Post-Brexit Verhandlungen: Der Gipfel der Annäherung
In London vereinbaren UK-Regierungschef Starmer und EU-Kommissionschefin von der Leyen bessere Zusammenarbeit. Es bleibt bei Absichtserklärungen.
Die Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft bekräftigt neue Möglichkeiten für die Rüstungsindustrie. „So schnell wie möglich“, sagte Ursula von der Leyen, sollte die britische Beteiligung am gerade erst beschlossenen gemeinsamen EU-Rüstungsbeschaffungsprogramm Safe (Security Action für Europe) Wirklichkeit werden. Damit die britische Rüstungsindustrie tatsächlich aus diesem Programm Aufträge erhalten kann, müsste aber noch Weiteres wie der britische finanzielle Beitrag vereinbart werden. Vor allem Frankreich hatte sich lange gegen eine britische Teilnahme gesperrt.
Besser wird man auf alle Fälle in Fragen der Marinesicherheit zusammenarbeiten, womöglich aufgrund von Russland zugeschriebenen Sabotageaktionen, sowie im Katastrophenschutz und in der Pandemiebekämpfung. Kern der gemeinsamen Erklärung „Common Understanding“ ist ein angestrebtes Abkommen über gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, kurz SPS-Abkommen, das den reibungslosen Handel mit tierischen und pflanzlichen Produkten ermöglichen soll.
Indem Großbritannien sich in diesen Bereichen an geltende und zukünftige EU-Regeln hält, entfallen umfangreiche Kontroll- und Nachweispflichten und der Zugang britischer Lebensmittel zu EU-Märkten wird vereinfacht, betonte Starmer. Vorgesehen ist, dass das britische Parlament neue EU-Regelwerke auch ablehnen kann, was dann allerdings ein Ende dieses Abkommens bedeuten könnte.
Die Details hierzu, wie zu allen anderen Themen, sind noch auszuhandeln – trotzdem spricht die rechte Opposition schon von „Ausverkauf“ und „Unterwerfung“. Denn als Gegenleistung für ein unbefristetes SPS-Abkommen macht Großbritannien ein weitreichendes Zugeständnis: EU-Fangflotten behalten bis 2038 ihre zuletzt geltenden Fischereirechte in Großbritanniens Territorialgewässern, die jetzt 75 Prozent der vor dem Brexit geltenden Fangquoten ausmachen. Der schottische Fischereiverband nennt das katastrophal, die Konservativen unter Kemi Badenoch und Reform UK unter Nigel Farage schäumen. Starmer rechtfertigte es mit dem Hinweis, für britische Fischer sei ein SPS-Abkommen überlebenswichtig, da Großbritannien 70 Prozent seiner Meeresprodukte in die EU verkauft.
An der Frage der Fischrechte wäre laut Presseberichten fast alles geplatzt. Erst am Montag früh machte Starmer das Zugeständnis eines Weiterlaufens über zwölf Jahre, um das Thema vom Tisch zu bekommen; die bisher gebotenen höchstens vier Jahre waren für die EU-Seite nicht ausreichend gewesen.
Starmer sagte, das Übereinkommen gehe über Handel hinaus, indem es auch etwa Energiesicherheit, Grenzsicherheit, Reisemöglichkeiten für junge Menschen und Datenaustausch miteinbeziehe. Doch in vielen Punkten sind die Vereinbarungen überraschend unverbindlich. Die meisten Dinge sind weder beschlossen noch steht fest, wie und wann sie beschlossen werden, sondern es heißt lediglich, dass bestimmte Ziele erreicht werden „sollten“ und dass man zu bestimmten Themen „gemeinsame Interessen“ und „gleiche Ansichten“ habe. Ansonsten will man „Austausch fortsetzen“, „Chancen ausloten“, „Schwierigkeiten prüfen“, „Entwicklungen ermutigen“ oder „Vereinbarungen vorschlagen“.
Von einer „Road Map“ ist die Rede
Der portugiesische EU-Ratspräsident Antonio Costa gab an, diese Vereinbarungen seien die ersten von vielen. Von der Leyen spricht von einer „Road Map“, aber Zeitpläne enthalten die Texte nicht. So ist vieles, was als beschlossen dargestellt wird – dass britische Urlauber in Zukunft bei der Einreise in die EU an Flughäfen E-Gates benutzen dürfen, oder die Rückkehr Großbritanniens ins EU-Hochschulprogramm Erasmus – lediglich eine Absichtserklärung. Angestrebt wird auch eine verbesserte polizeiliche Zusammenarbeit, etwa in der Bekämpfung der illegalen Migration.
Starmer hofft, dass ein neuer Ton die Dinge voranbringt. Es sei an der Zeit, von den alten Debatten Abstand zu nehmen und nach vorne zu schauen, sagte er. Doch damit scheint er bei der Opposition auf taube Ohren gestoßen zu sein, und in seiner Partei steht er vor großen Herausforderungen. Manche Labour-Politiker fürchten eine weitere Stärkung der EU-Gegner bei Reform UK. Und es bahnt sich eine massive parteiinterne Revolte gegen die von der Regierung beschlossenen Sozialkürzungen an.
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