Der Fall Friedrich Wilhelm Siegfried Engel: Reiner Schauprozess
Warum dieses NS-Verfahren nur eine Alibifunktion hat
Es ist 57 Jahre und 353 Tage her, dass in Genua 59 Partisanen kaltblütig erschossen wurden. Den Befehl gab SS-Oberstleutnant Siegfried Engel. Es war Mord. Und er hat es aus Überzeugung getan. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer spricht er von Vergeltung für Verluste der Wehrmacht und davon, dass er nur auf Befehl gehandelt habe. Der Pauschal-Befehl im Hinterkopf war zugleich sein Motor, besonderns gut in den Augen der SS und des Führers dazustehen.
Trotzdem stellt sich die Frage: Was bringt dieser Prozess heute noch? Er wird an Engels seit Kindheit her eingeprägten Überzeugung, mit seinen Verbrechen dem deutschen Vaterland gedient zu haben, nichts ändern. Er weiß auch, so ist seine Kooperation mit der Anklagebehörde zu deuten, dass er nie einen Knast – selbst wenn er verurteilt wird – von innen sehen wird.
Man könnte nun hoffen, dass der Prozess pädagogisch der Aufarbeitung der politischen Vergangenheit Nazideutschlands diente und für die Jugend zum Fanal wird, dass sich so etwas nicht wiederholt. Doch der Schau-Prozess dient nur dem Zweck, der internationalen Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass die deutsche Justiz bis heute nationalsozialistische Mörder und Kriegsverbrecher verfolgt. Und die Umkehr der Medaille ist nach innen die klare Botschaft, dass politisch motivierte Morde keine Sühne kennen.
Es bleibt aber zu hoffen, dass sich die Justiz – die 30 Jahre untätig war – sich da vergaloppiert hat. Der „Schlächter von Genua“ konnte nur 50 Jahre unbehelligt in Hamburg leben, weil seine politisch-ideellen Freunde aus der Nazizeit auch in der Nachkriegsjustiz und Politik das Ruder fest in der Hand hatten. KAI VON APPEN
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