitzt. Über der Arbeitsfläche der kleinen Küchenzeile stehen fünfzehn Teedosen mit losem Tee in zwei Reihen; so verstaut, dass nichts herunterfliegen kann, wenn das Auto mal in Bewegung ist. Gegenüber ein Sofa, neben dem Ofen. Das Bett ist groß und darunter viel Stauraum, „da sind zum Beispiel im Sommer die Winterklamotten drin, und andersherum.“ Im Schrank ist nicht so viel Platz. Zieht sie ein Holzbrett aus dem Bett, dann hat sie einen Tisch. Auf dem steht jeden Morgen um kurz nach sieben eine Tasse Tee (den trinkt sie literweise jeden Tag) und Porridge. In den kalten Monaten hat sie kurz zuvor den Ofen eingeheizt – mit selbst gehacktem Holz, versteht sich. Morgens macht sie Yoga. „Das ist im Sommer draußen einfacher.“ Das versteht man auch.
Der Name: Jenz Mau („Jenz englisch ausgesprochen, das machen in Deutschland alle falsch“) ist ein Künstlername. Die anderen BewohnerInnen der Wagensiedlung nennen sie anders, nochmals ein anderer Name steht in ihrem Pass, den verrät sie aber nicht. Der Name Jenz lässt sich geschlechtlich nicht einordnen („deshalb fand ich den gut“). Mau („hört sich schön und weich an“) ist ihr Wort für die Vagina. Das hatte sie sich damals als Teenager mit ihrer Schwester ausgedacht, weil sie fanden, dass es dafür kein Wort gibt, das man gern aussprechen will. „Im Deutschen sind die Bezeichnungen entweder medizinische Begriffe oder Schimpfwörter.“
Ein Malbuch: Man könnte denken, dass sich hier schon andeutet, was vor drei Jahren in der Idee eines Menstruationsmalbuchs gipfelte. Eigentlich war es aber anders: Nach acht Jahren in Köln, wo die mittlerweile 33-Jährige in allen möglichen Jobs (Fahrradmechanikerin, Tätowiererin, Betreuerin für Menschen mit Behinderung) gearbeitet hatte, war da ein Gefühl, „dass das jetzt abgeschlossen ist“. Zufällig – so wie vieles in ihrem Leben – hatte ein Freund von ihr gerade alte Wagen repariert und verkauft, einen davon hat sie nun. „Ulle“ ist es geworden; den Wagen hat sie ein Jahr lang in Köln umgebaut: Fenster eingesetzt, einen Ofen eingebaut, Dielen verlegt. „Alles zum ersten Mal und allein, fast ohne Hilfe.“
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Die Reise: Mit dem Wagen war sie ein Jahr lang (oder auch: bis das Geld weg war) in unterschiedlichen Städten unterwegs, in Deutschland und Frankreich, an jedem Standort für ein paar Wochen oder Monate. Bevor sie losfuhr, hat eine Freundin ihr eine Zyklus-App empfohlen. Und weil sie sich auf dieser Reise vor allem mit sich selbst auseinandersetzen wollte, hat sie das auch mit ihrer Periode gemacht. „Wenn man so Wissen über sich hat, ermächtigt das.“ So kann sie jetzt beispielsweise einschätzen, an welchen Tagen sie besonders leistungsfähig ist und an welchen eher weniger. „Da draußen gibt es ganz viele andere, die nicht im Frieden sind mit sich und ihrer Menstruation. Oft ist die Periode mit Scham und Ekel verbunden.“ Schlimm findet sie das. Aus ihrer neu erlernten Gelassenheit im Umgang mit ihrer Periode ist ein Menstruationsmalbuch entstanden; die Zeichnungen hat sie über Monate an dem kleinen ausziehbaren Tisch in ihrem Wagen erstellt. Mittlerweile denkt sie über eine zweite Auflage nach. Trotzdem ist die erste Reaktion, wenn sie von dem Malbuch erzählt, oft Lachen „oder auch mal ein dummer Spruch“, meist jedoch zunächst Irritation.
Irritiert: Als sie selbst mal irritiert war, saß sie in einer Bar in Köln, ein Glas Wein in der Hand. „Mit einer lustigen Bombenstimmung“ kam die Kunsthistorikerin und Regisseurin Maike Brochhaus in der Bar auf sie zu. Kurz zuvor war Jenz Maus Beziehung in die Brüche gegangen, mit dem Mann, wegen dem sie nach dem Studium nach Köln gezogen war. Die Regisseurin in der Bar sagte zu ihr: „Hey, ich mache da so ein Porno-Projekt, vielleicht hast du ja Lust mitzumachen“, und drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand. „Zunächst war ich, klar, irritiert. Aber eigentlich hat das ganz gut in meine Lebensphase gepasst, kurz nach der Trennung und im polyamourösen Köln. Am Ende des Abends überwog die Neugier, das auszuprobieren.“ Kaum ist sie aus der Bar zurück in ihrer Kölner WG, schreibt sie der Regisseurin eine Mail: „I’m in.“
Alternativer Porno: Gelegentlich ist sie also Darstellerin in alternativen Pornos. Wobei der Film der Regisseurin in der Bar, „häppchenweise“, „eher ein Film über Sexualität war als ein Porno“. Der erste Porno kam dann erst zwei Jahre später („wieder eine Herausforderung“). Gerade schreibt sie an einem Drehbuch für einen eigenen – ein großes Projekt für 2019. Das tut sie aus der Überzeugung, dass „die Darstellung von Sex und Nacktheit an sich nichts Schlechtes ist, es kommt auf das Wie an“. Und fasst damit den Ansatz des alternativen oder feministischen Pornos zusammen: Der Mainstream-Pornofilm ist oftmals frauenverachtend, mit Gewalt verbunden, bedient und zeigt die männliche Lust. Die alternative Porno-Szene will dem mit einer anderen Erzählweise Gegenbilder entgegensetzten. „Ich wage mal die Prognose, dass das auch irgendwann der Mainstream werden könnte.“ Das sehe man beispielsweise an den großen Erfolgen der schwedischen Regisseurin Erika Lust mit feministischen Pornos und der Tatsache, dass Mainstream-Pornoseiten teilweise die Kategorie „female friendly“ eingeführt haben.
Sprunghaft: Lange Zeit ihres Lebens hat sie ihr sprunghaftes Wesen, ihr sprunghaftes Interesse an unterschiedlichen Dingen als Schwäche empfunden – sie hatte nichts, worauf sie spezialisiert war. „Mittlerweile denke ich: So wie das bei mir ist, ist das auch eine Stärke. Ich kann mich schnell auf Neues einlassen.“
Das liebe Geld: Nach dem Gestaltungsfachabi hat sie Kunst studiert. Sie ist die Erste in der Familie, die eine Universität besucht hat. Nach der Uni dachte sie sich: „Ich mache Kunst; aber ich brauche noch ein zweites Standbein, denn ich muss ja irgendwie Geld verdienen.“ Zum Beispiel als Fahrradmechanikerin. „Das hat mir Freude gemacht, weil die Arbeit Freude bei demjenigen auslöst, der das Fahrrad heile wieder zurückbekommt.“ Aber dann doch die Erkenntnis der ausgebildeten Fahrradmechanikerin: „Ich bin eigentlich keine.“ Nicht mit dem Herzen. Erst vor ein paar Wochen hat sie sich selbst zugestanden: „Ich bin Künstlerin, ich bin Kreativschaffende. Das ist, was mich glücklich macht. Ich hab doch schon längst meine Berufung.“ Das funktioniere für sie, weil sie keine hohen Ansprüche habe. Im Wagen zu wohnen, koste viel weniger als ein WG-Zimmer. Sie sei außerdem „kein Shopping-Girl“, auch ganz davon abgesehen, dass sie im engen Wagen sowieso nicht viel Platz für eine solche Leidenschaft hätte. Wobei: eng? Sie liegt manchmal in ihrem Bett, überblickt ihr Heim und denkt: „Wow, was für ein riesiger Raum.“
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