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Der HausbesuchEin Widerspruchsgeist

Zwerge, Riesen, Wassergeister: In ihrer Freiburger Wohnung hat Helga Gebert Märchen illustriert, übersetzt und selbst geschrieben.

Helga Gebert in ihrer Freiburger Wohnung Foto: Margrit Müller

„Z’ Friburg in de Stadt, süfer isch’s un glatt“ – ja, stimmt, was der Mundartdichter Johann Peter Hebel schrieb, Freiburg im Breisgau wirkt sauber und glatt. Das heißt nicht, dass es nicht auch anders geht.

Draußen: Die Moltkestraße liegt hinterm Stadttheater. Die Altbauten sind herausgeputzt, manche mit farbigem Anstrich, alles mit einem Hauch südlichen Flairs. Dazu gibt es alternative Heimeligkeit mit Biokaffee, Fair Trade, plastikfrei der Supermarkt an der Ecke. Kommt hinzu, dass in der Moltkestraße „die Moltkesträßler“ wohnen, wie Helga Gebert sagt. Es klingt wie eine eigene Spezies.

Drinnen: Überall sind Bilder, sind Bücher. An den Wänden hängen ihre Zeichnungen von Märchen, die sie sich ausdenkt und illustriert. Jede Ecke wirkt verzaubert. Marionetten hängen an den Wänden, auseinandermontierte Puppen liegen in Körben, alte Möbel, Teppiche, dazwischen Farben und Pinsel – eine Märchenwelt.

Der Start ins Leben: Helga Gebert ist 1935 in Freiburg geboren, aber – und es ist kein Bedauern in der Stimme – „als ich vier war, wurden mein jüngerer Bruder und ich aufs Dorf verfrachtet“, nach Lausheim. Die Eltern sagten: wegen des Krieges. In Wirklichkeit, meint Gebert, „wollten sie uns loswerden“. Mit einer Nanny und ihrer englischen Großmutter lebten sie fortan auf dem Land. Eine Oma sei das aber nicht gewesen, sondern eine Lady am falschen Ort, „eine Teetasse im Kuhstall“.

Märchen: Helga Gebert musste jeden Tag mit der Oma in den Wald. Das aufrechte Gehen wurde geübt. Dafür musste das Mädchen einen Stock hinter den Rücken legen und in ihre Ellbogen klemmen. Auch wenn die Großmutter „unmöglich war, und dazu noch hitlerbegeistert“, hat sie doch etwas gemacht, wovon Gebert profitiert: Sie hat ihr auf Englisch Märchen vorgelesen. „Ich hab kein Wort verstanden.“ Was gut war, denn so lernte sie, sich eigene Geschichten auszudenken.

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Die Eltern: „Viermal im Jahr kamen die Eltern angereist wie ein Königspaar“, erzählt sie. Jedes Mal hatte sie für ihre Mutter Bilder gemalt. „Die guckte drauf, sagte ‚Ach wie schön‘ und legte sie zur Seite. Sie hatte meinen Bruder auf dem Schoß, der schielte und war kränklich.“ In Freiburg hatten die Eltern ein Malergeschäft, hinterm Thea­ter. Nach den Vorstellungen kamen die Schauspieler dort vorbei, und es wurde ­gefeiert. „Meine Eltern führten ‚das Haus zum lustigen Pinsel‘.“ Nach dem Krieg hat Helga Gebert ihre Eltern oft gefragt, ob ihnen egal war, dass so viele Juden, die am Thea­ter waren, dann verschwunden waren. „Ach, wir dachten, die kommen nach Madagaskar. Wir hatten Kinder. Wir konnten nicht nachfragen.“ Das habe sie wirklich geprägt: „So wie meine Eltern werden? Niemals.“

Ein wenig Liebe: Immerhin war in Lausheim auch Tante Ursula mit ihren drei Kindern. Der Mann war Korvettenkapitän und im Krieg. „Tante Ursula war eine kühle Person“, aber Künstlerin. Sie zeigte ihrer Nichte, wie Malen geht, nahm sie mit, wenn sie in der Natur zeichnete. „Da hab ich Aufmerksamkeit bekommen – und bestimmt auch ein bisschen Liebe.“

Schule? Nein danke: Nach dem Krieg darf Gebert wieder nach Freiburg. Obwohl sie auf dem Dorf in der Schule gut gewesen sei, kommt sie in der Stadt nicht mit und wird am Ende auf die Waldorfschule geschickt, „die galt als Dubelschule damals“. „Dubel“, badisch für „Idiot“. Mit 14 reichte es ihr, „ich habe keinen Schulabschluss“. Die Mutter schickte sie dann als Au-pair nach England. Sie fand es nicht schlimm bei den Stapeltons, einer Offiziersfamilie. Die hatten nichts gegen ein deutsches Fräulein, obwohl der Krieg doch erst fünf Jahre her war.

Malutensilien Foto: Margrit Müller

Der Traum von der Welt: Mit 15 war Gebert wieder in Freiburg und nahm sich vor, jedes Vierteljahr in ein anderes Land zu reisen, aber „der Professor Widmer von der Kunstakademie ist einmal vorbeigekommen“, erzählt sie, und habe zu ihr gesagt: „Mädchen, jetzt schaust du dir mal unsere Schule an.“ Sie macht’s und sieht sofort, „dass da lauter schöne Männer waren“. Das andere Geschlecht interessierte sie. Sie blieb. Immerhin kam sie so nebenbei zu einer Ausbildung als Künstlerin, als Illus­tratorin.

Fabelwesen: Helga Gebert hat unzählige Märchenbücher illustriert – von Zwergen, Wassergeistern, Riesen, Drachen. Einige hat sie selbst geschrieben. Auch hat sie Märchen aus aller Welt illustriert. Manche hat sie erst übersetzt. Sie hat Griechisch, Spanisch, Italienisch dafür gelernt. Und ihre Lieblingssprache Arabisch. Die meisten Bücher erschienen im Beltz Verlag. Viele Kinder werden einmal ein Buch von ihr in der Hand gehabt haben, aber nur wenige wissen, was für ein Widerspruchsgeist sie da in Traumwelten führt.

Atomkraft? Nein danke: „Ich war lange mit einem Architekten verheiratet“, sagt sie. Die Familie lebte auf einem Bauernhof westlich von Freiburg, es gibt drei Kinder, die der Mann in die Ehe bringt, und sie bekommen drei gemeinsame dazu. Später wird sie noch zwei adoptieren. Anfang der 70er Jahre erfährt sie von dem Plan, ein Atomkraftwerk bei Wyhl am Kaiserstuhl zu bauen, und weil sie Atomenergie unverantwortlich findet, ist klar, was zu tun ist. „Meine armen Kinder“, sagt sie, „bald jedes Wochenende mussten sie mit zum Demonstrieren.“ Das Kernkraftwerk in Wyhl wurde nicht gebaut – der Widerstand war zu groß. „Das AKW in Fessenheim“, es liegt auf der französischen Rheinseite, „hatten wir vorher aber verschlafen.“

Trennung: Ihr Mann hatte andere Träume. Er hatte in Namibia eine Farm gekauft, wollte auswandern. „Aber ich wusste, da geh ich ein. Die Nachbarn dort, weiße Farmer, wie die drauf waren, wie die redeten, Sätze hab ich gehört, solche: ‚Die Schwarzen haben was für sich, sie sind heiter wie Kinder.‘ “ Sie schüttelt den Kopf. „Entscheide dich“, sagte der Mann. „Ich halt’s da nicht aus“, sagte sie. 1988 war die Scheidung. Sie zieht zurück nach Freiburg, ins Mietshaus ihrer Eltern. Eine Weile arbeitet sie als Gestalttherapeutin in einer Klinik. Und sie reist in ihre Traumländer, Ägypten, Indien. Im Jemen würde sie gern bleiben. „Damals war das ein Märchenland. Jetzt ist es kaputt.“

Bilder von Helga Gebert Foto: Margrit Müller

Topfdeckel: Als es in den 90er Jahren auch in Freiburg Angriffe auf Flüchtlingsheime gibt, schließt sie sich Frauen an, die sich nach Fußballspielen mit Topfdeckeln vor Flüchtlingsheime stellen, um Angreifer in die Flucht zu schlagen. Weil sie da schon etwas Arabisch kann, lernt sie schnell Flüchtlinge kennen, ist bald mit deren Nöten konfrontiert, hilft, wo sie kann, und merkt, dass sie das nicht allein schafft, dass sie sich vernetzen muss. Jemand sagt: „In der Egonstraße ist eine Gruppe, die macht auch so was. Aber Vorsicht, die sind wirklich linksradikal.“

Solidarität: „Saga“ heißt die Gruppe: Südbadisches Aktionsbündnis gegen Abschiebungen. Helga Gebert geht hin, findet die Solidarität der Leute mit Flüchtlingen wunderbar, macht über Jahre mit, obwohl die meisten dort viel jünger sind als sie. Sie begleitet Flüchtlinge, übersetzt, findet Anwälte, findet Ärzte, findet unkonventionelle Lösungen. Adoption ist eine. Sie ist fast sechzig, als sie Abu adoptiert, einen Teenager, dessen Eltern von Rebellen massakriert wurden. Weil sie meint, „einer allein, der mir ausgesetzt ist, das ist nicht gut“, adoptiert sie auch Usman. Sie müssen zusammenwohnen, damit die Adoption anerkannt wird. Usman lebt heute im selben Haus wie sie mit seiner Frau und vier Kindern.

Herz und Knochen: Inzwischen hat sie aufgehört mit der Flüchtlingsarbeit. Das Herz ist aus dem Takt und die Knochen sind verschlissen. „Ich vermisse die Arbeit bei Saga“, sagt Helga Gebert. Aber malen geht noch. Jeden Tag sitzt sie am Schreibtisch und illustriert die Erlebnisse des kleinen Drachen, der die Welt besser machen will. „Niemand darf mich dabei stören.“

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