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Der Fortsetzungsroman: Kapitel 11Auf Abwegen

Was tun bei einer Schreibblockade? Da helfen nur gute Freunde.

Mütterchen in einer ganz frühen Rollen 1936 Bild: Archiv Streisand

Meine beste Freundin kommt zu Besuch. „Na“, sagt sie, „Schreibblockade?“, noch bevor sie ihre Jacke in die Ecke gefeuert und die Schuhe ausgezogen hat. „Kommstn darauf“, nörgele ich zurück. „Das seh ich an deinem Gesicht“, sagt sie, „wenn du nicht weißt, was du schreiben sollst, fängst du an, Pickel auszudrücken, die gar nicht da sind. Solange, bis du wirklich welche hast.“ – „Manno“, sage ich.

Wir kochen Kaffee. Meine Freundin Frieda macht was Richtiges. Sie ist Kinderärztin. Sie macht Babys gesund. Sie sticht Nadeln in Venen, die nicht mal halb so dick sind. Früher hat sie an ihren eigenen Besenreißern geübt, die hatten ungefähr die Größe der Säuglingsblutgefäße. Mittlerweile kriegt sie es aber ohne Wimpernzucken hin.

„Wir haben grad wieder eine Tüte Mehl auf Station“, erzählt Frieda. Mehltüten sind bei Frieda Frühgeborene, die unter 1.000 Gramm wiegen. „Gestern musste ich ihr einen Schlauch legen“, sagt sie. Der Kaffee wärmt die kalten Hände. Frieda schnorrt bei Paul eine Kippe. Er hat extra für sie eine Schachtel in seinem Zimmer im Bücherregal deponiert. Die hat mal irgendwer bei uns vergessen. Frieda hat eigentlich mit Rauchen aufgehört.

Wir gehen auf den Balkon.

„Und, Leachen?“, sagt Frieda und zündet die staubige Kippe an, „Was quält dich?“ Sie muss husten, so alt ist der Tabak. „Ach“, sage ich, „der Roman. Ich hab letzte Woche eine Gliederung geschrieben. Jetzt weiß ich, was passieren wird. Ich langweile mich. Wozu soll ich es denn jetzt noch hinschreiben? Jetzt weiß ich ja schon alles.“ – „Schreib doch was anderes“, sagt Frieda und schnippt die Asche weg. „Mhm“, sage ich und stochere in den Blumenkästen rum. Zumindest die lassen darauf schließen, dass ich doch ganz ordentlich gearbeitet hab in letzter Zeit. Je mehr ich schreibe, desto weniger Aufmerksamkeit kriegen meine Pflanzen. Ich bin nur froh, dass Kinder Geräusche machen, ansonsten könnte ich eigentlich nicht verantworten, jemals welche zu kriegen. „Dein Kind wird bestimmt mal viele und laute Geräusche machen“, sagt Frieda zärtlich.

„Weißt du, was ich überlege“, sage ich. „Na?“ – „Ob sie schwanger war zwischendrin.“ – „Mütterchen?“ – „Ja. Wenn die so viel gevögelt haben. Keine Pille. Keine Kondome. Ich weiß, dass sie mindestens eine Abtreibung hatte.“ – „Von deinem Opa?“ – „Vorher. Von ihrer großen Liebe. Auch ein Jude. Der ist 1938 in die USA emigriert. Ein Arzt. ,Hat reich geheiratet‘, steht in meinen Aufzeichnungen. ,Der war ein hervorragender Liebhaber‘, hat sie immer gesagt. Als sie schon sehr alt war, hat sie angefangen, von diesem Kind zu reden. Das sie hat wegmachen lassen. Über alles andere hat sie immer geredet. Nur darüber nicht. Nicht vor mir.“ – „Ich weiß nicht“, sagt Frieda und drückt die Zigarette aus. „Dein Opa war doch im KZ.“ – „Nee“, sage ich, „Zwangsarbeiter war der.“ – „Okay“, sagt Frieda, „aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die besonders viel zu essen hatten. Als Zwangsarbeiter. Und Mangelernährung ist nicht gut für Spermien. Apropos Spermien …“ Wir ziehen wieder in die Küche. Der Kaffee hat sich der Außentemperatur zuletzt bedrohlich angenähert. „… Jens hat doch neulich ein Spermiogramm machen lassen, ne?“ – „Ja!“, sage ich, „Was’n rausgekommen?“

Jens ist der Freund von Frieda. Die beiden sind grad mit Familienplanung beschäftigt. Mal gucken, ob es klappt. Frieda hatte vor drei Jahren Krebs. In unserem Alter. Nein, es hatte nichts mit dem Rauchen zu tun. Trotzdem hat sie damals aufgehört und raucht jetzt manchmal aus Spaß eine. Chemotherapien sind jedenfalls auch nicht gut für die Fortpflanzung. Frieda war eine zeitlang sehr verzweifelt deswegen. Dann hat sie die Frauenärztin gewechselt. Ihre neue hat gesagt, sie hätte schon drei Patientinnen mit derselben Krankheit und die würden jetzt alle einen Kinderwagen schieben, ganz ohne Hormontherapien.

Das erste, worauf die Frauenärztin bestanden hat, war Jens’ Spermiogramm. „Die Frauen suchen immer die Schuld bei sich“, hat die Ärztin gesagt, „dabei ist der Mann vielleicht einfach nur ein Kiffer.“ THC wirkt auch auf Spermien beruhigend. Waren die vorher noch voller Tatendrang, so: „Yeah, Eizelle, wir kriegen dich!“, sind die Spermien von Kiffern ja eher so drauf:

– „Boah, Alta. Krass. Guck ma. Da hinten die Eizelle. Lass ma da hin, ey!“

– „Ja. Gleich. Alta, mach ma nich so’n Stress! Lass ma erstma hinsetzen. Ich bau noch einen.“

Jedenfalls war Jens also beim Urologen und hat dort in einen Plastebecher ejakuliert. Das war vor sechs Wochen. „Und dann“, sagt Frieda, „passierte erstmal gar nichts. Jens hat ab und zu bei dem Urologen angerufen und nach dem Ergebnis gefragt, wurde aber immer vertröstet. Und letzte Woche meinten die in der Praxis, das sei ja wirklich lange her, sie würden jetzt mal nachfragen. Und dann riefen die zurück...“ Frieda macht eine Kunstpause und nippt am kalten Kaffee.

„Nu sag!“, sage ich. „Das Sperma war verschwunden“, sagt Frieda. – „Was!?“ Fast hätte ich Kaffee Nummer zwei auf den Küchentisch gespuckt. „Ja!“, sagt Frieda, „Krass, oder?“

Ich bin fassungslos. Was mag passiert sein? Die Spermienmafia? Boris Becker?

„Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten“, sagt Frieda, „Entweder war das Zeug so gut, dass sie es an die Samenbank verkauft haben, oder so schlecht, dass es direkt ins Forschungslabor gewandert ist.“ – „Großartig“, sage ich. Aber was mach ich jetzt mit meinem Kapitel? Ich kann ja wohl schlecht über Spermiogramme schreiben …

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