: Der Beat der Kindheit
■ Von der U-Kunstausstellung der Kasseler documenta nach Bremen: Gregor Hyllas Tiere bewohnen die Galerie Reinfeld
Wenn jemand wie der Hamburger Kunsthistoriker Prof. Martin Deppner in seiner Ansprache innerhalb weniger Minuten Karl Marx, Kierkegaard, den Dekonstruktivismus, zivilisatorische Paradigmenwechsel und die Entauratisierung des Kunstwerks bemüht, ist Vorsicht angesagt. Wer so Schwergewichtiges auspackt, lädt den Kunstwerken, die er vorstellt, en passant das gesamte Erbe abendländischer Kultur auf. Ob Gregor Hyllas Bienen das tragen wollen?
Zugegeben: Für Bienen sind sie ungewöhnlich groß, riesig sogar. Aber sonderlich stabil wirken sie nicht. Einen meterlangen Plastikrüssel schleppen sie mit sich, beinahe traurig baumeln sie von der Decke der Galerie Reinfeld, ihren Maschendrahtleib mühsam in eine Enge Hülle schwarzgelber Klebebänder gezwängt. Und auch die großformatigen Teddybärzeichnungen an den Wänden, die den Bienen bis zum Ende des Monats noch Gesellschaft leisten, machen nicht den Eindruck, als stünden sie im intensiven Dialog mit Beuysschen Honigpumpen oder anderen Giganten der Kunsttradition.
Die dritte Ausstellung des Galeristen Udo Reinfeld bringt Großstadtluft nach Bremen. Denn der gebürtige Offenburger Gregor Hylla lebt und arbeitet seit vier Jahren in Berlin. Normalerweise tritt er gemeinsam mit „Honey-Suckle-Co.“auf, einer Gruppe junger Berliner KünstlerInnen, zu denen auch Hylla zählt. PuppenspielerInnen, Comic-ZeichnerInnen, ModedesignerInnen, VideokünstlerInnen und eine Spielzeuginstrumenteband namens „Batterie On Off“bilden gemeinsam „Honey-Suckle-Co.“und treten in der Regel in Multimediaperformances auch zusammen auf. Die Bremer Ausstellung ist Hyllas erste Soloschau in einer „richtigen“Galerie. Etwas unbeholfen stand er während der Vernissage da im selbstgebastelten Dress – braune Hose, blaues Jackett mit roten und gelben Klebebandmanschetten – und lauschte leicht verschreckt Deppners Tiefflügen in die Kunstgeschichte.
Krakelige Teddyzeichnungen, billig zusammengeklebte Plastiktiere – Hyllas Skulpturen und Bilder bemühen sich erst gar nicht, den Anschein tiefsinniger Daseinsanalyse zu verbreiten. Eher dünkt es einem, als sei man auf dem Weg in die Galerieräume versehentlich in das Kinderzimmer der Familie Reinfeld geraten. Kopiergerät, Schere, Stift und Klebeband reichen Hylla aus, um mit einfachsten Mitteln „dem Augenblick“Ausdruck zu verschaffen: Arte Povera der 90er mit dem Beat der Metropole; radikalisierte Pop Art, die den banalen Schrott der modernen Warenwelt ästhetisiert und im selben Moment für völlig bedeutungslos erklärt. „Copyart“, sagt Hylla, „ist schnell, entsteht spontan. Ich kann jeden Tag etwas anderes machen, die alten Dinge neu collagieren, Strömungen und Stimmungen der Stadt aufsaugen. Ich mache nichts für die Ewigkeit.“
Hylla, der erst vor kurzem mit seinen Bienen an der U-Kunstausstellung auf der Kasseler documenta teilgenommen hat, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kind der Großstadt. Obschon 26 Jahre alt, ist seine Welt noch immer die der Stofftiere und Comics. Doch zugleich zeugen seine Werke vom Verlust der Kindheit und dem maßlosen Selbstverständnis, Teil einer Undergroundszene zu sein, die sich mit der Aura umgibt, die Welt neu erfinden zu können und dabei ihr Nabel sein zu wollen.
Stilistischer Crossover und erfahrene Multikulturalität speisen dieses Lebensgefühl. Teddys, Fernsehästhetik, Comics, Technik-, Japanbegeisterung und 50er-Jahre-Nostalgie: All das findet sich in Hyllas Arbeiten und den Performances der „Honigsauger“, verschmilzt zu flüchtigen Kommentaren, die das Heute grenzenlos feiern und zugleich das Gestern nicht loslassen wollen. Daß ein arg ramponierter Teddykopf mit flehendem Blick, eingequetscht in einen lärmenden Staubsauger, eines Atemzelts bedarf, um nicht den plötzlichen Kindstod zu erleiden: Wer wollte Hyllas einziger Installation in der Galerie da widersprechen? zott
Die Ausstellung endet am 29. November mit einer Performance von „Honey-Suckle-Co.“(20 h)
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