Der Charme von Karstadt: "Das ist nicht meine Abteilung"

Zusammen mit den Warenhäusern ist auch die Kultur der regulierten Arbeitsverhältnisse bedroht. Über sie siegt der Einzelhändlermix mit Dumpinglöhnen.

Vom Wischmop bis zum Stützstrumpf: Produktjagd im M.C.Escher-artigen Labyrinth Kaufhaus. Bild: dpa

So kann das nichts mehr werden: Baute Karstadt seine Warenhäuser zuletzt jeden Monat neu zu verlockenden Themenwelten wie "Die Stadt wird exotisch" oder "Die Stadt wird very british" um, lautet der Slogan derzeit ganz bieder: "Karstadt feiert Deutschland". In Schwarz-Rot-Gold und garniert mit einer überdimensionalen 60. Für 60 Jahre Grundgesetz.

Gibt es Abtörnenderes als bundesdeutsche Geschichte, wenn man zum Shoppen will? Zu erklären ist das aktuelle Motto höchstens als Arschkriechen bei der Bundesregierung, von der Arcandor- und damit Karstadt-Oberchef Karl-Gerhard Eick Staatshilfen knapp unter Milliardenhöhe will. Vielleicht ist es aber auch schon die vorgezogene Bankrotterklärung für die verbliebenen 81 Warenhäuser.

Das kann einem leidtun - oder auch nicht. Immerhin war die Erfindung des Kaufhauses zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Einstieg in die Inszenierung der bunten Warenvielfalt aus aller Welt, die zuvor vor allem den gehobeneren Schichten des Bürgertums vorbehalten war - und damit in den Massenkonsum. So waren es regelrechte Einkaufstempel, die die europäischen Großstädte eroberten. Harrods in London, Gum in Moskau. Und in Deutschland Tietz - später Kaufhof und Hertie - und Karstadt. Es gab für alle die gleichen festen Preise, die zudem wegen der größeren Einkaufsmacht der Warenhäuser gegenüber den kleinen Händlern für viele sogar erschwinglich wurden. Und wer es sich nicht leisten konnte, dem blieb immer noch das Schauen, Anfassen und Träumen.

Abnutzungserscheinungen bekam das Konzept erst, als die Händler nach dem Zweiten Weltkrieg expandierten und aus Warenhäusern Warenhausketten wurden. Denn statt der schicken Konsumtempel der Großstadt, die oft architektonische Glanzleistungen waren, erhielt die Provinzbevölkerung eine Art evangelische Gemeindezentren mit gleichförmigen Fassaden, die heute ebenso zur westdeutschen Fußgängerzone gehören wie das rote Klinkerpflaster. Inszenierung und Verlockung blieben irgendwo zwischen Wischmopp, Wasserkessel und Stützstrümpfen auf der Strecke.

Kein Wunder, dass sich andere Konzepte durchgesetzt haben. Einkaufsgalerien, Shopping Center in den Innenstädten, die die größten Einzelhändler - meist Filialen spezialisierter Ketten - zusammenführen, Gastronomie dazu, ein Fitnessstudio, aber auch ein paar Kinosäle und die Stadtbibliothek. Denn nur Gucken ist heute nicht mehr. Statt von monotoner Weichspülmusik bei Karstadt können sich Kiddies bei New Yorkers von Techno-Mucke beschallen lassen, in der Drogerie gibts Popmusik, und im Deli Klassik.

Worum es einem aber sehr wohl leidtun muss, nein, worüber man sich richtig ärgern muss, ist, dass zugleich mit den Warenhäusern auch die Kultur regulierter Arbeitsverhältnisse im Handel zu Ende geht. Bei Karstadt und Kaufhof haben sich die Beschäftigten über die Jahrzehnte recht ordentliche Bedingungen erkämpft. Sie haben Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sie haben Tarifverträge. "Bei Karstadt können Leute auch mit 60 noch in einer Verkaufsabteilung arbeiten", sagt Karstadt-Betriebsratschef Hellmut Patzelt. Wenn in den letzten Jahren für bessere Löhne gestreikt wurde, blieben die Türen bei Hertie zu, und auch Karstadt machte dicht. Die 400-Euro-Kräfte, die inzwischen jeden dritten Job im Einzelhandel machen, in den Discounter- und anderen Filialen in den Einkaufszentren verkauften weiter. Dabei hätten gerade sie am meisten Grund, sich über ihre Arbeitsbedingungen zu beklagen. Jede neunte Beschäftigte im Einzelhandel verdient inzwischen weniger als fünf Euro die Stunde und muss gleichzeitig wegen der langen Öffnungszeiten so flexibel sein, dass ein Zweitjob auch bei Teilzeit oft nicht drin ist. Damit verglichen sind selbst die Sanierungstarifverträge bei Hertie und Karstadt noch arbeitnehmerfreundlich.

Und irgendwie sollten sich doch auch die KundInnen darüber freuen, wenn sie bei Karstadt mit einer Verkäuferin auf Augenhöhe verhandeln dürfen. Denn sie müssten wissen, dass die gestresste Schlecker-Kassiererin nur deshalb so überfreundlich ist, weil sie jeden Moment mit einem Testkäufer der Geschäftsführung rechnen muss. Wie gern hört man da "Ich hab Pause" "Ist nicht meine Abteilung" oder "Fragen Sie die Kollegin". Die Karstadt-Verkäuferinnen nehmen sich selbst so ernst, wie man als Kundin auch ernst genommen werden will. Dieses Gefühl würde man gerne behalten.

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