piwik no script img

Der Ehrenmann

Er ist Richter. Und er ist freiwilliger Feuerwehrmann. Nun hat das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen Ralf Fischer vor die Wahl gestellt: entweder Beruf oder Ehrenamt. Die Folgen? Egal

aus Bad Fredeburg HEIKE HAARHOFF

Eine „ganz große Schweinerei“ sei das, falls auch nur irgendetwas von den Vorwürfen stimme, hält Ralf Fischer dem Angeklagten vor. Sich nächtens im Suff von einer fremden Frau „einen Kuss erzwingen zu wollen“, das komme dem Straftatbestand der versuchten Nötigung nahe. Dass das Verfahren dennoch eingestellt werde, habe der Angeklagte nicht seiner angeblich fehlenden Erinnerung, sondern allein der Frau zu verdanken, die ausgesagt habe, der Absicht sei ja keine Tat gefolgt, nachdem sie mit Geschrei und der Polizei gedroht habe. Aktenzeichen erledigt.

Es folgen eine Körperverletzung, zwei Jugendstrafsachen, eine Sachbeschädigung, ein Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten. Dann ist es kurz vor 16 Uhr, im Amtsgericht Bad Fredeburg im Hochsauerlandkreis geht ein ordentlicher Sitzungstag zu Ende, und Amtsrichter Ralf Fischer, 38, schließt die schwere Holztür zweimal von außen ab.

Wer jetzt noch mit einem dringlichen Anliegen kommt, muss trotzdem nicht verzagen: „Fristsachen können am Tage des Fristablaufs bis 24 Uhr fristwahrend eingeworfen werden“, beruhigt ein Türschild. Und im Notfall ruft man Richter Fischer eben privat an oder am besten gleich über die Freiwillige Feuerwehr Fredeburg, das empfiehlt sogar Frau Fischer. Denn die Feuerwehrleute wissen am besten, wo im Hochsauerlandkreis „der Ralf“, wie sie ihn nennen, gerade zu finden ist, schließlich ist der Ralf ihr stellvertretender Bezirksbrandmeister.

So war das acht Jahre lang, und so soll es nicht bleiben. Ralf Fischer muss entweder sein Ehrenamt aufgeben oder seinen Beruf, vor diese Wahl hat ihn das nordrhein-westfälische Justizministerium Anfang des Monats gestellt. Der Grund: das Deutsche Richtergesetz und die darin verankerte Gewaltenteilung. Danach darf und soll ein Richter Recht sprechen, sich aber unter keinen Umständen in die Zuständigkeiten von Gesetzgebung und Polizei einmischen, keine anderweitigen „hoheitlichen Aufgaben“ wahrnehmen also, von wegen richterlicher Unabhängigkeit. So weit, so logisch. Ralf Fischer aber hat weder Gesetze erlassen noch den Job eines Polizisten gemacht noch sich sonst jemals etwas als Richter zuschulden lassen kommen, das bestätigen alle Vorgesetzten. Er ist bloß bei der freiwilligen Feuerwehr, ein engagierter Typ, der ausrückt, wenn der Meldeempfänger ihn nachts um vier aus dem Bett piept, weil auf einer Landstraße Menschen in einem brennenden Wagen zu ersticken drohen. Einer, der von Montag bis Freitag über Ladendiebe, verkrachte Ehepaare und Nachbarschaftsstreitigkeiten richtet und am Wochenende den Feuerwehrnachwuchs ausbildet oder Zeltlager organisiert, alles für 650 Mark Aufwandsentschädigung monatlich, Reisekosten inklusive, was man eben bekommt, wenn man ehrenamtlicher Bezirksbrandmeister ist, doch genau dieser Titel wird ihm nun zum Problem. Denn ehrenamtliche Bezirksbrandmeister, das ist der Düsseldorfer Landesregierung nach nur achtjähriger Kenntnis über die Machenschaften des Ralf Fischer aufgefallen, hat irgendwer irgendwann per Gesetz zu „Ehrenbeamten auf Zeit“ ernannt, und damit sind ihre Tätigkeiten – unabhängig von der Realität – hoheitliche und als solche unvereinbar mit dem Richteramt.

Wer das versteht, aber nicht begreift, der kann sich einen Anruf beim zuständigen Landesjustizministerium sparen. Der Pressesprecher hat Mühe, seine Stimme auf Zimmerlautstärke zu halten. Nur diesen einen Satz: „Es kommt nicht auf die Art der Tätigkeit an, sondern auf die Qualität.“ Fall erledigt.

Das ist ein Schlag gegen das Ehrenamt“, sagt Ralf Fischer, „gerade hier im Hochsauerlandkreis trifft uns das“. Und damit fängt der Fall an.

Hochsauerlandkreis. Man muss das mögen. Die CDU fährt in den Dörfern nahe Arnsberg, Schmallenberg und Brilon bei Kommunalwahlen zwischen 70 und 90 Prozent ein, wer ein Totengeläut von normalen Messeglocken nicht zu unterscheiden weiß, wird schief angeguckt, abends locken der Männergesangsverein, das Deutsche Rote Kreuz und die freiwillige Feuerwehr. Ralf Fischer mag den Hochsauerlandkreis.

Er ist freiwillig hierher zurückgekehrt; nach einem Studium in Heidelberg haben seine Frau und er in Bad Fredeburg, ihrer beider Geburtsort, geheiratet. Die Tochter wird Messdienerin, der Sohn lernt Trompete, die Haustür bleibt abends offen, und Ralf Fischer ist jetzt auch in der CDU, „einfaches Mitglied“, betont er. Das Hochsauerland mag Menschen wie Ralf Fischer.

Man könnte auch sagen: Das Hochsauerland ist angewiesen auf Menschen wie Ralf Fischer. Den es nicht stört, dass ein Job im Eineinhalb-Richter-Amtsgericht Bad Fredeburg nicht eben als Karrieresprungbrett gilt. Der die Region ganz bewusst nicht verlässt, wie so viele andere in seinem Alter. Der Ehrenämter nicht lästig findet und sogar ein Buch über „Rechtsfragen beim Feuerwehreinsatz“ schreibt, „mittlerweile in zweiter Auflage“. Ohne freiwillige Kräfte wie Ralf Fischer wäre der Brand- und Feuerschutz in Bad Fredeburg nicht gewährleistet. Rund 60 Einsätze pro Jahr weist die Statistik aus, doch eine Berufsfeuerwehr kann sich die Gemeinde nicht leisten, der nächste professionell organisierte Löschtrupp befindet sich 100 Kilometer entfernt, „das geht natürlich nicht“, sagt Ralf Fischer.

Und deswegen hat er beschlossen, weiter zu machen in der freiwilligen Feuerwehr, wider alle Drohungen der Landesregierung und mit einem Trick, pardon, einem juristischen Kniff. Ralf Fischer führt in die Feuerwache, ein schmucker, weiß getünchter Bau am Ortsausgang, die Löschfahrzeuge in der Garage nebenan glänzen. Er geht zu einer Vitrine. Dahinter: etwa 50 verschiedene Abzeichen, anzunähen an die Feuerwehruniformen. „So“, Ralf Fischer grinst listig, „hier sehen Sie das Abzeichen vom stellvertretenden Bezirksbrandmeister.“ Das wird er nicht mehr tragen. „Aber hier“, die Hand deutet auf zwei sehr ähnliche Stoffaufnäher etwas weiter rechts, „das sind die Abzeichen für den stellvertretenden Vorsitzenden des Landesfeuerwehrverbands sowie“, er strahlt, „für den Hauptbrandmeister beim Löschzug Bad Fredeburg“ – Ämter, die Ralf Fischer ebenfalls innehat, die aber bislang niemand als hoheitlich definiert hat. „Ich werde künftig also bloß in anderen Uniformen unterrichten und Einsätze fahren.“

Einziger Nachteil: Seine Aufwandsentschädigung ist damit futsch. „Das ärgert mich“, sagt Ralf Fischer und setzt seinen Amtsrichterblick auf, „wegen der Ungleichbehandlung.“ Denn die Ansichten der Landesregierung, was ein Richter ehrenamtlich darf und was nicht, sind wenig konsequent. „Säße ich hier im Gemeinderat, was einem Richter ausdrücklich erlaubt ist, bekäme ich ja auch Aufwandsentschädigung.“ Ralf Fischer hat sich diese Situation schon oft ausgemalt, rein theoretisch freilich: Wie er als Gemeinderat eine „scharfe Hundeverordnung, 500 Mark Bußgeld für jeden, der gegen einen Baum pinkelt“, erlassen und anschließend die Hundehalter vor Gericht zur Kasse bitten würde und wie er dann gegenüber der Landesregierung argumentieren würde, dass seine richterliche Unabhängigkeit gar nicht gefährdet sein könne, weil ein Gemeinderat schließlich keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehme.

Aber so ist es ja nicht, und so soll es auch nie werden. Stattdessen will Ralf Fischer eine Initiative zur Änderung des Richtergesetzes befürworten, vielleicht eine Demonstration der Landesfeuerwehren nach Düsseldorf unterstützen. Und dann ist da noch: Die Regierungspräsidenten sind verpflichtet, je einen Bezirksbrandmeister und dessen Stellvertreter zu benennen. Seit Ralf Fischer sein Amt niederlegen musste, will niemand den Job machen. „Das“, sagt er, „sieht das Gesetz nicht vor.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen